Berlin: „Tannhäuser“, Richard Wagner

Doch, es gibt sie noch die Opernvorstellungen, nach denen man nicht frustriert, angewidert, wütend das Theater verlässt, sondern beglückt, positiv aufgewühlt und sich durch und durch bereichert fühlend. Eine solche war am 11. November in der Deutschen Oper Berlin die 52. Aufführung von Wagners Tannhäuser in der Regie von Kirsten Harms, den Bühnenbildern von Bernd Damovsky und mit einer durchweg frischen, den hochkarätigen Vorgängern in der Sängerbesetzung in nichts nachstehenden Solistenriege. Die Geschichte von Sünde, Reue, Heil bietet moderner Regie alle Möglichkeiten von Verhohnepiepelung, wenn man es darauf anlegt, und ganz tiefe Einblicke in eine Welt, in der der Mensch in der Furcht vor dem Jenseits gehalten wurde, eine höfische Gesellschaft sich strenge Regeln über das Verhältnis zwischen den Geschlechtern schuf und daraus eine einmalige Hochkultur mit dem Minnesang entstehen ließ. Die Inszenierung in der Deutschen Oper kostet das regelrecht aus mit einem Spiel, das Unterbühne, Hauptbühne und Schnürboden mit einbezieht, das Unten von Venus und ihren verführerischen Ebenbildern, dem Fegefeuer, dem die Pilger zu entkommen trachten, der irdischen Ebene mit gepanzerten Stahlrössern und Lazarettsaal und dem Oben, aus dem sich Chimären oder auch Rüstungen herabsenken.

© Bettina Stöß

Die Zwischenvorhänge zeigen die von Angst zerfressene Fratze vom Sims einer gotischen Kathedrale und andere nicht von Gnade, sondern von Verdammnis sprechende Gesichter. Einen das Ganze nicht der Lächerlichkeit preisgebenden, sondern eher beglaubigenden Kontrast dazu bilden die ironischen Einsprengsel wie die lustig phantasiereichen Helme der Ritter in der Wartburghalle, die auf Rädern auf die Bühne geschobenen Streitrosse, der Venusberg mit Glitzerflitter und Seifenblasen und die endlos langen Gretchenflechten der Elisabeth. Interessant ist die Idee, die bereits leblos am Boden liegende Fürstin zur Beschwörung des Venusbergs sich lustvoll räkeln und die strengen Zöpfe nicht ohne tätige Mithilfe Wolframs lösen zu lassen, damit nachträglich die Besetzung von Venus und Elisabeth mit einer Sängerin legitimierend. Dabei werden die Figuren nie beschädigt, sondern facettenreich und mehrdeutig und damit besonders interessant.

© Bettina Stöß

Eigentlich für die Titelpartie vorgesehen war Stephen Gould, dessen nach seiner plötzlichen Absage in Bayreuth nicht völlig überraschender, aber doch plötzlicher Tod zu einer Umbesetzung und damit zu dem amerikanischen Clay Hilley führte, der im Venusberg durch stupende Höhen erfreute, aber unterhalb des Passaggio auch durch fahle, fast tonlose Passagen irritierte. Im zweiten Akt war seine Leistung tadellos mit einem emphatischen Preislied auf die sinnliche Liebe und mit markerschütterndem „Erbarm dich mein“, die auch einem Spas Wenkoff, einem Rainer Goldberg oder dem noch immer schmerzlich vermissten Peter Seiffert Ehre gemacht hätten. Eine gar nicht von Ermüdung, sondern von Gestaltungsfreude geprägte Romerzählung krönte seine Leistung, die sich auch durch eine erstklassige Diktion auszeichnete. Ebenfalls im ersten Akt hatte Elisabeth Teige ihre Schwäche, weil ihr die Venus einfach zu tief lag, während ihre Elisabeth bereits in der Hallenarie mit leuchtendem Sopran auftrumpfte, auch in der mezza voce des Gebets im dritten Akt vokal höchst präsent war und optisch dazu eine Augenweide. Der Wolfram von Samuel Hasselhorn profitierte von der reichen Liederfahrung des jungen Sängers, ließ ein angenehmes Timbre hören und den Abendstern leuchten. Wohl erst auf der Bühne einsingen kann sich Tobias Kehrer, der wie unlängst seinem Daland auch dem Landgrafen einen holprigen Einstand bescherte, ehe er im zweiten Akt mit balsamischer Zwiesprache mit der Nichte und anschließend mit markiger Ansprache überzeugte. Angemessen bescheidener trat Joel Allison als Biterolf auf, während Kieran Carrel als Walther von der Vogelweide wohl noch nicht ganz entschlossen ist, welches Fach er singen sollte, an frischem Material mangelt es nicht. Ein zauberhafter Hirt mit zartem, apartem Sopran war Lilit Davtyan.

© Bettina Stöß

Phantastisch einmal mehr der Chor (Jeremy Bines), und auch aus dem Orchestergraben klang es unter der Leitung von Pietari Inkinen so frisch, so engagiert, so farbeneich und sich in feinen Abstufungen ergehend, wie man es sich eigentlich für jeden Abend wünscht.

Ingrid Wanja, 12. November 2023


Tannhäuser (Dresdner Fassung)
Richard Wagner

Deutsche Oper Berlin

52. Vorstellung am 11. November 2023 nach der Premiere am 30. November 2008

Inszenierung: Kirsten Harms
Musikalische Leitung: Pietari Inkinen
Chorleitung: Jeremy Bines
Orchester der Deutschen Oper Berlin