Düsseldorf: „Hoffmanns Erzählungen“, Jacques Offenbach (zweite Besprechung)

Jacques Offenbach komponierte neben zahlreichen Operetten auch einige Opern, von denen Hoffmanns Erzählungen nicht nur das populärste, sondern auch sein letztes Werk ist. Es wurde erst nach seinem Tod fertiggestellt, so dass die Uraufführung im Februar 1881 stattfinden konnte. Die ersten Pläne entstanden jedoch bereits rund zehn Jahre zuvor, nachdem Offenbach das gleichnamige Drama von Jules Barbier und Michel Carré gesehen hatte, das er unbedingt vertonen wollte. So schrieb Jules Barbier auch im Auftrag Offenbachs das Libretto für die Oper. Der Entstehungsprozess der Oper zog sich jedoch immer wieder in die Länge, und als Offenbach in der Nacht zum 5. Oktober 1880 starb, war die Oper zwar in großen Teilen skizziert, zudem lagen weitere Notizen und Kompositionen vor, aber eine endgültige Fertigstellung des Stückes blieb Offenbach verwehrt. Vielmehr beauftragte seine Witwe den damaligen Intendanten der Opéra-Comique Léon Carvalho und den Komponisten Ernest Guiraud mit der Erstellung einer aufführungsreifen Partitur. Auch später wurde das Werk immer wieder überarbeitet, so dass zahlreiche Manuskriptseiten mit Varianten der Oper existieren und ein Besuch von Hoffmanns Erzählungen auch heute noch immer wieder neue Überraschungen hinsichtlich der gewählten Version bereithalten kann.

© Barbara Aumüller

Inhaltlich basiert die Oper auf verschiedenen Erzählungen von E. T. A. Hoffmann, wie z. B. Der Sandmann, Rat Krespel, Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild oder Klein Zaches, genannt Zinnober. In einer kurzen Einleitung im ersten Akt, in der der Dichter Hoffmann im fahlen Schein einer Kerze an seinen Texten arbeitet, erscheint ihm die Muse in Gestalt des Studenten Nicklausse, um ihn an drei unglückliche Liebschaften zu erinnern. Es folgen drei fast unabhängige Akte der Erinnerung des Künstlers. Zuerst erinnert sich Hoffmann an Olympia, eine Automatenfrau, die er dank einer speziellen Brille von Coppélius als lebendig empfindet. Diese Liebe macht ihn zum Gespött der Gesellschaft. Auch mit Antonia ergeht es Hoffmann nicht besser. Antonia leidet an einer tödlichen Krankheit, und je mehr sie singt, desto schneller wird sie sterben. Ihr Vater Crespel versucht, seine Tochter zu beschützen, doch er scheint machtlos gegen den Einfluss des dämonischen Dr. Miracle, so dass Antonia sich schließlich in den Tod singt. Der Dichter, der von der großen Liebe nichts mehr wissen will, begegnet nun der Kurtisane Giulietta, die es im Auftrag Dapertuttos auf sein Spiegelbild abgesehen hat. Hoffmann erliegt Giuliettas Verführungskünsten und verliert sein Spiegelbild. Im abschließenden fünften Akt finden wir uns in der Szenerie des Anfangs wieder, wo Hoffmann an seinem Schreibtisch sitzt und die Muse mit ihrer Arbeit zufrieden scheint, denn nur ein leidender Künstler kann Kunst schaffen.

© Barbara Aumüller

Es ist nicht neu, verschiedene Regieteams für die einzelnen Akte dieser Oper zu engagieren, und auch in dieser Koproduktion mit der Oper Graz geht man diesen Weg. Diese Art der Inszenierung ist zwar oftmals etwas holprig und in sich nicht immer ganz schlüssig, aber das Regiekonzept in Düsseldorf kann hier durchaus punkten. Dies liegt auch daran, dass man die einzelnen Akte bewusst mit der vielfältigen Kreativität Hoffmanns kombiniert und durch verschiedene Theaterformen darstellt. Das ist nicht nur kreativ, sondern zugleich sehr bildstark umgesetzt. Für den Olympia-Akt zeichnet das Theaterkollektiv von 1927 verantwortlich, hier namentlich Paul Barritt, Esme Appleton und Jennie Dunne. In Form ihrer vielfach gefeierten Zauberflöte, die übrigens ab dem 24. April 2025 wieder in Düsseldorf zu sehen sein wird, sorgen ganz wunderbare Animationen für ein ganz besonderes Theatererlebnis. Diese sind perfekt auf die Aktionen der Darsteller abgestimmt, was zu teilweise verblüffenden Effekten führt. Gleichzeitig werden auf diese Weise die vielen Zahnräder, aus denen Olympia zusammengesetzt ist, bildhaft dargestellt. Hier sind es vor allem die Darsteller Elena Sancho Pereg (Olympia), Florian Simson (Spalanzani) und Andrés Sulbarán (Cochenille), die eine wirklich beeindruckende Kombination aus Gesang und sekundengenauem Timing liefern.

