Essen: „Norma“

Aufführung 16.9.2016

Ein Regie-Ärgernis

Die Opernfreude in NRW haben es in der soeben begonnenen Spielzeit nicht einfach, gibt es doch eine Reihe kritischer Inszenierungen, angeführt von Wuppertal mit unsäglichen „Hoffmanns Erzählungen“, der Bonner „Boheme“, dem „Faust“ in Dortmund und dem rabenschwarzen „Othello“ in der Rheinoper. Die Essener Aalto-Oper muss sich leider in dieser Reihe einfügen lassen, trotz eines hervorragenden musikalischen Niveaus der „Norma“, welches in unseren beiden anderen Rezensionen umfangreich dargestellt wird. In der besuchten Aufführung am 16.10.2016 gehörte die Palme des Abends eindeutig dem glutvollen, warmen und herrlich tiefen Mezzo von Bettina Ranch als Adalgisa, knapp gefolgt von Katia Pellegrino (Norma), die zunächst einige Schärfen hören liess, nach der Pause aber zu großer Form auflief.

Auch Gianluca Terranova, ein „klassischer“ italienischer Tenor, war trotz gelegentlich überzogener Lautstärke angenehm zu hören, ebenso muss der Koreaner Insung Sim als Oroveso besonders lobend erwähnt werden. Die Musiker waren prächtig in Form, der Dirigent Giacomo Sagripanti ein vorzüglicher Begleiter der Sänger; er nahm das Orchester immer wieder zurück und schlug oftmals sehr langsame Tempi an, ohne jedoch den Spannungsbogen jemals zu gefährden.

Aber die Inszenierung: furchtbar. Der Stoff wird enthistorisiert, Hoheisel hat beliebige Kostüme schneidern lassen, die in ihren Farben allerdings symbolische Aussagekraft haben sollen: Norma und Adalgisa in weißen Gewändern (Reinheit), aber mit leuchtend rotem Überwurf (Rot = Leidenschaft, Liebe, auch Sünde). Im zweiten Teil dann mit schwarzem Überhang: Symbol von Verzweiflung und Tod. Das alles wirkt mehr naiv als gekonnt, die Don-Kosaken-Montur der gallischen Krieger plus ihrem Hackebeilchen einfach nur komisch und lächerlich.

Dazu schlimmstes Stehtheater: Es wird an der Rampe gesungen, auch dort, wo es um die Konfrontation der Figuren und die Austragung von Konflikten geht. Man schreitet hoheitsvoll und vorhersehbar durch die Szenerie, ringt die Hände und pflegt eine Gebärdensprache, die an Stummfilmzeiten gemahnt. Szenischer „Höhepunkt“ beim großartigen dramatische Duett Norma-Adalgisa im 2. Akt: die Damen kauern singend und unbeweglich rechts und links direkt neben dem Souffleurkasten, es fehlte nur noch das tätschelnd tröstliche Händchen der Souffleuse aus dem Untergrund.

Auch scheint der Zaubertrank von Mirakulix mit im Spiele zu sein; da schaffen es die Druiden, mit federleichter Hand tonnenschwere Steinquader zum Altar zu stapeln, von der mehr als albernen Fesselung des Pollione an wackeligen Pfählen ganz abgesehen. Zum Weinen schön. Nirgends auch nur der Versuch, die vom Sujet her schon wenig stimmige psychologische Entwicklung der Figuren zu interpretieren und dem Stoff einen wie auch immer gearteten Aussagewert zukommen zu lassen.

Die Choreografie des Chores, wenn man denn überhaupt von einer solchen sprechen kann, ist an Hilflosigkeit kaum noch zu überbieten. Da wird im Takt der Musik vor- oder zur Seite geruckt, alle kommen im Pulk zügig auf die Bühne und gehen genauso wieder weg, ebenso bewegen sich die Druiden und Priesterinnen: Fein in Reihe und Glied, immer alles auf Kommando gleichzeitig und vorhersehbar. Von Natürlichkeit keine Spur. Man wird schon arg an die legendären Opernparodien von Otto Schenk „Tosca auf dem Trampolin“ oder als Kölner an das „Divertissementchen“ zur Karnevalszeit erinnert.

Aber immerhin: Pellegrino gelingt trotz der unsäglichen Inszenierung, die Gefühle dieser großen Tragödin der Opernliteratur glaubhaft zu verkörpern. Musikalisch lohnt der Besuch allemal; man sollte vielleicht eine Sonnenbrille einstecken.

Michael Cramer 21.10.16

Foto (c) Aalto / Jung