Düsseldorf: „Das Rheingold“

Premiere: 23.6.2017

Immerhin ein starker musikalischer Eindruck

Der Ehrgeiz eines jeden Opernhauses, ob groß oder klein, ist es, sich irgendwann einmal Wagners „Ring“ zu stellen und dabei womöglich szenisch einen neuen Höhepunkt zu setzen. Wie gerade zu hören war, ist man aber auch mit dem rein Musikalischen noch nicht bei der Weisheit letztem Schluss angelangt. So wird die Tetralogie demnächst in „historischer Aufführungspraxis“ angegangen: Concerto Köln unter Kent Nagano. Der offizielle Startschuss erfolgt im September mit einem Symposium, ab 2020/21 wird es Aufführungen geben. Vermutlich in reduzierter Orchesterbesetzung (6 Harfen sind bei Concerto Köln ja kaum vorstellbar). Aber bitte, auch ein Richard Strauss hat seine monumentale „Elektra“-Partitur den Bedürfnissen kleinerer Theater angepasst, und die wirkt – Erinnerung an eine zurückliegende Aufführung in Hagen – keineswegs defizitär.

Aktuell aber ist von der „normalen“ Orchesterbesetzung des „Rheingold“ bei den Düsseldorfer Symphonikern zu sprechen, welche der bayreutherfahrene Axel Kober auf eine betörende Klangrede und sprachgewaltige musikalische Rhetorik eingeschworen hat. Wagners Musik klingt aus dem Orchestergraben der Deutschen Oper am Rhein zwischen Pianoschimmer und Forteextatik, Lyrik und Pathos gleichermaßen überzeugend. Ein starker Eindruck.

Eher schwach fällt er hinsichtlich der Inszenierung aus. Zunächst einmal: Dietrich Hilsdorf gehört fraglos zu den prägendsten Regisseuren der deutschen Theaterszene. Der Rezensent hat in Bonn sogar noch etliche seiner Arbeiten im Schauspielbereich erlebt, den er offenbar ganz zugunsten der Oper aufgegeben hat. Bei ihr hat er im Laufe der Jahre seinen inszenatorischen Stil geändert, sich vom „Revoluzzer“ zum bildästhetisch abwägenden „Altmeister“ entwickelt, um es mit zwei vielleicht etwas pauschalen Schlagworten auszudrücken. Mozart in Gelsenkirchen, Verdi in Essen – das waren Hilsdorfs gärende Jahre (das Aalto Musiktheater hat einige dieser Produktionen bis in die jüngste Zeit in Wiederaufnahmen geboten). Mit die hinreißendsten Ergebnisse aus den „milderen“ Folgejahren waren in Bonn drei Händel-Oratorien: „Jephta“, „Belsazar“ und vor allem der mirakulöse „Saul“ (u.a. mit Jörg Waschinski und Georg Zeppenfeld). Aus jüngster Zeit datieren an diesem Haus eine wunderbar durchpsychologisierte „Cosi“, freilich auch ein verquerer, angestrengter „Attila“.

Angestrengt ist auch das Düsseldorfer „Rheingold“. Diese vom Premierenpublikum teilweise deutlich abgelehnte Arbeit steht nun leider nicht für sich alleine, sondern ist Auftakt zu einem großen Ganzen. Da anzunehmen ist, dass Hilsdorf die kommenden Werke konzeptionell bereits weitgehend festgelegt hat, sieht man dem Jahr 2018 mit einer gewissen Bangigkeit entgegen.

Auffällig ist, dass das Programmheft zwar einen Text des Produktionsdramaturgen Bernhard F. Loges enthält, nicht jedoch ein interpretatorisches Statement des Regisseurs, was gerade bei diesem tiefgründelnden Werk eigentlich zu erwarten gestanden hätte. Doch immerhin gibt es von Hilsdorf Äußerungen im Rahmen einer Sendung des Westdeutschen Rundfunks. Für ein „work in progress“ habe man sich entschieden: „Wir versuchen, den ‚Ring‘ zu erforschen. Wir hören in den Text, wir hören in die Noten, in die Musik, wir erzählen uns gegenseitig die Geschichte.“ Klingt ein bisschen vage.

Um den Aufführungsbeginn konkret widerzugeben… Vor dem klangphänomenalen Vorspiel tritt Loge vor den „Opern“vorhang, welcher in einen mit lauter unterschiedlich farbigen Glühbirnchen bestückten Bühnenrahmen eingehängt ist, welcher wie ein Zirkusportal wirkt. Der Lichtgott als Dompteur und womöglich über dem Herrschergott Wotan stehend (der übrigens unter einem Tuch versteckt von Fricka im Rollstuhl hereingefahren wird)? Doch nein, er wurde ja einst in Wotans Dienste gezwungen, muss also gehorchen. In die Stille des Raumes hinein zitiert er Heinrich Heines „Loreley“. „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.“ Warum? Der Zuschauer könnte am Ende der Aufführung geneigt sein, diese Frage aufzugreifen.

Die Bühne (Dieter Richter) zeigt dann eine große, prinzipiell gleichbleibende Halle, welche sowohl als Versammlungsort der Götterfamilie wie auch als Alberichs Unterwelt genutzt wird. Alle an der Handlung Beteiligten finden hier einen irgendwie passenden Platz, vorzugsweise auf großflächigen Rundbänken, welche für Alberichs Verwandlungen und Erdas Auftritt ganz besonders wichtig werden. Warum Loge auf der links angebrachten „Feuerleiter“ ständig mit den Rheintöchtern turtelt, bleibt offen, aber irgendwann denkt man über Hilsdorfs Einfälle auch nicht weiter nach, nimmt sie mit ihrem oft nicht zu leugnenden Unterhaltungswert hin. Video-Verdoppelungen von realen Vorgängen im Hintergrund: malerisch (wie auch Renate Schmitzers Kostüme), aber perspektivenlos. Diese Formulierung wäre nahezu auf die gesamte Inszenierung anzuwenden. Weiteres Beweismaterial auf Anfrage.

In Wotan (Simon Neal mit großem baritonalem Volumen und starker darstellerischer Präsenz) zeichnet sich immerhin und vor allem im letzten Bild die zwiespältige Persönlichkeit des in seinem Weltforscherdrang maßlosen und immer stärker schuldig werdenden Göttervater eindrucksvoll ab. Als interessant akzentuiert könnte man auch die sich ihm gegenüber „emanzipatorisch“ verhaltende Freia sehen (nicht die beste Partie von Sylvia Hamvasi), die zudem eine nicht ganz logische Sympathie für Fasolt (Bogdan Talos mit raumfüllendem, kantablem Bass) erkennen lässt. Bei den Sängern sind noch der emotional verbogene Alberich des großartigen Michael Kraus und der fast noch großartigere Cornel Frey als Mime hervorzuheben, welcher den geifernden Zwerg so hysterisch gibt wie nötig, dabei jedoch ohne keifige Töne auskommt. Dass er in „Siegfried“ von Matthias Klink abgelöst wird (dessen Rollendebüt man natürlich mit Spannung erwartet), will nach der „Rheingold“-Leistung nicht einleuchten. Ebenfalls hochbeeindruckend: Norbert Ernst (Loge), Anke Krabbe (Woglinde), Maria Kataeva (Wellgunde), im Grunde auch Ramona Zaharia (Floßhilde), weiters Ovidiu Purcel (Froh); rollengerecht Renée Morloc (Fricka), Susan Maclean (Erda), Torben Jürgens (Donner) und Torsten Gümbel (Fafner).

Christoph Zimmermann 24.6.2017

Bilder (c) Rheinoper / Hans Jörg Michel