Berlin: „Heart Chamber“

Uraufführung am 15. Oktober 2019

Verwirrung der Gefühle

Normalerweise scheitern die Liebenden, Sopran und Tenor, in der Oper an den Ränkespielen des Baritons oder den widrigen Umständen welcher Art auch immer. In Chaya Czernowins Oper mit dem Titel Heart Chamber liegt der Schlüssel zum wahrscheinlichen Unglück in ihnen selbst, denn welcher Mann möchte der Geliebten zugleich Vater, Mutter und vieles mehr sein, wie es der weibliche Part verlangt. Sicherlich ist Liebe heutzutage nicht so einfach wie in einer Vorabendsendung von Vox suggeriert, in der die Partner nach einem gemeinsamen Essen feststellen können: „Du bist nicht mein Typ“, und kein zweites Date verabreden oder ein solches doch planen nach der Erkenntnis: „Wir haben vieles gemeinsam“.

Die israelische Komponistin, die das Libretto zu ihrer vierten Oper selbst geschrieben hat, meint denn auch: “Zwei nackte Seelen, eingehüllt in ihre existenzielle Einsamkeit wie in eine zweite Haut, stehen vor der Möglichkeit einer aufrichtigen Beziehung, die ihre innere Isolation beenden könnte.“ Das wird wohl auch dadurch erschwert, dass beide Partner über gespaltene Persönlichkeiten verfügen, der Sopran teilt seine Bühnenexistenz mit einem Alt, einer Art innerer Stimme, dem Bariton ist ein Countertenor an die Seite gestellt. Dazu gibt es einen Chor mit sehr begrenzten Aufgaben, Statisten, die andere, stumm bleibende Paare oder einfach Passanten darstellen, und einen ungeheuren orchestralen Apparat, der nicht nur den Orchestergraben, sondern zwei Logen und weitere Räume seitlich und vor der Bühne einnimmt, Elektronikklänge, das Phänomen ASMR (Autonomous Sensory Meridian Response), das beim Zuhörer körperliche Reaktionen auslösen kann. Ob es damit zusammenhängt, dass die ersten fünf Reihen im Parkett unbesetzt blieben? Am Ende heißt es dann zwar „I love you“, aber damit fangen die Probleme im Unterschied zu einem „Elisir d’amore“ halt erst an.

Der Beginn ist dagegen recht unspektakulär mit eintönigen Kontrabasstönen, im weiteren Verlauf kann man einen Bienenschwarm hören, Fragmente von Melodien, Harmonien, Rhythmen, Dirigent Johannes Kalitzke nennt es „Orchestrierung des Rauschens“. Er vergleicht die akustischen Wahrnehmungen mit einer Pyramide, an der Spitze die vier Solisten, darunter das Ensemble Nikel mit Percussion, E-Gitarre, Klavier und Saxophon, dann das Vokalensemble, als Basis das Orchester. Es ist gut, vor der Vorstellung das Programmheft zu lesen, um das nachvollziehen zu können.

Nur ein Haus von der Klasse der Deutschen Oper kann ein solches Unternehmen zum Erfolg führen, angefangen von den technischen Voraussetzungen, die eine Bühne wie die von Christian Schmidt ermöglichen. Auf einer großen Treppe gibt es die erste Begegnung zwischen den Protagonisten, die in ihrer Häuslichkeit, im öffentlichen Raum (auf Videowänden) gezeigt werden, wieder auf der Treppe mit einer Wiederholung der ersten Begegnung.

Natur scheint eher als Bedrohung, ein ins Zimmer wachsender Baum, Moos, das die Haut der Protagonistin überzieht, denn Raum für Entspannung zu sein. Die Kostüme sind Alltagskleidung unserer Zeit, Bühne wie Videos zeigen eine eher das Individuum abweisende als anheimelnde Züge, passend zu seiner offensichtlichen Unfähigkeit, eine Beziehung aufzubauen.

Nicht glücklicher hätte die Wahl der Solisten ausfallen können, die das Charisma haben, in so viel Tristesse die Aufmerksamkeit der Zuschauer für ihr Schicksal wach zu halten. Dietrich Henschel ist an der DO noch in bester Erinnerung durch seinen unter Götz Friedrich gesungenen Prinzen von Homburg und den Jesus aus der Matthäus-Passion, Patrizia Ciofi vor allem als leidende Violetta, und auch wenn man ihre Stimmen, die zwar durchaus zum Singen, aber darüber hinaus zum Flüstern, einfach Geräusch unter Geräuschen, oft verfremdet, eingesetzt werden, kaum beurteilen kann, schätzt man die Fähigkeit, auch in Großaufnahmen der Gesichter schön, interessant und ausdrucksvoll zu erscheinen. Neben den ihren hört man die Stimmen von Noa Frenkel als sattem Alt und die von Terry Wey als präsentem Countertenor.

Im Verlauf der knapp neunzigminütigen Vorstellung ohne Pause verlagert sich das Interesse des Zuschauers zunehmend vom Was der Handlung auf das Wie der Gestaltung, „Schuld“ von Regisseur Claus Guth, der mit exzellenter Personenführung seine Protagonisten durch das Gestrüpp der Gefühlsverwirrungen führt. So bleiben denn auch die visuellen Eindrücke stärker haften als die akustischen, die allzu sehr den Hörgewohnheiten des gewöhnlichen Operngängers widersprechen.

Fotos Michael Trippel

16. Oktober 2019, Ingrid Wanja