Berlin: „La forza del destino“

Premiere am 8. September 2019

Vokaler Glanz zu szenischem Blödsinn

„Wir wollen unseren Verdi hören“ oder „Hau ab nach drüben“ waren einige der Schmährufe, die nebst wie einhellig anzuhörendem Buh-Geschrei eine lange Verlesung eines Malaparte-Textes unterbrachen, ja zum zeitweiligen Erliegen brachten, nachdem das bis dahin geduldige Publikum schon allerlei Unbill über sich hatte ergehen lassen müssen. Dazu gehörten neben der dozierenden Agitprop-Manier, munter Franco, Mussolini, Hitler, spanische Eroberer, Videos von unterschiedlichsten Kriegsschauplätzen miteinander mischend, Gräueltaten im Wald und auf der Heide oder im American Hospital wie der pure Unsinn wie eine Austern schlürfende Curra, eine mit Ballkleid und Brillantohrringen sich dem Büßerleben hingebende Leonora (Kostüme Adriana Braga Peretzki), ein besonders penetranter „Indio“ (Ronni Maciel), der sein Revuekostüm wohl aus der Komischen Oper entliehen hatte, in einer (Alb)traumvision die bräutliche Leonora mit Rosen bekränzte und über Kirchengelände, durch Lazaretträume und überall, wo es nicht passend war, tänzelte und turnte, das allerdings mit beachtlicher Virtuosität. Das Schlimmste an dieser Produktion jedoch sind nicht diese und viele andere, ähnlich dümmliche Regieeinfälle, sondern die rein handwerkliche Unfähigkeit von Frank Castorf, mit Sängern umzugehen.

Das beginnt mit dem Chor, der auf der mit Sandsäcken, Militärfahrzeug, Wohnwagen, Gerüsten, Plakaten von Mussoliniportrait bis zur Warnung vor der Syphilis, Videoleinwänden und sonst noch allerlei zugemüllten Bühne (Aleksandar Denic) nicht mehr genug Platz fand, stur und starr an der Rampe stand und höchstens einmal hilflos schunkelte. Das ging weiter mit dem Verbrechen an den Sängern, die im Halbdunkel oder Fastdunkel kaum wahrzunehmen waren, dafür aber in Großaufnahmen auf der Leinwand, die oft nicht einmal synchron mit dem Gesang waren, Schweißperlen und Hautunreinheiten zeigen durften. Ob Sänger von heute, die an eine sinnvolle Darstellung gewöhnt sind, es noch schätzen, zum Rampensingen, zum Herumstehen ohne eine Interaktion mit den Partnern gezwungen zu sein, darf auch bezweifelt werden. In der alten Neuenfels-Inszenierung des Werks gab es Buhgeschrei auch noch bei Folgeaufführungen, aber weil man sich über den Panzer, der mit ihn segnenden Priestern über die Bühne fuhr, empörte. Das war aber immerhin ein starkes, eindrucksvolles Bild, das war vollblütiges Theater, hatte eine Aussage, die der Sack ausgestochener Augen, den uns Castorf offeriert, vollkommen vermissen lässt, Provokation um der Provokation willen ist. Einfach albern sind der Fahnenträger, der unzählige Male zusammengerollte Trikoloren während der Armenspeisung über die Bühne trägt, ebenso wie die zähnefletschenden Landsleute in Großaufnahme.

Die Wut des heutigen Publikums entlud sich auch wegen der Anmaßung der Regie, von zum Teil von nicht einmal des Deutschen mächtigen Sprechern und mit dem Verständnis des Werks nicht dienlichen Texten dasselbe unterbrechen, den Spannungsbogen der Musik abbrechen zu lassen. Trotz der erstklassigen Leistungen von Solisten, Chor und, mit Einschränkungen, auch des Orchesters, gab es zunächst kaum oder nur zögerlichen Beifall, bis das Publikum differenzierend reagierte und die Leistungen der Sänger angemessen honorierte.

Der erste Szenen- und ein überaus herzlicher Schlussbeifall waren für den Tenor Russell Thomas, der für den Alvaro eine in allen Registern farbige, tragfähige, in der Höhe strahlende Stimme einsetzen konnte, auch eine gut tragende mezza voce nicht scheute. Eines der vielen Wunder der Gattung Oper ist es, dass ein schwarzer Sänger in der Rolle eines Halb-Inkas empört zurückweist, Mulattenblut in den Adern zu haben. Einen weichen, geschmeidigen, dabei kraftvollen Sopran hatte Maria José Siri für die Leonora, agogikreich singend, so ein „Pace, pace“ der Crescendi und Decrescendi ab dem ersten Wort. Eine wunderbare, facettenreiche, den dramatischen Aplomb wie den leichtfüßigeren Stil der ersten Arie gleichermaßen perfekt wiedergebende Baritonstimme setzte Markus Brück für den Carlo ein. Balsamisch klang der Bass von Marko Mimica, ebenfalls aus dem Ensemble, für den Padre Guardian. Gar nichts Buffoneskes hatte Misha Kiria für den Frau Melitone, aber eine urgesunde, markante Stimme. Agunda Kulaeva sang gleich unangefochten „Viva la guerra“ wie Rataplan, sah dazu noch bezaubernd aus, allerdings eher wie Amneris als wie Preziosilla.

Michael Kim ließ als Trabucco einen einprägsamen Charaktertenor hören. Der Chor unter Jeremy Bines erweckte den Eindruck, als wolle er mit aller Gewalt gegen die unmögliche Szene ansingen- und das mit Erfolg. Das Orchester unter Jordi Bernàcer wirkte in der (natürlich und leider „inszenierten“) Sinfonia noch wie gehemmt, wuchs jedoch an seinen Aufgaben und hatte am musikalischen Erfolg des Abends schließlich seinen Anteil, der Beifall für den Dirigenten allein klang merkbar dünner als der für das Orchester.

Fotos Thomas Aurin

9. September 2019, Ingrid Wanja