Düsseldorf: „Wozzeck“

Etiam altera pars audiatur !

Zum Zweiten

Premiere: 20.10.2017

Besuchte Vorstellung: 25.10.2017

Wenn die Wärter an Schlagstöcken onanieren…

Man muss nicht immer einer Meinung sein, aber ach den vielen vielen positiven, geradezu überschwänglichen Premierenkritiken, stiegt die Vorfreude auf die erste Neuproduktion der aktuellen Spielzeit an der Düsseldorfer Oper am Rhein gewaltig an, doch was den Schreiber dieser Zeilen dann am Mittwoch, den 25.10.2017 erwartete, hinterließ leider ein sehr zwiespältiges Gefühl. Doch der Reihe nach, mit Wozzeck von Alban Berg hat sich das Opernhaus ein interessantes Werk ausgesucht und für die Inszenierung Stefan Herheim gewinnen können, zweifellos ein sehr erfolgreicher und gefragter Regisseur unserer Zeit. Der gewählte Regieansatz klingt zudem spannend, zu Beginn wird Wozzeck im Namen des Volkes zum Tode verurteilt und nachdem ihm die symbolische Giftspritze verabreicht wurde, fliegt sein Leben in Form der Oper nochmal an ihm vorbei. Dies wird geschickt durch eine große Uhr im Bühnenbild dargestellt, die genau in der Sekunde stehen bleibt, in der das Gift anfängt zu wirken. Erst ganz am Ende der Oper läuft sie weiter, so dass die rund 100 Minuten dazwischen als Realzeit von nur 2-3 Minuten dargestellt werden.

Abgesehen davon, warum das durchaus symbolisch zu sehende „Gift“ in der Inszenierung einer offenbar elektronischen Hinrichtung weichen muss (ich möchte hier keine Effekt-Hascherei unterstellen, aber das Schaltpult könnte auch direkt aus einem Raumschiff entsprungen sein) ist dies wunderbar umgesetzt.

Leider stellen jedoch die 100 Minuten dazwischen ein Problem dar.

Dass die Gedanken unter Einfluss des (nicht vorhandenen) Giftes oder auch des nahenden Todes oft wirr daher kommen macht noch Sinn und ist der Inszenierung dienlich. Und auch wenn ich kein großer Freund der Darstellung von sexueller Gewalt auf der Bühne bin, so bin ich stets gerne bereit, dies entsprechend wirken zu lassen, sofern es wie hier in Form der Beziehung zwischen Marie und dem Tambourmajor dem Stück dienlich ist. Wenn diese Darstellung dann aber an den verschiedenen Stellen ausartet und mehr oder weniger zum Selbstzweck wird und eine Horde Wärter an Schlagstöcken wild onaniert während der Tambourmajor Marie sexuell mehr als nur belästigt, kann ich leider nur mit dem Kopf schütteln.

Das wirkt dann doch zu sehr nach Regiebaukasten, ebenso wie der Priester, der sich als Narr in Strapsen präsentiert. Auch dies ist weder sonderlich originell noch ruft es in der heutigen Zeit nach Skandal. Vielmehr wirkt es peinlich und ideenlos und man möchte dem Intendanten an diesen sich leider häufenden Stellen gerne zurufen, zukünftig lieber wieder auf große Regie und weniger auf große Namen zu setzen. Da dies aber während der laufenden Vorstellung nicht möglich ist, bleibt es beim sich wiederholenden enttäuschten Kopf schütteln. Passend sind allerdings die Bühne von Christof Hetzer, die Lichteffekte von Phoenix (Andreas Hofer) und die Videoeffekte von fettFilm (Torge Möller, Momme Hinrichs), die das Hinrichtungszimmer zum zentralen Element der Produktion machen.

Damit auch zu den weiteren positiven Aspekten der Aufführung. Musikalisch erklingt Wozzeck unter der Leitung von GMD Axel Kober hervorragend, die Düsseldorfer Symphoniker spielen die nicht immer leichte Partitur mit einer ordentlichen Portion Durchschlagskraft, die den Zuschauer für das Geschehen auf der Bühne entschädigt. Auch hinsichtlich der Besetzung darf sich der Opernfreund auf einen gelungenen Abend freuen. Bo Skovhus in der Titelrolle überzeugt durch sein Schauspiel und dadurch, dass er die Rolle die wenig Raum zum stimmlichen Glänzen bietet in allen Punkten meistert. Sami Luttinen sorgt als Doktor mit seinem gewaltigen Bass für Freude beim Zuschauer und auch Camilla Nylund als Marie weiß zu gefallen. Die weiteren Rollen sind mit Corby Welch (Tambourmajor), Cornel Frey (Andres), Matthias Klink (Hauptmann) Katarzyna Kuncio (Marget), Thorsten Grümbel (1. Handwerksbursch), Dmitri Vargin (2. Handwerksbursch) und Florian Simson (Narr) ebenfalls gut besetzt.

Das Publikum applaudierte am Ende recht verhalten und mehr höflich denn begeistert im ohnehin nicht so stark besetzten Opernhaus. Erst bei den Darstellern und dem Orchester gab es etwas stärkeren Zuspruch. Eigentlich wünscht man sich von solch einem Abend dann auf dem Heimweg irgendwie eine CD-Aufnahme, auf der die musikalische Qualität festgehalten bleibt, die Inszenierung aber entbehrlich ist.

Markus Lamers, 27.10.2017

Bilder siehe unten bei der Premierenbesprechung