Engelbert Humperdinck
Premiere: 6. Oktober 2022
Besuchte Vorstellung: 11. Oktober 2022
Nur kurz nach der Uraufführung (1910) waren Humperdincks „Königskinder“ einmal in den Niederlanden zu sehen. Die Amsterdamer Inszenierung ist für das dortige Publikum somit eine Neuentdeckung. Dirigent Marc Albrecht und Regisseur Christof Loy setzen mit dieser Produktion ihre Zusammenarbeit an der Nationalen Oper fort („Arabella“, „Tannhäuser“) und liefern gleichzeitig ein Seitenstück zu ihren Berliner Arbeiten („Das Wunder der Heliane“, „Der Schatzgräber“).
Die düstere Liebesgeschichte zwischen ausgestiegenem Königssohn und Gänsemagd wird von Christof Loy geradlinig und ohne komplizierte Neudeutungen und Hinterfragung erzählt. Sehr sensibel zeichnet Loy die Charaktere und auch bei dreieinhalb Stunden Spieldauer kommt keine Langeweile auf. Wie sich das Paar ist ersten Akt begegnet und annähert, ist lebendiges und gefühlvolles Theater. Auch die großen Chorszenen werden ganz natürlich in bewegte Bilder überführt. Ein schöner und poetischer Einfall ist es für die Geigensoli die Musikerin Camille Joubert als Verkörperung der Liebe auf die Bühne zu holen.
Loy hat auch die beschwingten Szenen der Tänzer choreografiert, die als stumme Figuren die Akte einleiten und dann zu Beobachtern der Handlungen werden und stellvertretend für das Saalpublikum mit auf der Bühne stehen. Überrascht ist man, dass diese Oper, die als Waldidyll beginnt und pessimistisch in einer kahlen Winterlandschaft endet, in solch hellen Farben auf die Bühne gebracht wird.
Kostümbildnerin Barbara Drosihn kleidet das ganze Ensemble, selbst die bitterböse Gesellschaft der Hellastadt in weiße, über pastellene bis graue Kleidung.
Bühnenbildner Johannes Leiacker ist ein alter Bekannter von Christof Loy aus der gemeinsamen Zeit am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier. Dort war Loy in jungen Jahren Regieassistent und Leiacker war für die Ausstattung von Kindertheater, Operette und Oper zuständig. Längst ist Leiacker einer der besten und gefragtesten Bühnenbildner Europas. Sein „Königskinder“-Bühnenbild beeindruckt mit seiner Schlichtheit: Vor einem weißen Rundhorizont sehen wir im ersten Akt links die kleine Behausung der Hexe, rechts steht eine gigantische blühende Linde. Im zweiten Akt entsteht durch die Linde, einem Tisch und vielen Klappstühle ein Platz in der Stadt.
Dirigent Marc Albrecht findet immer das richtige Tempo, um die Geschichte mal lyrisch, mal dramatisch fließen zu lassen. Die Übergänge zwischen Wagnerismen, Volksliedton und impressionistischem Zauber gelingen ihm vorzüglich. Die größten Gänsehautmomente hat das Orchester in den Pianissimo-Passagen.
Auch die Sängerbesetzung ist hervorragend: Olga Kulschynska ist eine jugendfrische und spielfreudige Gänsemagd. Daniel Behle hat den Königssohn schon vor 10 Jahren in David Böschs düstere Frankfurter Inszenierung gespielt: Er überzeugt mit seinem lyrischen Tenor und einer feinen Gestaltung der Zwischentöne dieser Rolle. Josef Wagner singt den Spielmann noblem und kraftvollem Bariton. Doris Soffel, die mittlerweile seit über 50 Jahren auf der Opernbühne steht, trifft immer noch jeden Ton und verfügt eine durchsetzungsfähige Stimme. Störend sind lediglich ihre Registerbrüche. Zurück auf der Opernbühne meldet sich Henk Poort. Der begann seine Opernkarriere in den späten 80er Jahren in Krefeld und Mönchengladbach, wechselte dann aber in den Niederlanden auf die Musicalbühne und wurde ein Star in „Les Miserables“ und „Phantom der Oper“. Hier hat er nun einen kleinen Auftritt als Ratsältester.
Diese Amsterdamer Produktion ist szenisch und musikalisch ein starkes Plädoyer für Humperdincks viel zu selten gespielte Oper. Da die Inszenierungen von Christof Loy oft europaweit von anderen Theatern nachgespielt werden, darf man gespannt sein, welche Häuser diese Produktion übernehmen werden.
Rudolf Hermes, 13.10.22
Bilder (c) Monika Rittershaus