Berlin: „Tosca“, Giacomo Puccini

Mit ihrer Premiere im April 1969 ist diese Produktion von Boleslaw Barlog (Bühne und Kostüme: Filippo Sanjust) zwar noch nicht so alt wie die in Wien immer noch bestehende von Margherita Wallmann, hat aber auch schon die beneidenswerte Anzahl von 420 Vorstellungen erreicht. Und um es gleich vorwegzunehmen: Wie so viele andere von Könnern erarbeitete Inszenierungen funktioniert auch diese in ihren Grundzügen immer noch klaglos und bietet sich damit bestens für gastierende Sänger an.

Diesmal war die Programmierung von einem international glänzenden Sängerterzett ausgegangen, nämlich Camilla Nylund, Vittorio Grigolo und Erwin Schrott. Letzterer sagte ab und wurde von Daniel Luis de Vicente ersetzt, doch davon später. Nylund sang am 13. und 17. in Wien die Titelrolle in „Salome“ und die erste von zwei Berliner „Tosca“-Vorstellungen am 16.! Dazu hatte sie die Puccinioper zum ersten Mal in ihrer Karriere im November 2022 in Wien gesungen, dann nicht mehr, wobei es in Berlin nur zwei kurze Verständigungsproben gab. Ich überlasse es dem geneigten Leser, sich seine Gedanken zum Thema „Überbuchung“ zu machen.

Wie war nun ihre Leistung? Stimmlich gab es sichere, aufblühende Höhen zu hören, das vertrackte hohe „C“ auf „lama“ im 3. Akt habe ich ganz ganz selten so schön und voll gehört. Auch „Vissi d’arte“ gelang überzeugend. Seltsam berührte mich, dass eine im dramatischen Fach so erstklassige Sängerin über eine derart schwache Mittellage verfügte, die trotz größter Rücksichtnahme durch den Dirigenten oft kaum zu hören war bzw. als Sprechgesang erklang. Darstellerisch lag ihr die Szene mit Cavaradossi im 1. Akt überhaupt nicht, denn sie raste wie eine Furie herum und hatte nichts vom Charme einer, wenn auch kapriziösen, Diva. Ab der Szene mit Scarpia lag ihr die Rolle auch schauspielerisch besser, obwohl sie dem Text nicht immer seine volle Bedeutung zukommen ließ.

Ein Kapitel für sich war wieder einmal Vittorio Grigolo. Da ich den Künstler bisher immer nur in seiner italienischen Heimat gehört hatte, war ich entsetzt, was er sich gegenüber einem ausländischen Publikum an musikalischen Freiheiten herausnahm. Daran gewöhnt, dass den Tenor die zu interpretierenden Figuren nicht interessieren, sondern er nur darauf bedacht ist, sich und sein schönes Material auszustellen, hatte ich ihn noch nie so frei mit der Agogik umgehen gehört, es war eine Zelebration seiner selbst, wodurch z.B. „E lucevan le stelle“ in seine Teile zerfiel.

Daniel Luis de Vicente hingegen war ein musikalisch seriöser und stimmlich auftrumpfender Scarpia, dessen Bariton vielleicht nicht das schönste Timbre hat, aber nicht nur kraftvoll, sondern auch nuanciert eingesetzt wurde. Eine mehr als solide Leistung. Samuel Dale Johnson gab einen überzeugend gehetzten Angelotti, Padraic Rowan einen der Flasche zugeneigten Mesner. Geboten hinterhältig der Spoletta von Andrew Dickinson; den Sciarrone verkörperte Christian Simmons, ein Stipendiat der Opera Foundation New York, den Schließer Byung Gil Kim. Fanny Böning aus dem Kinderchor der Deutschen Oper Berlin war als Hirte zu hören.

Der Chor des Hauses (Leitung: Thomas Richter) sang ordentlich, klang allerdings im Tedeum etwas leise, was aber vielleicht seiner Anordnung in den Kulissen in Richtung eines unsichtbaren Altars geschuldet war. Ein besonderes Lob verdient sich Matteo Beltrami, dem es angesichts einer nicht immer textsicheren Tosca und eines nicht zu zügelnden Cavaradossi gelang, mit dem Orchester des Hauses doch noch Puccini die diesem gebührende Ehre zu erweisen.

Im Übrigen spendete das Publikum im ausverkauften Haus riesigen Beifall und war merklich zufrieden. Was soll also mein Meckern…                              

Eva Pleus 29. Juni 2024

Trailer statt Bilder


Tosca
Giacomo Puccini
Berlin

23. Juni 2024

Inszenierung: Boleslaw Barlog
Musikalische Leitung: Matteo Beltrami
Orchester der Deutschen Oper Berlin