Nicht minder fantastisch sind die von Neville Tranter geschaffenen lebensgroßen Puppen, die im Antonia-Akt die Rollen von Crespel und Dr. Miracle übernehmen und hier gleichzeitig von einem Puppenspieler und den Sängern Thorsten Grümbel bzw. Bogdan Taloş verkörpert werden. Wunderbar, wie hier Sänger, Puppenspieler und Puppe zu einer Figur verschmelzen. Antonias Mutter wird von zwei Puppenspielern verkörpert, während Katarzyna Kuncio diese Rolle aus dem Off singt. Das passt insofern sehr gut, als die Mutter bereits verstorben ist und hier nicht wirklich in Erscheinung tritt. Auch eine weitere, neu in der Geschichte hinzugefügte, etwas kleinere Puppe, die stumm das Geschehen beobachtet und gelegentlich mit Gesten kommentierend eingreift wird von zwei weiteren Puppenspielern mit Leben gefüllt. Effektvoll umgesetzt ist unmittelbar vor der Pause Antonias Tod, bei dem sich das in diesem Akt als Hinterbühne gestaltete Bühnenbild (Stefan Rieckhoff) auf der großen Drehbühne um 180 Grad dreht und Darija Auguštan als Antonia einen letzten großen Auftritt beschert.

© Barbara Aumüller

Nach der Pause folgt der Akt der Giulietta, für den Nanine Linning auf große Chorografien setzt. Neben einem großen Spiegelkasten besteht das Bühnenbild hier vor allem aus Rauch und Dunkelheit, die durch geschickte Lichteffekte (Sebastian Alphons) immer wieder durchbrochen wird. Ganz in Blau gekleidet verkörpert der Opernchor wohl das Wasser Venedigs, wobei sich hier an der einen oder anderen Stelle der Gedanke einschleicht, dass die Regie vielleicht etwas zu viel vom Chor verlangt, der zwar ganz wunderbar singt, aber eben nicht aus Balletttänzern besteht. So erklingt im vierten Akt zwar mit der Barcarole der zweifellos größte Hit des Abends, und sowohl Sarah Ferede als Giulietta als auch der Opernchor können hier überzeugen, darüber hinaus fällt dieser Akt allerdings etwas ab, ist dafür aber auch recht kurz gehalten. Für die passende Klammer um das Werk ist Tobias Ribitzki verantwortlich, der im ersten Akt gekonnt die Grundlagen für die gewählte Erzählweise legt und im fünften Akt ein schönes Ende findet. Ein verbindendes Element aller fünf Akte ist zudem der rote Theatervorhang, der in der Inszenierung immer wieder auftaucht und unterschiedlich eingesetzt wird. Sehr schön ist die Idee, dass die Muse am Ende die erloschene Kerze wieder anzündet, allerdings sollte man hier für die Folgevorstellungen ein paar Streichhölzer mehr bereithalten, denn wenn die Kerze wegen des erloschenen Streichholzes erst einige Minuten später von Hoffmann angezündet werden muss, um sie dann wieder auszublasen, zerstört dies schon ein wenig einen nicht unwichtigen Punkt des Konzeptes.

© Barbara Aumüller

Musikalisch kann die Produktion überzeugen. Der rumänische Tenor Ovidiu Purcel als Hoffmann und die Mezzosopranistin Maria Kataeva als Muse / Nicklausse haben an diesem Abend alle Hände voll zu tun und ernten am Ende zu Recht stürmischen Applaus des leider nur spärlich erschienenen Publikums. Die weiteren Rollen sind allesamt aus dem Ensemble der Rheinoper treffend besetzt. Zudem führt der französische Komponist, Dirigent und Pianist Frédéric Chaslin als ausgewiesener Fachmann die Düsseldorfer Symphoniker einfühlsam durch den Abend. Musikalisch ist Hoffmanns Erzählungen in Düsseldorf ein großer Genuss in einer Inszenierung, die vor allem vor der Pause sehr unterhaltsam ist und insgesamt ein großes Opernerlebnis schafft.

Markus Lamers, 18. April 2025


Hoffmanns Erzählungen
Opéra fantastique in 5 Akten von Jacques Offenbach

Deutsche Oper am Rhein – Opernhaus Düsseldorf

Premiere: 13. April 2025
Besuchte Vorstellung: 16. April 2025

Inszenierung: Tobias Ribitzki / 1927 / Neville Tranter / Nanine Linning
Musikalische Leitung: Frédéric Chaslin
Düsseldorfer Symphoniker

Trailer

Weitere Aufführungen: 19. April, 23. April, 27. April, 4. Mai, 25. Mai, 30. Mai, 7. Juni