Essen: „Der Troubadour“

Christoph Zimmermann

Inszenatorisches Ärgernis

Das Publikum im wunderschönen Aalto-Theater in Essen war einer Meinung. Über das Regieteam Patrice Caurier/Moshe Leiser ergoss sich ein Buhsturm, gegen den auch vereinzelte Dauerjubler mit ihren Bravos nicht ankommen konnten. Und diese einhellige Ablehnung war mehr als verständlich.

In dem tristen Bühnenbild von Christian Fenouillat, das mit an den Wänden aufgestellten Plastikstühlen und einem Rollgitter an der rechten Seite die Tristesse einer Lagerhalle verströmt, müssen die bemitleidenswerten Sängerinnen und Sänger sich einer Kriegsszenerie unterwerfen, die nichts zur Erhellung des komplizierten Sujets beiträgt, sondern dem Ganzen aufgepfropft wird und immer wieder zu absurden und auch abstoßenden Einfällen führt. Graf Luna erschießt eigenhändig seinen Bruder Manrico und die Zigeunerin Azucena mit einer Pistole, die Stretta Manricos wird am Ende durch einen Bombentreffer „zerschmettert“, der nicht nur Gaston Rivero, dem Sänger des Manrico, seinen Spitzenton verhagelt, sondern auch den Bühnenraum in eine Trümmerwüste verwandelt, Azucena singt ihre berühmte Auftrittsarie in einem weißen Krankengitterbett, Manrico eilt mit einer Krücke zum Stelldichein mit Luna und benutzt seine Gehhilfe dann als Waffe im Kampf um die Geliebte und dergleichen wunderbare Einfälle mehr.

Der Tiefpunkt ist erreicht, wenn die total verrohte Soldateska aufgegeilt und jubelnd einem ihrer Kumpanen zusieht, wie der eine Gummipuppe brutal vergewaltigt. Schiller hatte offensichtlich diese makabre Idee der Regisseure vorausgesehen, als er im „Ring des Polykrates“ dichtete. „Hier wendet sich der Gast mit Grausen.“ Ein Besucher an diesem Abend brachte das ganze Elend dieser Inszenierung auf den Punkt: „ Eine krude Scheinaktualisierung richtet das Drama der Gefühle, um das es im Troubadour geht, zugrunde!“.

So sehr sich das Publikum in der Ablehnung der Inszenierung einig war, so einhellig fiel andererseits der enthusiastische, allerdings auch recht kurze Beifall für die musikalischen Akteure aus. Und auch hier lag das verständige Essener Opernpublikum richtig. Die Essener Philharmoniker unter ihrem Dirigenten Giacomo Sagripanti liefen zur Höchstform auf. Sagripanti lotet Verdis wunderbare Musik detailversessen aus, ohne je das große Ganze aus den Augen zu verlieren. Sowohl in den dramatischen als auch lyrischen Passagen der Partitur ist er den Sängerinnen und Sänger ein kongenialer Begleiter, deckt die Stimmen nie zu, gibt im wahrsten Sinne des Wortes Raum zum Atmen. Auch der Chor (Jens Bingert) meistert die Chorszenen mit Bravour.

Bei den Solisten gebührt dem georgischen Bariton Nikoloz Lagvilva in der Rolle des Grafen Luna höchste Anerkennung. Musikalität, Klangschönheit der Stimme, eine völlig uneitle Präsentation seines Prachtbaritons machen Lagvilvas Interpretation der Rolle zu einem Genuss. In der Titelpartie stellte sich mit Gaston Rivero ein in Essen bestens bekannter Tenor der Extraklasse vor, der diese Rolle bereits an zahlreichen mittleren und großen Häusern verkörpert hat. Leidenschaft, Attacke, eine sichere Höhe, die vor allem in der Mittellage und im Mezza Voce schön einschwingende Stimme machen ihn für den Manrico nicht zur gerade schlechtesten Wahl unter den augenblicklichen Tenören. Seine große Szene im 3. Akt „Ah! Si, ben mio“ hätte allerdings ein wenig mehr Melos vertragen können und die fulminant begonnene Stretta „Di quella pira“ litt unter dem schon zitierten Bombeneinschlag.

Die Litauerin Carmen Topiscu macht durch ihren Gesang wett, was die Inszenierung ihr an Verbiegungen zumutet. Ihre wunderbar geführte Mezzosopranstimme spricht in allen Lagen an und gibt die innerliche Zerrissenheit der Figur in allen nur möglichen Schattierungen herzergreifend wieder.

Das gilt mit Einschränkungen auch für die Rumänin Aurelia Florian, der man anlässlich ihres Gastspiels an der „Deutschen Oper Berlin“ bereits das „Diven-Gen“ attestiert hat. In ihrer großen Arie im 1. Akt „Tacea la notte placida“ wird der Eindruck noch durch einige Intonationsprobleme und scharfe Spitzentöne getrübt, im Verlauf des Abends steigert sie sich jedoch erheblich. Ihr üppig flutender, dunkel timbrierter Sopran, vor allem aber ein sicher angesetztes, klangvolles Piano machen ihre Arie „D‘ amor sull‘ all rosee“ zu einem Erlebnis. Baurzahn Anderzhanov als Ferrando, Liliana De Sousa als Ines und Albrecht Kludszuweit als Ruiz komplettieren ein insgesamt imponierendes Sängerensemble, das eine so verstörende Inszenierung wahrlich nicht verdient hat.

Norbert Pabelick 5.12.2017

CETERUM CENSEO

Darüber hinaus verlieh der Chefredakteur des OPERNFREUNDs die gefürchtete OPERNFREUND SCHNUPPE – den Negativpreis für Grottenschlechtes (wie z.B. diese Regie-Produktion). Bitte nachlesen.

Bilder

Fotos (c) Aalto