Düsseldorf: „Don Carlo“

Premiere: 13.2.2016

Eine Aufführung des „Don Carlo“ wird immer wieder die Frage aufwerfen: Pariser Originalfassung von 1867 (fünfaktig, französische Sprache) oder die revidierte Mailänder Version von 1884 (ohne Fontainebleau-Bild und auf Italienisch)?

Die Plattenaufnahme von Georg Solti (1965, mit Ghiaurov und Talvela nota bene als kaum überbietbarem Gespann Filippo/Inquisitore) beweist, dass das Französische keine conditio sine qua non sein muss. Die musikalisch düstere Atmosphäre des Klosterbildes hat als Opernbeginn (und Brückenschlag zum Finale) viel für sich, der Fontainebleau-Akt schildert freilich die wichtige Vorgeschichte vom Kennenlernen Elisabettas und Carlos, das Aufkeimen ihrer Liebe und deren Zerstörung durch den politisch motivierten Heiratsantrag von Carlos Vater Filippo. Wo ist der Regisseur, welcher den Fortfall dieser Introduktion wirklich einmal gerechtfertigt hätte? Bei allem Pro für die Neuinszenierung im Düsseldorfer Haus der Deutschen Oper am Rhein: Guy Joosten ist es nicht. Aber er zitiert in einem Programmheft-Interview einen Ausspruch Verdis, wonach die Mailänder Fassung „kürzer und gehaltvoller“ sei. Ohne nähere Quellenangabe steht diese Formulierung freilich etwas beweislos im Raum.

Joosten ist ein kluger und belesener Theatermann, weiß also auch darüber Bescheid, dass der wirkliche Don Carlo ein körperlich wie geistig beschädigter Mensch war. Das integriert er in sein fieberträumiges Porträt des Opernhelden. Gewinnt Verdi aber dadurch? Eher macht es Sinn, das Realalter des historischen Filippo (32) mit dem des Düsseldorfer Interpreten Adrian Sampetrean (33) in Deckung zu bringen. Der Sohn von Carlo V. wäre solcherart ein noch „unfertiger“ Regent, der seine politischen Entscheidungen durchaus nicht „altersweise“ trifft. Dass der rumänische Bassist mit seiner festen, souverän formenden Belcantostimme eine attraktive Mannserscheinung ist, bringt zusätzliche Irritation für das traditionelle Rollenporträt mit sich, was inszenatorisch vorteilhafter hätte genutzt werden können.

Im Gespräch mit einer Tageszeitung bezeichnet Joosten die Beziehung von Carlo und Posa als „eindeutige Liebesbeziehung“, was er nach der Auseinandersetzung mit Eboli und der Briefübergabe an Carlo mit einem langen Kuss unterstreicht. Da an der Leidenschaft von Carlo zu Elisabetta aber wohl nicht zu rütteln ist, bleibt nur das Fazit: Posa ist schwul. Der Privatperson des Marquis sei dieses Gefühl gegönnt, aber gewinnt die Verdi-Figur dadurch?

Zu der Beispielsammlung inszenatorischer Fragwürdigkeiten noch ein letztes Zitat: „Auch die Kostüme haben eine zweite Ebene. Die Verwandlung ins Private wird durch modern geschnittene Unterkleider möglich, in denen die Körper der Protagonisten geschmeidiger und menschlicher werden, als in den strengen Schnitten der offiziellen Garderobe des Hofes. Nun denn, Eva Krämer hat dem Regisseur fantasievoll zugearbeitet.

Anderes in Joostens Arbeit wird indes wirklich dringlich. Die von Alfons Flores gestaltete Bühne besteht aus wabenartig strukturierten, goldfarbigen, bei Bedarf durchscheinenden Wänden, welche der Szene einen immer wieder neuen Grundriss geben. Auch durch die architektonische Symmetrie wird Enge, Abgeschiedenheit und hohles Zeremoniell suggeriert. Immer wieder durchqueren Mönche die Bühne, wohl aus dem Umkreis des Großinquisitors stammend: die Kirche hat Augen und Ohren überall. Posas Übergabe von Carlos Billet an Elisabetta wird von den Hofdamen mit aufdringlicher Neugierde beäugt.

Zu Joostens (durchaus solider, im Detail manchmal tatsächlich auch erhellender) Inszenierung gäbe es zu den bereits gemachten Einwänden Ergänzungen zu machen, so den Auftritt von Carlo beim Autodafé im Ketzerkostüm und den flämischen Gesandten mit Eselsohren. Ein etwas tolpatschiger Gag, welcher die Figur des Infanten komödiantisch verbiegt und zudem die Gefährlichkeit der Situation unterschlägt.

Eine besondere Hypothek der Aufführung ist die Figur des Posa. Abgesehen davon, dass Laimonas Pautienius im ansonsten exzellenten Sängerensemble eine ziemlich farblose Vokalleistung abliefert, wird dieser freiheits- und gerechtigkeitsglühende Mann als Charakter völlig vernachlässigt. Im Freundschafts-Duett mit Carlo betätschelt er den Infanten gönnerhaft, hat bei seinem Abschied im Gefängnis hat er sogar die Hände in den Hosentaschen (oder war das in der Premiere eine vorübergehende gestische Verlegenheit?) und … Fast könnte man mutmaßen, der Sänger sei erst in letzter Minute in die Produktion eingestiegen.

Doch wie gesagt: das Sängerteam um den bereits erwähnten Adrian Sampetrean ist glorios. Olesya Golovneva gibt eine empfindsame, klarstimmige Elisabetta mit müheloser, leuchtender Höhe, Ramona Zaharia eine mezzosatte, leidenschaftlich flammende Eboli, Sami Luttinen bassmächtig einen noch sehr vitalen Grande Inquisitore, also keinen körperlich hinfälligen Greis, wie er in der Regel (mit beklemmender Wirkung) porträtiert wird. Schöne Sopranstimmen führen auch Anna Tsartsidze („Hofdame“ Tebaldo) und Heidi Elisabeth Meier (Voce dal cielo) ins Feld. Weiterhin Torben Jürgens (Un frate) und Ibrahim Yesilay (Lerma). In der Titelpartie überzeugt Gianluca Terranova (auch mit 46 Jahren noch jünglingshaft wirkend) mit leidenschaftlichem Spiel, vor allem jedoch mit seiner emphatischen Tenorstimme, die in der Höhe nachgerade gleißt und sich in die Ohren der Zuhörer brennt, ohne dabei brutal zu wirken. Den reichen Kosmos von Verdis unglaublich berührender Musik bringt Andriy Yurkevych mit den Düsseldorfer Symphonikern ebenso klangschön wie dramatisch eloquent zum Klingen.

Christoph Zimmermann 14.2.16

Bilder (c) Rheinoper / Hans Jörg Michel

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