Essen: „Der Barbier von Sevilla“

Premiere am 4.Juni 2016

Rossini at his Best am Aalto – Über die scheinbare Leichtigkeit des Humors in der Oper

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Verehrter Opernfreund, lieben Sie spritzig leichten Champagner-Rossini? Haben Sie Spass an lustig fröhlicher Oper? An witzigen Regieeinfällen? An Künstlern, die mit überbordendem Herzen, beseelter Lebenslust und Spass am Musiktheater unterhalten? Kurzum: Möchten Sie einen Opernabend einmal von Anfang bis Ende fröhlich genießen und dann herrlich beschwingt heimfahren?

Oder gehören Sie Sie zu den nicht wenigen Menschen, für die es alternativlos – condition sine qua non – nur historische Kostümoper gibt. Jenen Menschen ggf. mit Sado-Maso-Touch, die ausschließlich dem Opern-musealen frönen wollen und die einem so regelmäßig (nicht nur an der Wiener Staatsoper) bei Premieren begegnen.

Eben jene, die mit finsterer Beerdigungs- Miene, leicht vorgebeugt im erwartetem Leidensdruck geradezu ins Theater wanken, um ewig Gleiches wiederholt zu goutieren, wo ihnen dann dicke Sängerinnen Opern servieren, um kreischende Frauen, Harakiri, Blut- und Rachorgien – badend in orchestralem Schwermetall und konterkariert mit deprimierendem Rampensteh-Gesang.

Also Dinge, die wie Saumagen oder Eisbein nicht nur den Magen belasten, sondern Ihnen auch den Rest noch des Wochenendes versauern?

Wenn Sie nun also zum Theater-Besucher-Typus der Letzteren gehören, wäre diese moderne Produktion ignorabel und nichts für Sie, denn dieser Barbier ist der Inbegriff lustvoll gespielten, fröhlich gesungenen und locker orchestrierten Musiktheaters – eine exemplarische Inszenierung über die scheinbare Leichtigkeit des Seins, des Lebens und der Liebe allgemein bzw. der Eifersucht im Besonderen. Ein Rossinischer „Barbier von Sevilla“, wie ich ihn selten gesehen habe. Das dabei auch noch fast alles intelligent kurzweilig durch den sprichwörtlichen Kakao gezogen wird, was uns so in der hehren Oper allgemein begegnet, ist einfach genial realisiert. Das ist Unterhaltung vom Feinsten, Opera vom Besten!

Eine Kiste ist kein Karton, oder doch?

Sie werden es kaum glauben: Frachtkisten spielen eine große Rolle. Das Konzept von Philipp Gloger basiert auf überwiegend diesem Requisit (Bühne: Ben Baur), den wir in allen Größen, Formen und Dimensionen begegnen werden.

Da kann man sich reinsetzen, draufsetzen, etwas verbergen, sich verstecken oder Geschenke nett präsentieren und noch vieles mehr. Und das ist das Schöne: denn ganz im Gegensatz zu Barrie Koskies deprimierender Pappkarton-Phobie (wir erinnern uns an die Essener Götterdämmerung) hat hier alles etwas Spielerisches, Leichtes und Sinnvolles. Keiner soll vera…… werden. Der Regisseur mag das Werk. er liebt Musiktheater.

„Es geht um Menschen, die von Geldgier, Eitelkeiten und der Musik gesteuert werden. Das ist mein Zündstoff.“

so der Regisseur und er zündet mit seinem Team dieses Paket, woraus sich ein Feuerwerk bezauberndster Einfälle und Gags entwickelt; was natürlich kaum alleine funktioniert, wären da nicht die vorbildlich aufspielenden Essener Philharmoniker mit Maestro Giacomo Sagripanti, einen Rossini-Genius am Pult. Ein Dirigent, der förmlich alles gibt und diese kunterbunte Produktion mit so perlend musikalischer Leichtigkeit begleitet. Es ist ein besonderes Vergnügen, diesen tollen Dirigenten zu beobachten. Sein Dirigierstil ist so verblüffend wie überzeugend. Man hat das Gefühl, daß er diese Oper wahrlich durchlebt und daß den Noten der Partitur durch seine Vermittlung Flügel wachsen, die sich über die Umsetzung der vorzüglichen Musici in die Herzen der Zuhörer fliegen. Was für toller Rossini-Sterneabend!!

Marie Roth (Kostüme) hat eine Couture-Zauberwelt zwischen Realismus und Phantasie geschaffen, die einmalig ist; wobei die realen NRW-Polizei-Uniformen ganz wunderbar mit blonder Elvis-Tolle karikiert werden: Deppen mit Kunstfrisur – die Keystone Cops der Neuzeit.

