Berlin: „Die Walküre“

Erste Premierenkritik

Großtat in schwerer Zeit

Fest vorgenommen hatte man es sich, dem alten Götz-Friedrich-Ring im Zeittunnel nicht mehr nachzutrauern, den neuen von Stefan Herheim anzunehmen, zu mögen, ja vielleicht sogar zu lieben- und dann gab es am 27. 9. die große Enttäuschung mit einem heillosen Sammelsurium von Regieunsinn, zusammengetragen aus allen möglichen Stilrichtungen, unausgegoren und nicht einmal dazu angetan, sich wirklich dagegen zu empören. Als die Geschichte endloser Fluchten sieht die Regie die Trilogie laut Programmheft, und so tummelten sich zu Zeiten, in denen man über jede Oper ohne Chor und damit erhöhter Ansteckungsgefahr froh ist, armselige Statistengestalten auf der Bühne, schienen unendlich viel Zeit zu haben, die Protagonisten zu allen Schauplätzen zu begleiten und gestisch und mimisch das Geschehen zu kommentieren.

Als besonders unselige Idee erwies sich die Erfindung eines Sprosses aus der Verbindung von Sieglinde und Hunding, eines geistig behinderten Halbstarken, der messerfuchtelnd den ersten Akt durchlebte, ehe ihm die Mutter kurzerhand die Kehle durchschnitt. Das kostete sie natürlich nicht wenige Sympathien beim Publikum, denn selbst Hunding, geschweige denn Siegmund hatte einige Zuneigung gegenüber dem armen Kerl bekundet, und so konnte man ganz am Schluss, als sie mit Siegfried in den Wehen lag und ihr ein Mime mit Wagnerbarrett das zullende Kind entriss, auch nicht viel Mitleid mit ihr aufbringen. Wie alt sind die Zwillinge eigentlich, wenn Sieglinde bereits ein halbwüchsiges Kind hat? Mitte dreißig? Dann war es kein Wunder, dass sie sich mit der Zeugung Siegfrieds beeilen mussten, diese durch Schiesser Feinripp hindurch sofort auf dem Flügel, der die Mitte der Bühne einnahm, in Angriff nahmen. In dieser auf deutschen Bühnen häufig anzutreffenden Wäschemarke entstieg auch Wotan dem Souffleurkasten, als käme er schon wieder von einem Besuch bei Erda. Eine weitere personelle Zutat waren äußerst (im ursprünglichen Sinne) geile Helden, die trotz vielfältiger blutender Wunden die Walküren sexuell bedrängten, ihren Rüstung und mehr von den Leibern rissen und wohl die Bezeichnung „Wunschmaid“ missverstanden hatten.

Soviel über die Aufstockung des Personals, und nun zur Bühne ( außer Stefan Herheim Silke Bauer), die aus einer Auftürmung von Hunderten, wenn nicht Tausenden von Koffern bestand, ein Teil davon als Mauerwerk zu Hundings Haus, nach Programmheft im Rheingold von den Flüchtlingen erbaut. Im Mittelpunkt der Bühne steht alle drei Akte hindurch ein schwarzer Flügel, der bis in den Bühnenhimmel fahren, aber auch alles, was auf der Bühne gerade überflüssig ist, in sich aufnehmen kann, der Esche mit haftendem Schwert ebenso ist wie der Felsen, auf dem Brünnhilde ruht und aus dem sich hin und wieder Ballons erheben, so mit freundlichem Grün gefüllt zu „Winterstürme wichen dem Wonnemond“. Verfremdungseffekte werden mit gelegentlichem Griff zur Partitur erzielt, und der Feuerzauber hätte, mit flatternden Stoffbahnen, zu spät rot angestrahlt, einer ambitionierten Schüleraufführung Ehre gemacht. Ach ja, mit einem sehr schönen Schäferhund, der eine Runde in Hundings Haus drehte, war das Personal dann wirklich komplett.

Hätte die Regie auf viele dieser Ingredienzien verzichtet, hätte man sich uneingeschränkt über eine sehr stimmige, sehr feinsinnige, sehr detailliert gezeichnete Personenregie freuen können, die nun in diesem Wust unangebrachter „Zutaten“ fast unterging.

Und die akustische Seite? Da konnte man schwelgen ohne Ende mit einem Orchester unter Donald Runnicles, das strahlte, das sonst nie vernommene Details auskostete, das den großen Atem für die große Musik hatte und die Könner für die solistischen Stellen und das deshalb zu Recht den rauschendsten Applaus verdient hatte. Auch die Sänger ließen kaum einen Wunsch offen. Eine hoheitsvolle Fricka, natürlich wieder in weißem Pelz (Kostüme Uta Heiseke), dazu ein weißes Köfferchen, war Annika Schlicht mit machtvollem, Autorität heischendem Mezzosopran wie aus einem Guss und von schöner Farbe. Eine attraktive Sieglinde, die alle überragte, gab Lise Davidsen mit klarem, glockenreinem, durchschlagskräftigem Sopran, der in der Höhe wunderschön aufblühen konnte, nur ganz selten einige Schärfe verriet. Natürlich ist augenblicklich Nina Stemme, wenn es um die Brünnhilde geht, die allererste Wahl, und einmal das Hojotoho beachtlich gestemmt, war sie nicht nur eine die Herzen berührende, perfekte Darstellerin der Wotanstochter, sondern erfreute auch mit einem ausgeruhten, in warmen Farben leuchtenden, zu vielen Nuancen fähigen Heldensopran.

Die Walküren konnten auf erfahrene, altgediente Kräfte wie Ulrike Helzel oder Nicole Piccolomini ( War die nicht schon im Friedrich-Ring dabei?) wie auf junge Stars wie Irene Roberts oder Stipendiatinnen wie Karis Tucker bauen.

Einen angemessen dräuenden, abgrundtiefen Bass hatte Andrew Harris für den Hunding. Mit herbem, baritonal gefärbtem Tenor sang Brandon Jovanovich einen darstellerisch agilen Siegmund. Seine Wälse-Rufe dürften zu den ausdauerndsten, nicht unbedingt den schönsten gehören. Inwiefern teilweise sprechend herausgestoßene Phrasen Regieeinfälle und nicht Ermüdungserscheinungen waren, ist beim Wotan von John Lundgren kaum auszumachen, insgesamt hätte man sich von ihm besonders für Wotans Abschied eine großzügigere Phrasierung, noch mehr vokale Autorität gewünscht. Und da war noch dieser Unglückswurm von Hundingling, in akrobatischer Gewandtheit gespielt von Eric Naumann, dessen Schuld es nicht war, dass er wie ein überflüssiger Fremdkörper wirkte.

Die Weichen für den neuen Ring der Deutschen Oper sind gestellt, und bisher spricht nichts dagegen, dass sie, so wunderbar die musikalische Seite auch sein mag, aufs Abstellgleis führen.

Fotos Bernd Uhlig

28.9.2020 Ingrid Wanja