Puccini 3
25.5. (Premiere am 10.6.2000)
Eine detailverliebte herzergreifende Inszenierung
Als Vorlage für sein Meisterwerk voller Schmelz diente Puccini die vom US-amerikanischen Rechtsanwalt und Schriftsteller John Luther Long (1861-1927) publizierte Kurzgeschichte der „Madame Butterfly“, die 1898 im New Yorker Century Illustrated Magazine 55, p. 274-292 publiziert wurde. Dieser verwertete darin den Bericht seiner Schwester Sarah Jane Long Correll (1849-1933) über ein Teehaus-Mädchen namens „Cho-san“ sowie die 1887 erschienene Erzählung Madame Chrysanthème von Pierre Loti (1850-1923).
In einem wesentlichen Punkt weicht die Kurzgeschichte von Long aber vom Libretto, das Luigi Illica und Giuseppe Giacosa für Puccini entwarfen, ab. Bei Long plant Madame Butterfly zwar wegen ihrer verlorenen Ehre Selbstmord mit dem Samuraidolch ihres Vaters, wird aber durch Suzuki und den Lärm ihres Kindes davon abgehalten. Am nächsten Tag findet Adelaide (bei Puccini: Kate Pinkerton) das Haus leer vor… Jahre später behauptete Long dann, dass ein gewisser Thomas Grover in Nagasaki der erwachsene Sohn von Madame Butterfly sei (http://everything2.com/title/Madame+Butterfly). Wir können also beruhigt sein, Cho-Cho-San musste zumindest als literarische Gestalt überleben, damit sie in der Oper „Junior Butterfly“ (2004) des japanischen Komponisten Shigeaki Saegusa (geb. 1942) vor dem Hintergrund des Atomdramas in Nagasaki, ihren Sohn wieder sehen kann.
Seit dem 10. Juni 2000 wird Madama Butterfly in der Inszenierung von Gábor Miklós Kerényi, dem derzeitigen Direktor des Operettentheaters in Budapest, der seit einigen Jahren als Regisseur unter dem Kürzel KERO® firmiert, gezeigt. Das Bühnenbild des ungarischen Multimedia-Künstlers Kentaur (László Erkel), einem direkten Nachfahren des ungarischen Komponisten Ferenc Erkel, zeigt ein filigranes japanisches Haus, dessen Gestalt sich durch Schiebetüren häufig verändert und das inmitten einer Guckkastenbühne steht. Die drei Seitenwände sind in je 48 Rechtecke unterteilt, 8 in der Breite und je 6 in der Höhe. Ein Garten mit Kirschbaum und eine kleine Brücke ergänzen stilvoll diese Genreszene. In diese Umgebung passen auch die von Ilona Vágvölgyi entworfenen historisierenden Kostüme des beginnenden 20. Jahrhunderts. Die stärkste optische Wirkung an diesem Abend geht jedoch von der ausgeklügelten atmosphärischen Lichtregie aus, die sensibel alle Gemütsregungen der Titelheldin widerzuspiegeln vermag. Die Seitenwände und der Hintergrundprospekt ermöglichen auch viele spannende Schattenspiele während der kontemplativen Momente in Puccinis Musik. Regisseur Kerényi gelangen immer wieder stark kontrastierende Szenen.
Wenn etwa Onkel Bonze polternd mit Gefolge auftritt und Cho-Cho-San mit ihrem kleinen Jungen den Garten mit Blüten schmückt. Das alles verrät eine Handschrift mit Liebe zum Detail bis hin zur sentimentalen Gefühlsregung. Und so bleibt auch für den mitfühlenden Betrachter, der die Story ohnehin kennt, kein Auge trocken, wenn Cho-Cho-San am Ende der Oper mit dem Tantō ihres Vaters die rituelle Selbsttötung, den jigai, an sich vollzieht. Derartige seelische Erschütterungen beim Publikum hervorzurufen, dazu bedarf es aber mehr als nur zweier großartige Sängerschauspieler.
An diesem Abend gestaltete Andrea Rost ein packendes und ergreifendes Bild der Kindsfrau Cho-Cho-San. Eine so intensive Verinnerlichung dieser Rolle erlebt man äußerst selten. Als idealen Partner stand ihr an diesem Abend Boldizsár László zur Seite. Wohl phrasierend mit eleganter Linienführung gab er den US-amerikanischen Marineoffizier Benjamin Franklin Leutnant Pinkerton, der aus reinem Übermut die in Japan existierende „Zeitehe“ mit der unerfahrenen und naiven Cho-Cho-San eingeht. Die Verona-erfahrene Andrea Ulbrich ergänzte als Suzuki mit ihrem kräftigen Mezzosopran und großer Anteilnahme am Schicksal ihrer Herrin auf ideale Weise. Eszter Zavaros gefiel als mitfühlende Kate.
Róbert Rezsnyák verkörperte wieder einmal mehr den würdevollen Fürsten Yamadori. Anatolij Fokanov gestaltete trotz eines tragischen Verlustes im engsten Familienkreis den amerikanischen Konsul Sharpless (nomen est omen!), dem das Schicksal der Butterfly doch nahe geht, mit großer Anteilnahme. Letztendes schlägt er sich aber im Konflikt zwischen den unterschiedlichen Ethnien doch auf die Seite seines Landmanns Pinkerton Zoltán Megyesi trat einmal mehr als geschäftstüchtiger Streichholzfabrikanten Goro auf und Ferenc Cserhalmi verkörperte den äußerst dämonischen Onkel Bonze. Als kaiserlicher Beamter wirkte an diesem Abend noch Sándor Egri mit rauem Bariton mit. Ein großer Teil des Erfolges an diesem Abend gebührte auch dem in Rom geborenen italienischen Dirigenten Pietro Rizzo. Unter seinem äußerst einfühlsamen Dirigat erblühte das Orchester der Ungarischen Staatsoper an diesem Abend zu wahrer Höchstform. Gábor Csiki leitete den gewohntermaßen engagiert singenden Chor der Ungarischen Staatsoper. Die Aufführung wurde vom Ungarischen Fernsehen aufgezeichnet, damit leider auch eine kleine Panne im zweiten Akt, wo sich einer der Paravents nicht verschieben ließ. Der lang anhaltende Applaus verteilte sich gleichmäßig auf alle Mitwirkenden und auch der Rezensent war mit dem Erlebten sehr zufrieden.
Fotocredits Szilvia Csibi