Düsseldorf: „Die Walküre“

Premiere am 28.Januar 2018

Zum Zweiten

Der „Ring“ an der Deutschen Oper am Rhein ist jetzt bei der „Walküre“ angelangt; „Siegfried“ wird noch in dieser Spielzeit folgen, „Götterdämmerung in der nächsten, jeweils verteilt auf die Häuser Düsseldorf und Duisburg. Die „Walküre“ ist bezüglich des Szenischen einer besonderen Betrachtung wert, denn DIETRICH HILSDORF hat das Werk schon einmal separat inszeniert, und zwar 2009 in Essen (zwei Wiederaufnahme-Vorstellungen gibt es im Juni/Juli). Das Düsseldorfer „Rheingold“ (Premiere: 23.6.2017) hatte etwas ratlos zurückgelassen, die Reaktionen des Publikums waren nicht von ungefähr ungnädig, was Hilsdorf übrigens nicht versteht. Auch bei der „Walküre“ überwog Ablehnung. Dass leuchtet nun aber wirklich nicht ein, denn die Erzählweise von Hilsdorf ist klar konturiert und psychologisch plausibel. Wenn er dabei verschiedentlich die Handlungsvorlage modifiziert, ist das sein gutes Recht.

Da ist zum einen die Bühne von DIETER RICHTER, die in etlichen Details an seine Essener Ausstattung erinnert. Wie auch dort sieht man in Düsseldorf eine große Halle, zu ausladend, um nur als Hundings Hütte zu dienen. Aber in diesem Ambiente spielt ja auch der zweite Akt, wobei der peu à peu hoch fahrende Gitterplafond die Dimensionen immer größer erscheinen lässt. Gezeigt wird nicht nur der Dialog von Brünnhilde und Wotan (zäsiert von Frickas „Strafpredigt“), sondern eine Art Familiensitzung, an welcher auch die Personen des Beginns – Sieglinde ist nach 6 Monaten (Übertitelhinweis) übrigens sichtlich schwanger – teilhaben. Und zwei Walküren aus dem letzten Akt sorgen schon jetzt für etwas Koketterie.

Dies alles ist eine brilliante, rasante und höchst intelligente Variante der Librettovorlage, verdeutlicht zudem die recht ausufernden „en famille“-Gegebenheiten. Sehr schlüssig auch der Beginn. Das Sturmwind-Vorspiel des Orchesters schildert nicht Siegmunds Flucht, vielmehr kommt Hunding von irgendeiner kriegerischen Aktion nach Hause, lässt sich von seiner Frau herablassend verköstigen und versucht danach erotische Annäherungen. Sieglinde erwehrt sich ihrer heftig und wirft dem wütend abgehenden Hunding seinen Hut nach. Erst dann erfolgt der Auftritt Siegmunds, von der im Saal verbliebenen Sieglinde sogleich registriert. Das Zueinander-Finden der sich zunächst unbekannten Geschwister fächert Hilsdorf mit starken, aber auch sehr zärtlichen gestischen Details auf, differenzierte Mimik kommt vertiefend hinzu. Das greift regelrecht ans Herz. Aber es gilt natürlich auch wieder einmal zu sagen, dass Wagners Musik speziell in diesen Szenen ein unwiderstehliches Narkotikum darstellt.

Man dankt es auch AXEL KOBER und den DÜSSELDORFER SINFONIKERN, dass dieses Bild ungemein überzeugt. Der Dirigent schwört seine Musiker auf ein luzides Klangweben ein, lässt sich andererseits bei orchestralen Eruptionen nicht lumpen. Bei den Sängern ist CORBY WELCH als Siegmund eine regelrechte Sensationsbesetzung: großes dramatisches Potential (etwas selbstgefällig freilich die sehr gedehnten „Wälse“-Rufe), aber immer wieder auch subtile Piani, und das Ganze auf veritabler Belcanto-Basis. Zu ähnlicher vokaler Identität findet (nach kurzen Einsing-Momenten) auch ELISABET STRID als Sieglinde und vermittelt die Leidenslast der Figur auf berührende Weise. Last not least: SAMI LUTTINEN als Hunding, ein finsteres Ekelpaket, freilich mit einigen höflichen Manieren. Und im Mittelakt hat RENÉE MORLOC einen bestechenden, überhaupt nicht keifigen Fricka-Auftritt.