Ordnung schafft die Polizei, wo Menschen wohnen

Erinnerung an die Polizisten in Schostakowitschs Lady MacBeth keimen in mir auf. Überhaupt sind die Perücken ein wesentliches Moment der Produktion und des steten Humors. Angefangen vom Karajanschen Look des Hilfs-Dirigenten (Figaro in diversen Rollen) über die befrackten Musiker (nicht wenige Zuschauer dachten, daß da tatsächliche einige der Essener Musiker aus dem Orchestergraben steigen 😉 bis hin zu Bartolo, der als Andy Warhol rüberkommt.

Begnadeter Einfall und Running Gag ist die gigantische rote Geschenk-Schleife, die Rosina wie eine Stola variantenreich um ihren Hals und ihr Dekollete drapiert oder zum Handtuchmännchen staffierte, welches dann ihren zornigen Attacken als Ohrfeigenempfänger erbarmungslos ausgeliefert ist. Was man alles mit dem Ding machen kann ist unglaublich…

Oder Don Basilio (großartig Tijl Faveyts) als Ozzy Osbourne-Verschnitt, dessen „Pace, pace…“ obertitelmässig auf „Love and Peace“ zur großen Gaudi des Publikums übersetz wird. In diesem Zusammenhang gleich ein Superlob an Christian Schröder für die köstliche Modernisierung der Übertitel, ohne allzu platt, seicht und unpassend zu wirken. Vorbildliche Arbeit!

Die mehr als gelungene athmosphäre-schaffende Lichtregie (da namentlich diesmal nicht extra genannt, ordne ich sie auch dem Bühnenbildner Ben Baur zu) wäre auch noch zu würdigen.

tempus fugit

Überhaupt hat man jede Sekunde, vor allem des mit 1 45 h ja häufig sehr langatmig wirkenden ersten Aktes inszenatorisch aufs Feinste ausziseliert. Die Zeit vergeht wie im Flug. Langeweile war gestern. Und der zweite Akt ist fast nur noch ein Apercu. Es ist das erste mal, daß ich diese Oper eigentlich als viel zu kurz empfinde. Man hätte noch stundenlang diese letztlich doch „schrecklich nette Familie“ genießen können.

Wesentliches Element waren natürlich auch die Künstler – sie präsentierten sich nicht nur als Sänger, sondern vielfältig multicharaktere Musiktheater-Darsteller vom Feinsten. Eine derartig 100-prozentig überzeugende Rollenidentifikation mit einem Regiekonzept ist selten zu erleben. Und das Schöne: bis auf einen Gast waren

alles Ensemblemitglieder. Was für ein Plädoyer für diese Theaterform, die neunmalkluge dümmliche Mensch und Kulturignoranten andern Ortes abschaffen wollen, oder dies (Wuppertal) schon getan haben.

Allen voran Karin Strobos als Rosina und der Figaro des Georgios Iatrou – schauen Sie sich das wunderbare Szenenbild rechts an, denn Bilder sagen oft mehr als Worte. Hier geht die Post ab.

Mit Juan José de Leon als Almaviva hatte man einen gestandenen Gast, der die Rolle auch dieses Jahr in der Arena di Verona singen wird. Baurzhan Anderzhanov Bartolo in Gestalt Andy Warhols war ebenso überzeugend, wie die Rockgröße Don Basilio Tijl Faveyts als noch junger Ozzy Osbourne. Ambrogio (Markus Weiss) und Berta (Ann de Ridder) hatten Auftritte, die ein Loriot nicht hätte besser konzipieren können – ein geglücktes Dinner-for-Two-Duo in geradezu artistisch filmreifer Action.

Daß die Herren des Opernchores des Aalto-Theaters (Leitung Patrick Jaskolka) nicht nur gut singen können, sondern auch überzeugend als Essener Philharmoniker, Polizistentruppe und Lagerhallen-Werker auftreten können, ehrt sie und zeugt von großem Spielvermögen. Aber mal ehrlich Gentlemen: Daß muß doch auch tierisch Spass gemacht haben, oder?

Am Ende kann ich nur noch unseren seltenen aber heißbegehrten vielbravierten OPERNFREUND-STERN noch zusätzlich verleihen für einen Opernabend, den man auch als Kritiker, sich sofort noch einmal ansehen möchte.

Auf nach Essen! Aufführungen gibt es dieses Jahr mit neun Folgevorstellungen noch genug und die vielen für die nächste Saison, sind auch schon buchbar. Tun Sie sich diesen Spass an mit ganz herzlicher Empfehlung vom OPERNFREUND. Ein wunderbarer Abend warte auf die ganze Familie.

Peter Bilsing / 5.6.16

Bilder (c) dank an Bettina Stöß, die trefflich auf den Auslöser klickte ;-))