Berlin: „Das Rheingold“ auf dem Parkdeck

Vorsichtige Rückkehr in die Normalität

Es gibt ein Leben ohne Oper und sogar, im Unterschied zu dem ohne Möpse, ein lebenswertes, aber um ein wie viel reicheres Dasein es sich mit Oper handelt, konnte man am 12.6., genau dem Tag, an dem der neue Ring der Deutschen Oper in der Regie von Stefan Herheim mit Das Rheingold seine Premiere haben sollte, auf dem Parkdeck des Hauses mit einer ganz besonderen Aufführung des Vorabends der Tetralogie erleben. Mit einem Konzept und der halbszenischen Einrichtung des Rheingold von Neil Barry Moss, von Jonathan Dove und Graham Vick für die Birmingham Opera Compagny verkürzt auf knappe zwei Stunden, zweier Partien, der des Mime und des Froh, beraubt und mit 22 anstelle der über achtzig Orchestermitglieder, so dass quasi jeder der Musiker zum Solisten mutierte, wurde es ein erfüllter und erfüllender Abend, den auch Alberich mit dem schrecklichen Fluch eines drohenden Unwetters nicht verhindern konnte. Erst zehn Tage vor der Premiere hatte der Senat die Aufführung genehmigt, je drei weiß verhüllte und damit nicht besetzbare Stühle standen zwischen den Sitzgelegenheiten, und auch auf der kleinen Bühne vor dem Orchester waren Requisiten unter weißen Tüchern verborgen, als sollten sie eine Reminiszenz sicher an Corona-Auflagen, aber auch an den Götz-Friedrich-Ring sein, der mit ebensolchen Gestalten begann und endete (Bühne Lili Avar).

Leicht ironisierend, auch was die Kostüme betrifft, und Wagner verträgt sehr gut Ironie, ohne in seiner Substanz verletzt zu werden, auch die das Parkdeck umgebenden Gebäude in das Geschehen einbeziehend und den von allen begehrten Ring zum Klavierauszug von Wagners Oper werden lassend, setzte die Regie interessante Akzente, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. In dem dominierten die Sänger auch akustisch, nicht zuletzt weil durch die kleine Besetzung des Orchesters die Stimmen entscheidend an Gewichtigkeit zulegten.

Wandelte die Optik bewusst und augenzwinkernd auf dem schmalen Grat zwischen Professionellem und ambitioniert Laienhaftem, so waren die akustischen Eindrücke die des Sensationellen und Hochprofessionellen, gelangen durchaus Momente der Überwältigung, verfehlte auch mit kleiner Orchesterbesetzung Alberichs Fluch so wenig seine Wirkung wie der Einzug der Götter in Walhall seine trügerische Pracht einbüßte.

Ein auch im Schlafrock beeindruckender Wotan ist Derek Welton mit beispielhafter Diktion eines wahren Heldenbaritons so schöner Farben wie exemplarischer Nachdrücklichkeit. Zunächst hetzt er vom Regiestuhl aus den Regieassistenten Loge über die Bühne, doch der nimmt mit Thomas Blondelle schnell die führende Rolle im bösen Geschehen ein, unermüdlich, windig und wirkungsvoll und mit einem klaren, hochpräsenten Charaktertenor, der die Herkunft vom Lyrischen noch nicht verleugnen will. Eine wunderbar in allen Registern ausgeglichene, farbige, dem Ohr schmeichelnde Stimme hat Annika Schlicht für eine majestätische Fricka, die nur in der Gier nach weiterem Geschmeide kurz die Contenance verliert. Durch Mark und Bein geht nach etwas zögerlichem Beginn dem Hörer der Fluch Alberichs, den Philipp Jekal verkörpert, zu Recht enttäuscht von der Zurückweisung der Rheintöchter, hatte er sich doch üppig mit Seerosen geschmückt. Hochschwanger und das wohl „in echt“, aber vokal unangefochten, beschwor Judit Kutasi ihren späteren Liebhaber Wotan, in nachtdunkler Bassesschwärze wetteiferten Tobias Kehrer (Fafner) und Andrew Harris (Fasolt) miteinander.

Eher wie Froh als wie Donner sah Padraic Rowan aus, sang aber, wie man es vom letzerem gewohnt ist. Fein abgestuft von Sopran bis Alt zeigten sich die Rheintöchter mit Elena Tsallagova, Irene Roberts und Karis Tucker, optisch ebenso wie akustisch eine Augenweide. Donald Runnicles, der in seiner kurzen Ansprache noch mit dem deutschen Partizip Perfekt gekämpft hatte, erwies sich einmal mehr und auch mit kleiner Orchesterbesetzung als kompetenter Anwalt der Musik Richard Wagners. Am Ende flatterten aus den Fenstern der das Parkdeck umgebenden Gebäude Fahnen mit den Operntiteln, die hoffentlich recht bald wieder auf dem Spielplan des Hauses stehen werden.

Man hatte sich bereits an ein Leben mit Opern-Konserven gewöhnt, aber auch die gehen einmal zu Ende, und der Abend auf dem Parkdeck der Deutschen Oper bewies aufs Schönste, wie unverzichtbar das Live-Erlebnis ist, das sich noch einige Male im Juni wiederholen wird, allerdings bereits ausverkauft- und das innerhalb von zwölf Minuten!

Fotos Bernd Uhlig

13.6.2020

Ingrid Wanja