Duisburg: „Märchen im Grand-Hotel“, Paul Abraham

Weimarer Republik, Ende Dezember 1932. Dem Komponisten Paul Abraham und seinen beiden kongenialen Librettisten Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda gelang mit dem Ball im Savoy ein weiterer großer Premierenerfolg, nachdem in den beiden Jahren zuvor bereits Viktoria und ihr Husar und Die Blume von Hawaii den Nerv des Publikums getroffen und Abraham zu einem der meistgespielten Komponisten der Zeit gemacht hatten. Aufgrund seines kometenhaften Aufstiegs verlieh ihm Franz Lehár sogar den Titel „Kronprinz der Operette“. Doch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten verschwanden die drei Werke des jüdischen Komponisten schnell von den Spielplänen der deutschen Bühnen, so dass das Märchen im Grand-Hotel, als viertes gemeinsames Werk am 29. März 1934 im Theater an der Wien uraufgeführt wurde. Paul Abraham persönlich dirigierte damals das Orchester bei der Premiere und trotz 65 sehr erfolgreichen Aufführungen en suite war der österreichische Markt zu dieser Zeit zu klein, um das Werk weiterhin erfolgreich aufführen zu können. Der Rest ist Geschichte und die Operetten jüdischer Komponisten verschwanden für viele Jahrzehnte von den Bühnen im deutschsprachigen Raum. Glücklicherweise hat das Genre in den letzten Jahren eine regelrechte Renaissance erlebt, so dass heute zahlreiche Operetteninszenierungen zu den Publikumslieblingen an den verschiedenen Theatern zählen.

© Jochen Quast

Auch die Deutsche Oper am Rhein hat in den vergangenen Spielzeiten immer wieder ganz bezaubernde Operetten inszeniert, dies in den letzten, sicherlich nicht einfachen Jahren allerdings etwas zurückgefahren. Mit dem Märchen im Grand-Hotel knüpft man in Duisburg nun aber wieder eindrucksvoll an diese Tradition an. Die Musik Abrahams, die wie selbstverständlich Elemente des Jazz, Tango und Foxtrott mit dem Walzer verbindet, geht schnell ins Ohr und sorgt für gute Laune beim Publikum, das spätestens in der Pause versteht, warum Abraham einer der meistgespielten Operettenkomponisten der frühen 30er Jahre war. Als Premierentermin hat die Rheinoper wohl bewusst den 8. Mai gewählt, den Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht 1945 und damit das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Ganz im Gegensatz zu den vielen traurigen geschichtlichen Hintergründen steht das eigentliche Werk, das dem Namen Lustspieloperette alle Ehre macht. Marylou, die Tochter des Filmproduzenten Makintosh, quartiert sich auf der Suche nach dem nächsten Filmhit in einem französischen Grand-Hotel ein, in dem auch die Infantin Isabella von Spanien mit ihrer Entourage residiert. Ihr Plan ist es, die Geschichte der Prinzessin im Exil mit den Originalfiguren auf die Leinwand zu bringen. Doch das Vorhaben erweist sich als weitaus schwieriger als gedacht. Und dann ist da noch der Hotelerbe Albert, der auf Wunsch seines Vaters undercover als Zimmerkellner das Hotel kennen lernen soll und sich dabei unsterblich in Isabella verliebt.

