Valle d’Itria: „Rinaldo“

Flickenteppich

Die beim diesjährigen Festival gezeigte Fassung der Händel-Oper unterscheidet sich grundlegend von der allgemein bekannten, denn die Partitur wurde von dem Kastraten Nicola Grimaldi (Künstlername: Nicolini), der schon an den Londoner Aufführungen 1711 und 1717 beteiligt war, nach Neapel verbracht und den dortigen Gebräuchen angepasst. Wie damals durchaus üblich, wurde ein anderer Komponist, diesfalls der aus Apulien stammende Leonardo Leo, mit der Bearbeitung beauftragt. Er sollte ein sogenanntes Pasticcio erstellen, mit dem eine Zusammenstellung von Arien verschiedener Komponisten gemeint war, die das ursprüngliche Werk bereichern sollten. (Im heutigen italienischen Sprachgebrauch hat das Wort seine Bedeutung in „Pfuscherei, Hudelei“ verändert, natürlich neben dem kulinarischen Sinn als Pastete). Leo war auch für die Einführung eines im neapolitanischen Dialekt singenden Buffopaares verantwortlich und beauftragte seine Kollegen Francesco Gasparini, Giuseppe Maria Orlandini, Giovanni Porta, Domenico Sarro und Antonio Vivaldi mit der Mitarbeit.

Bei einem ersten Hören dieser Fassung wird klar, dass sich Händels Musik qualitativ doch sehr von der seiner Kollegen unterscheidet. Da es bei einer solchen Gelegenheit natürlich nicht möglich ist, die verschiedenen stilistischen Feinheiten zu unterscheiden, kann nicht entschieden werden, wer am ehesten Händels Sprache nahekommt. Besonders beeindruckend war jedenfalls das den 2. Akt beschließende Quartett. Außerdem ging die Musik zu den von Leo geschriebenen komischen Einschüben verloren, ein herber Verlust, denn er hätte eine Beurteilung des Gesamtwerks sicher erleichtert.

Von Fabio Luisi und seinem aus Zürich mitgebrachten Orchestra La Scintilla hatte man sich einiges erwartet. Leider war die Enttäuschung groß, als eine recht flache Wiedergabe zu hören war, der viele Farben fehlten. Einmal mehr stellte sich heraus, dass es auch am Pult die Barockspezialisten zurecht gibt. Luisi ist ein rechtens sehr geschätzter Dirigent, doch Barock ist seine Sache eindeutig nicht. Nur eine gesanglich wirklich tolle Besetzung hätte der aufkeimenden Langeweile Einhalt gebieten können. Leider war es nur zwei Interpretinnen gegeben, echte Faszination auszustrahlen. In der Titelrolle brillierte Teresa Iervolino mit überzeugend maskulinem Gehaben, aber vor allem mit ihrem auch Alttiefen nicht scheuenden Mezzo und einer mehr als gefestigten Technik. Als Zauberin Armida (die hier weniger bösartig dargestellt wird als in anderen Opern jener Zeit) zeigte Carmela Remigio, dass sie ihren Sopran auch dem barocken Stil anzupassen vermag und ihm dabei hohe Expressivität abzuringen versteht. Fand Rinaldos Verlobte Almirena in Loriana Castellano und ihrem Mezzo stilvolle, wenn auch nicht wirklich berührende Verkörperung, so war leider wirklich schlecht ihr Vater Goffredo mit dem näselnd krähenden Tenor Francisco Fernández-Rueda besetzt. Da wurde tatsächlich eine qualitative Linie unterschritten. Francesca Ascioti (Argante) und Dara Savinova (Eustazio) blieben unauffällig. Als Nesso und Lesbina gaben Simone Tangolo und Valentina Cardinali den Text des Buffopaares zur verloren gegangenen Musik Leos auf eine das Publikum zurecht mitreißende Art und Weise wieder.

Problematisch blieb die Inszenierung von Giorgio Sangati, denn der junge Regisseur hatte den Interpreten den körpersprachlichen Stil heutige Popideale verordnet. Für den Großteil der Zuschauer blieben die Figuren somit ein Rätsel, denn ein „Aha, vielleicht Madonna“ oder „Das waren doch die Kiss“ sollte nicht die Grundlage für die modernisierte Wiedergabe einer Barockoper sein (wobei gegen eine stilistische Auffrischung natürlich überhaupt nichts einzuwenden wäre). Große Bedeutung kam der Beleuchtung von Paolo Pollo Rodighiero zu, der die Szene (Alberto Nonnato) je nach dem Geschehen in rotes oder blaues Licht tauchte. Die Kostüme von Gianluca Sbicca folgten der vom Regisseur in Richtung Pop eingeschlagenen Chiffre.

Ein doch recht ermüdender über vierstündiger Abend.

Eva Pleus 17.8.18