Hilsdorfs detailgenaue, stringente Personenführung kulminiert nicht zuletzt in der Figur Wotans. Seine herrscherlichen Überheblichkeiten in „Rheingold“ hat der Göttervater nunmehr weitgehend eingesehen. Das Verlieren von Macht und die Aussichten auf eine düstere Zukunft der Welt setzen ihm zu. Er wird sich über seine Verantwortung klar, was neue Eigenmächtigkeiten aber keineswegs ausschließt. Brünnhilde belehrt ihn zuletzt noch einmal des Besseren. Freilich wird erst Siegfrieds Körperstärke und Unverfrorenheit Wotan ganz zur Raison bringen. Ein Glück für Hilsdorf, dass ihm in SIMON NEAL ein grandioser Rollenvertreter zur Verfügung steht. Der Engländer verfügt über eine immense stimmliche Expressivität und Energie, aber auch über reflektierende Zwischentöne. Selten kann man die oft als uferlos empfundene Erzählung Wotans so dringlich erleben wie bei diesem auch darstellerisch sehr differenzierenden Bariton.

So überzeugend im Detail, so plastisch und nachdrücklich Hilsdorf über weite Strecken auch inszeniert: einige Momente irritieren. Der Kleidertausch von Sieglinde und Siegmund als Nachweis ihrer geschwisterlichen Identität wirkt reichlich plump. Das Glühbirnchen-Portal aus „Rheingold“ ist mit Neonröhren angereichert, welche nach einem nicht nachvollziehbaren Prinzip aus- und angehen. Im Finalbild (wo die Kostümbildnerin RENATE SCHMITZER für die party-bunt gewandeten Walküren ihre ganze Fantasie investieren konnte) rätselt man über eine männliche Puppenfigur auf dem Sofa. Hunding wohl nicht – was sollte der in Walhall? Loge schon eher; aber wie kann eine Mumie theatralischen Feuerzauber entstehen lassen? Wenn sich Wotan seinen Hut greift, ist das aber wieder ein sinniger Verweis auf die künftige Wanderer-Figur. Dass die vielen golemartigen Helden per Flugzeug angeschleppt werden, welches mit ohrenbetäubendem Lärm die Hojotoho-Musik einleitet, ist eine Kuriosität ohne vertiefende Bedeutung.

Von den Sängern sind noch die heiter gestimmten, sektlaunigen und weitgehend stimmgewaltigen Walküren zu nennen: JOSEFINE WEBER (Helmwige), JESSICA STAVROS (Gerhilde), KATJA LEVIN (Ortlinde), KATARZYNA KUNCIO (Siegrune), MARIA HILMES (Roßweiße), KATHARINA VON BÜLOW (Grimgerde) und EVELYN KRAHE (Schwertleite). Nach ihrer problematischen Turandot vor einiger Zeit überrascht LINDA WATSONs Brünnhilde nicht nur mit höhensicheren Hojotoho-Rufen, sondern auch mit sehr überlegter Textbehandlung. Mit ihrer wie von einem ehrgeizigen Coiffeur frisch hergerichteten Blondfrisur wirkt sie freilich kaum wie eine „reisige Maid“, eher wie eine vornehme Schwester Frickas. Die schauspielerischen Mittel der Sängerin wirken begrenzt.

Aber auch das ändert nur wenig am Eindruck eines weitgehend fulminanten Abends. Kommende Aufführungen im Duisburger Haus der Rheinoper (Mai/Juni) werden in den Hauptpartien eine andere Besetzung präsentieren. Vielleicht ergeben sich daraus noch einige neue Eindrücke.

Christoph Zimmermann 30.1.2018

Bilder siehe unten Erstbesprechung !