Berlin: „La Traviata“, Giuseppe Verdi

Drei von den vielen, vielen Inszenierungen, die Götz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin nicht nur während seiner zwanzig Jahre währenden Intendantenzeit ab 1981, sondern bereits davor verwirklichte, befinden sich noch im Spielplan des Hauses, und zwar die uralten, aber immer wieder frisch wirkenden Nozze di Figaro, La Bohéme und La Traviata. Nachtrauern muss man inzwischen auch dem Ballo in Maschere und Eugen Onegin, dankbar ist man dafür, dass auch in der laufenden Spielzeit wieder La Traviata, höchst geeignet auch für Stargastspiele, zu sehen ist. Was der Regisseur bereits bei einer seiner ersten Inszenierungen überhaupt, La Bohéme an der Komischen Oper, anstrebte, „so realistisch und so poetisch zugleich“ wie möglich zu sein, das lässt sich auch bei einer seiner letzten Produktionen feststellen und eine gehörige Portion Symbolismus kommt noch dazu.

(c) Bettina Stöß  

So spielt der Tod, dessen Beute Violetta zum Schluss wird, von Anfang an mit, wer gut aufpasst oder wer die Inszenierung zum zwanzigsten Mal sieht, gewahrt ihn bereits als Türschließer im ersten Akt, kräftige Baumstämme, um die herum das engelsgleiche Töchterlein Germonts ihre Spiele treibt, sind wenig später traurige Stümpfe, die schwarzglänzenden Wände ( Bühne Frank Philipp Schlößmann) begrenzen im ersten Akt noch einen intakten Palast und mit voranschreitender Handlung einen immer mehr verfallenden, das Kanapee, auf dem so manches Paar sich vergnügt haben mag, wird zum Totenbett, indem Violetta selbst am Schluss des zweiten und zu Beginn des dritten Akts die rot-plüschige Decke hinunterzieht und ein weißes Laken enthüllt. Das alles sind Einfälle der Regie, die die Produktion unverwechselbar machen, das Stück und seine Aussage aber in keiner Weise entstellen.  Und so hat der Zuschauer die Chance, das Haus mit dem Gefühl einer erhebenden Trauer, mit einem bitteren Glücksgefühl  zu verlassen, das dem der bereits von den alten Griechen beschworenen Katharsis nahekommt. An deren Stelle sind in den letzten Jahrzehnten bei vielen Neuproduktionen Widerwille, Ekel, Ablehnung  und Gereiztheit getreten, die Wut darüber, die entstellende, das Stück vergewaltigende  Optik, die dem Zuschauer die Weltsicht des Regisseurs aufzwingen will, ertragen zu müssen, um überhaupt in den Genuss der Musik zu kommen. 

(c) Bettina Stöß  

In der inzwischen 155. Vorstellung nach der Premiere im Jahr 1999 gab es mit Mané Galoyan eine neue Violetta, die im ersten Akt noch eine herbe Enttäuschung war, weil ihrer Stimme die Brillanz, die Durchschlagskraft und die Extremhöhe eines dramatischen Koloratursoprans fehlte, die Höhe nicht aufblühte, sondern stellenweise kümmerte, für „Sempre libera“ einfach der Nachdruck eines dramatischen Befreiungsschlags fehlte. Der apart timbrierten Stimme weit angemessener war dann der zweite Akt mit einem schmerzlichen „ero felice troppo“, einem „dite alla giovane“ in weit gespannten Bögen und einem „amami, Alfredo“, das zu Herzen ging. Leider war das Objekt der Zuneigung mit Giovanni Sala nicht rollendeckend besetzt. Dem schmalen Tenor fehlten dolcezza, corpo, die Stimme klang flach und trocken, und damit konnte auch eine nach oben gesungene Cabaletta nicht versöhnen. Dramatik brachte Markus Brück als Giorgio Germont in das Geschehen mit einem äußerst nuanceneich gesungen „Di provenza il mar“  fern aller Abgesungenheit und Routine, voll innerer Spannung und bereits in „Pura siccome un angelo“ sich als Meister der Verbindung von generösen weit gespannten Verdi-Bögen mit expressivem Gesang erweisend.

(c) Bettina Stöß  

Einen angenehmen Mezzosopran ließ Arianna Manganello als Flora vernehmen, mit frischer und farbiger Stimme sang Meechot Marrero eine teilnahmsvolle Annina, und trotz nur kurzen Auftritts konnte Andrew Harris als Doktor Grenvil mit einem sanft-dunklen Bass Aufmerksamkeit erregen. Der Chor (Jeremy Bines) war vokal tadellos, bewegt sich  aber im ersten Akt  weniger straff, recht verwaschen und nicht mehr so exakt das Brio der Musik aufnehmend. Das gelang im Orchestergraben dem Dirigenten Ido Arad weit besser, der zudem in bester Kapellmeistertradition den Sängern ein zuverlässiger Begleiter war.    

Ingrid Wanja,  4. Februar 2023


Giuseppe Verdi: La Traviata

119. Vorstellung am 3. Februar 2023

Premiere am 30. November 1999

Inszenierung: Götz Friedrich

Bühne: Frank Philipp Schlößmann

Kostüme: Klaus Bruns

Musikalische Leitung: Ido Arad

Orchester der DO Berlin