Premiere: 18.12.2019
Das Beste kommt zum Schluss
Um gleich mit der Türe ins Haus zu fallen, die bisherige Spielzeit der Deutschen Oper am Rhein war zwar durchaus gut, aber die ganz große und vor allen Dingen bleibende Opernerinnerung fehlte bisher. Diese hat man sich offenbar für das Jahresende 2019 aufgehoben, denn mit „I Puritani“ gelang dem Theater ein in allen Bereichen sehr überzeugender Opernabend.
Nur wenige Monate vor dem Tode von Vincenzo Bellini fand Anfang 1835 die Premiere seiner letzten Oper statt, bei der sich im Jahre 1649 kurz nach dem Tod von König Charles von England die Puritaner den königstreuen Kavalieren gegenüberstehen. Statt seine Tochter Elvira mit den im Kampf verdienten Sir Riccardo Forth zu verheiraten gestattet der Gouverneur Lord Gualtiero Valton zum Wohle seiner Tochter eine Liebesheirat mit dem Royalisten Lord Arturo Talbot. Kurz vor der Hochzeit begegnet dieser aber einer Gefangenen, die sich als Enrichetta entpuppt, Gattin des ermordeten Königs. Arturo muss sich zwischen der Liebe zu Elvira und der Loyalität gegenüber dem Königshaus entscheiden. Er verhilft Enrichetta zur Flucht und wird hierfür zum Tode verurteilt. Elvira fühlt sich betrogen und verfällt dem Wahnsinn. Um sie hiervon zu heilen schickt ihr Onkel Sir Giorgio Riccardo los, den Geliebten zu suchen. Wiederwillig aber vaterlandstreu willigt Riccardo ein. Doch Arturo kommt von Sehnsucht getrieben von allein zurück und nach dem endgültigen Sieg von Oliver Cromwell über die Royalisten werden alle Gefangenen Kavaliere begnadigt, darunter auch Arturo. Dem seltenen Happy End einer Oper steht nichts mehr im Wege, zumindest im Originallibretto.
Anders sieht dies Rolando Villazón in seiner zweiten Regiearbeit an diesem Hause. Hier laufen Elvira und Arturo am Ende aufeinander zu, doch im letzten Moment drängelt sich Enrichetta dazwischen und Elvira bleibt im letzten starken Bild des Abends dann doch in ihrem Wahnsinn gefangen und scheint sich das ersehnte Happy End nur eingebildet zu haben. Hierbei gelingt Adela Zaharia über den gesamten Abend eine mehr als nur beeindruckende Leistung. Sie bringt die Zerrissenheit der Person mit starkem eindringlichem Schauspiel deutlich zur Geltung und glänzt mit strahlender Stimme und schönen Koloraturen. Besonders die große Wahnsinnsszene im 2. Akt ist ein musikalischer „Wahnsinn“ im übertragenen Sinne des Wortes. Ihr zur Seite steht der rumänische Tenor Ioan Hotea als Lord Arturo Talbot, der diese anspruchsvolle Rolle bis auf wenige Ausnahmen in den hohen Tönen absolut meistert. Zudem harmonieren beide Stimmen sehr schön und Rolando Villazón gibt den Figuren genug Raum zu glänzen. Auch die Rolle des Sir Giorgio bekommt sehr viel Gewicht, wird er doch immer wieder wie ein von der Macht getriebener Strippenzieher hinter den Kulissen dargestellt.
Mit kraftvollem Bass überzeugt hier Bogdan Talos, der wie die beiden zuvor genannten Darsteller am Ende vom Publikum mit lautstarkem Jubel und nicht enden wollenden Bravo-Rufen bedacht wird. Das Quartett der Hauptdarsteller rundet Jorge Espino mit seinem schönen Bariton ab, als Sir Riccardo Forth ist er auch darstellerisch stark vertreten. Die weiteren Solopartien sind mit Günes Gürle (Lord Gualtiero Valton), Sarah Ferede (Enrichetta di Francia) und Andrés Sulbarán (Sir Bruno Roberton) allesamt stark mit Darstellern aus dem Haus besetzt. Ganz hervorragend ist wiedermal der Chor der Deutschen Oper am Rhein, der in dieser Inszenierung stark zur Geltung kommt. Abgerundet wird der musikalische Teil durch die Duisburger Philharmoniker, die unter der musikalischen Leitung von Antonino Fogliani die ganze Pracht großer italienischer Opern erklingen lassen. Um ein Zitat von Vincenzo Bellini aus dem Programmheft zu benutzen: „Das Musikdrama muss Tränen entlocken, Leute erschrecken und durch Gesang sterben lassen.“ Zumindest der letzte Teil ist an diesem Abend erfüllt, denn musikalisch erlebte der Zuschauer hier einen echten Leckerbissen.
Wie bereits erwähnt hält sich Rolando Villazón hinsichtlich der Personenführung hin und wieder etwas zurück, um die Sänger musikalisch voll glänzen zu lassen. Dies mag dem ein oder anderen vielleicht etwas antiquiert vorkommen, stört aber nicht im Geringsten. Zudem will er keinen Geschichtsunterricht bieten und ordnet die Geschichte zwar hinsichtlich der Kostüme (Susanne Hubrich) durchaus in einen historischen Zusammenhang, ersetzt die Säbel aber durch moderne Maschinengewehre. Auch dies stört nicht und ist auch mehr oder weniger der einzige wirklich aus der Zeit gerissene Aspekt der Inszenierung. Ein echter „Hingucker“ ist das große Bühnenbild von Dieter Richter, welches im ersten Akt aus einem großen Kirchenschiff mit einem detailreichen Chorgestühl besteht. Anders gedeutet kann der Raum auch gleichzeitig Palast und Gerichtssaal sein. Für die Szene in Elviras Schlafzimmer fährt eine Wand mit einem großen Bild herunter, um den Raum zu teilen. Dabei wird das Bild durch geschickten Lichteinsatz (Volker Weinhart) durchlässig und man sieht wie Elviras Vater mit Riccardo spricht. Im zweiten Akt wird das Chorgestühl durch graue Mauern ausgetauscht, um die innere Gefangenschaft von Elvira auch bildlich darzustellen. Vor dem dritten Akt bricht ein großer Teil aus der Rückwand heraus und wir befinden uns unterstützt von Herbstlaub und Staub vor den Gemäuern des Hauses. Später ist auch ein Wald zu erkennen, der das Gelände umgibt.
Das Premierenpublikum feierte alle Beteiligten fast 10 Minuten mit lautstarkem Beifall und als Fazit bleibt für mich festzuhalten, hier einen wundervollen Opernabend erlebt zu haben, der keine Wünsche offenließ.
Markus Lamers, 19.12.2019
Bilder: © Hans Jörg Michel