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Frei nach dem Motto „Das Leben als Film“ hat sich die Regisseurin Michaela Dicu des Werkes angenommen und zieht im Laufe des Abends einige interessante Vergleiche zwischen der Traumwelt Hollywoods und dem Leben des Adels im französischen Grand-Hotel, dem Ort, an dem jeder seine eigene Rolle zu verkörpern scheint. Dies gelingt ihr mit viel Charme und einer gehörigen Portion Humor. Gerade der Humor ist wohl eine der schwierigsten Disziplinen in der Regiearbeit. In diesem Fall hat die Inszenierung jedoch den persönlichen Geschmack des Autors dieser Zeilen voll getroffen und auch das anwesende Publikum als Ganzes hatte seinen Spaß an der Inszenierung. Wahrscheinlich kann man hier auch wenig darüber schreiben, denn Gags schriftlich zu wiederholen, kann eigentlich nur schief gehen. Insbesondere wenn der Abend mit passender Situationskomik überzeugt. Aber eine Kammerzofe Carmen die mit dem Chauffeur Escamillo durchbrennt lädt ebenso zum Schmunzeln ein, wie die Infantin Isabella, die vor ihrer Hofdame ihre angetäuschten Ohnmachtsanfälle einstudiert. Mit viel Liebe zum Detail und einer durchdachten Rolleninterpretation lässt Dicu die Künstler des Abends agieren. Dazu kommen immer wieder nette kleine Einfälle, wie z.B. der Tanzabend, bei dem alle Hotelgäste neben dem Ententanz auch den Känguru-Fox vom Ball im Savoy tanzen. Leider kann der zweite Akt das Tempo und den Ideenreichtum des ersten Teils nicht ganz fortsetzen und auch das Ende wirkt irgendwie etwas erzwungen. Dennoch darf sich das Kreativteam am Ende des Abends zu Recht über den großen Publikumszuspruch freuen. Hierzu zählen auch Ariane Isabell Unfried (Kostüme) und Rifail Ajdarpasic (Bühne) die mit ihren Arbeiten für eine große Operettenkulisse sorgen, die keine Wünsche offenlässt. Im Bühnenbild gibt es viel zu entdecken und immer wieder sieht man, mit welcher Liebe zum Detail hier gearbeitet wurde. Beispielhaft genannt sei da nur der Hoteldirektor Matard, der in einer Szene alle Uhren nachstellt, die in jedem Zimmer des Hotels platziert sind. Auch die Choreographie von Kati Farkas zündet ein wahres Operetten-Feuerwerk ab. Erwähnenswert sind noch die geschickten Anpassungen an die heutige Zeit, durch die ein etwas aus der Zeit gefallenes Frauenbild ins rechte Licht gerückt wird, ohne am Text große Änderungen vornehmen zu müssen. Wenn es beispielsweise heißt, dass jede Frau einen starken Mann braucht, wird zuvor durch Marylou kurz erwähnt, dass der chauvinistische Graf dies wohl so formulieren würde. Auch Marylou selber, wirkt als selbstbewusste Tochter des Filmproduzenten an keiner Stelle aufgesetzt, sondern so natürlich wie dies heutzutage eben sein sollte. Mit einigem Augenzwinkern und ohne Überinterpretationen ist das Märchen im Grand-Hotel in dieser Version ein Paradebeispiel dafür, wie man leichte Anpassungen am Werk mit Respekt vor der Ursprungsversion durchführen kann.

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Auch die Darsteller des Abends wissen zu gefallen. Allen voran überzeugt Jake Muffett als Hotelerbe Albert mit viel Operettenschmalz in der Stimme. Dazu bringt er die angedachte Komik der Rolle gut auf die Bühne. Traumhaft ist diesbezüglich auch die Szene zwischen Joachim G. Maaß als Hoteldirektor Matard und Stefan Heidemann als Hotelpräsident Chamoix, die im Spabereich des Hotels gemeinsam davon träumen was für tolle Männer sie doch sind, auch wenn die Wahrheit doch etwas anders aussieht. Sylvia Hamvasi sorgt mit ihrem klaren Sopran in den Arien für besondere Momente, gleichzeitig gibt sie die spanische Prinzessin als Drama-Queen nicht ohne ein gewisses Augenzwinkern. Als Marylou kann Mezzosopranistin Valerie Eickhoff vor ihrem Wechsel zur Dresdner Semperoper nochmal das niederrheinische Publikum erfreuen (auch wenn in einer alten WAZ-Umfrage seinerzeit 57 Prozent die Stadt Duisburg eher dem Ruhrgebiet zuordneten). Cornel Frey legt die Rolle des dekadenten Prinzen Andreas Stephan (und unzähliger weiterer Vornamen, die er selber nachschlagen muss) so sympathisch an, dass man ihm seine Art nicht übelnehmen kann und sich am Ende auch mit ihm über sein persönliches „Happy, Happy, Happy, Happy End“ freut. Hinzu kommen gut aufgelegte Duisburger Philharmoniker, die in den Folgevorstellungen unter dem Dirigat von Stefan Klingele nur noch an einigen Feinabstimmungen arbeiten können, die aber nicht weiter ins Gewicht fallen.

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Alles in allem bietet Märchen im Grand-Hotel im Duisburger Theater einen humorvollen Abend mit stimmungsvoller Musik, der am Ende vielleicht 15 Minuten zu lang gerät, aber trotzdem jedem Leser ans Herz gelegt sei. Einfach mal die Welt draußen für ein paar Stunden vergessen und in eine andere freundlichere Welt abtauchen, dies vereint einen guten Hollywood-Film und diese Operette. Und das ist es vielleicht auch, was Paul Abraham, Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda mit diesem Werk 1934 bezwecken wollten.

Markus Lamers, 11. Mai 2024


Märchen im Grand-Hotel
Operette von Paul Abraham

Oper am Rhein, Theater Duisburg

Premiere: 8. Mai 2024

Inszenierung: Michaela Dicu
Musikalische Leitung: Stefan Klingele
Duisburger Philharmoniker

Trailer

Weitere Aufführungen: 12. Mai / 17. Mai / 25. Mai / 8. Juni / 14. Juni / 21. Juni / 29. Juni / 7. Juli / 14. September / 27. September / 4. Oktober / 12. Oktober