Festspielhaus Baden Baden, 08. Juni 2019
Jean Sibelius
Finlandia Overtüre op. 26 Nr. 7
Violinkonzert d-Moll op. 47
Antonín Dvořák
Sinfonie Nr. 9 „Aus der neuen Welt“ e-Moll op. 95
Solist: Emanuel Tjeknavorian, Violine
Was für ein Programm! Drei beliebte Meisterwerke der Spätromantik, vorgetragen vom Philharmonischen Orchester der Mailänder Scala unter Leitung von deren Musikdirektor, Riccardo Chailly. Dazu ein vorzüglicher Nachwuchsgeiger, Emanuel Tjeknavorian. Beste Voraussetzungen für ein besonderes Konzerterlebnis…..und so kam es auch!
Die erste Programmhälfte stand ganz im Zeichen von Jean Sibelius. Zunächst erklang von ihm dessen erfolgreichste Komposition Finlandia. Die 1900 uraufgeführte Komposition gilt den Finnen auch heute noch als „geheime Nationalhymne“. Die große Feierlichkeit im einleitenden Bläserchoral verfehlt selten seine Wirkung. Und bereits in den ersten Takten zeigte das Mailänder Elite-Orchester seine Klasse. Perfekt im Zusammenspiel und in der Intonation erklang die Gruppe der Blechbläser. Riccardo Chailly betonte in seinem Dirigat die große, gesangliche Linie in seinen Phrasierungen, vor allem im ruhigen Mittelteil. Klar und zupackend gerieten die Eckteile der beliebten Tondichtung. Pulsierende Streicher, vor allem die sehr wuchtigen Kontrabässe und Celli, dazu innige Farben der Holzbläser, ergänzt durch hinreichend prasselnde Beckenschläge ergaben einen spektakulären Beginn, wie er gelungener nicht sein konnte.
Danach folgte dann das Violinkonzert des großen Finnen. Dieses so besondere Werk erfreut sich seit jeher größter Beliebtheit. Jeder Interpret wird maximal gefordert durch die schweren Anforderungen. Unzählige Doppelgriffe, schwierigste Intervallfolgen und ausgeprägte Kantabilität müssen bewältigt werden. Der junge Geiger Emanuel Tjeknavorian hat eine besondere Verbindung zu diesem Stück. Denn im Jahr 2015 wurde ihm beim Internationalen Jean Sibelius Wettbewerb der Preis für die beste Interpretation dieses Werkes zuerkannt. Und der fabelhafte Geiger zeigte eine herausragende Interpretation. Das in den Jahren 1903 – 1905 entstandene Werk umfasst drei Sätze.
Der erste Satz begann mit großer Ruhe und größter tiefer musikalischer Kontemplation. Chailly zauberte einen fast lautlosen Beginn. Tjeknavorian fand darin sofort einen sehr besonderen schwebenden Ton auf seiner Geige und zog damit den Zuhörer in seinen Bann. Wie bereits im März in Frankfurt, so beeindruckte auch hier die dynamische Bandbreite, die vom fahlen Pianissimo bis ins kraftvolle Forte nahtlos gesteigert wurde. Tjeknavorian wurde ganz eins mit jeder Note und fühlte sich tief in den Notentext hinein. Höhepunkt war das ruhige Adagio. In wunderbar breiten Kantilenen wurde das Hauptthema ausgestaltet, so dass es tief berührte. Der Kontrast dann im Schlusssatz ist groß. Tjeknavorian zeigte nun mit größter Spielfertigkeit sein virtuoses Können und betonte deutlich den tänzerischen Grundcharakter. Alles wirkte derart leicht und spielerisch umgesetzt! Große Begeisterung für diesen Virtuosen!
Riccardo Chailly war ein hellwacher Begleiter mit seinem makellos musizierenden Orchester. Und dennoch: das Orchester wurde zur zweiten Stimme, ein lebendiger Dialog zwischen Solisten und dem Klangkörper. Chailly setzte in seiner Gestaltung weniger auf deutliche Kontraste, sondern vor allem auf die große Melodielinie und klare Transparenz. Natürlich konnte er auch zupackend musizieren und das Orchester mächtig aufrauschen lassen, was vor allem den zweiten Satz so besonders werden ließ. Und die Filarmonica della Scala begeisterte auch hier mit höchster spielerischer Kompetenz an allen Pulten. Das Publikum jubelte ausgiebig, so dass der junge Wiener Geiger mit armenischer Abstammung sich mit einer persönlichen Zugabe bedankte: ein armenisches Volkslied „Der Kranich“, das von einem Mönch geschrieben wurde.
Nach der Pause dann ertönte eine der beliebtesten Symphonien der gesamten Konzertliteratur. Drei Jahre Aufenthalt in Amerika, in der „Neuen Welt“, inspirierten Antonin Dvorak zu seinem symphonischen Gipfelwerk, zu seiner 9. Symphonie. Intensiv erforschte er die Gesänge der Indianer Völker und verarbeitete manche Tonfolge bekannter Spirituals. Und doch sind natürlich die Klänge seiner böhmischen Heimat unverkennbar.
Eine Steilvorlage also für jedes Orchester, das eigene Können unter Beweis zu stellen. Und Riccardo Chailly animierte sein Orchester unablässig und motivierte es zu Höchstleistungen. Großartig, dass er sowohl im ersten als auch im dritten Satz die häufig gestrichenen Wiederholungen spielte.
Bereits im ersten Satz intonierten die Hörner makellos, ebenso wie die Holzbläser. Herrlich markig dann die akzentuiert agierende Pauke. Mit größtem Schwung und feurigem Brio fegten die Streicher durch das Allegro molto. Starke Akzente warf Chailly immer wieder in die Gruppe der exzellent aufspielenden Celli und Kontrabässe hinein.
Im anschließenden berühmten Largo hatte dann das Englischhorn seinen großen Moment. Der Solist des Orchesters schuf sogleich eine Klangoase der tiefsten Seeligkeit. Es war eine sehr nette Geste von Chailly am Ende des Konzertes an diesen fabelhaften Solisten seine Blumen weiterzureichen. Dvorak nannte das Largo auch „Legende“, ein Trauergesang des Indianers Hiawatha, der den Tod seiner Angebeteten beklagte. Die Zeit stand hier still, die Musik erklang in einer Bildhaftigkeit, die tief berührte. Ein magischer Moment.
Wunderbar locker und tänzerisch leicht geriet dann das Scherzo mit intensiv aufspielender Triangel. Auch hier verarbeitete Dvorak Motive aus dem Hiawatha Epos in Form eines Hochzeittanzes.
Kaum ein symphonischer Satz in Dvoraks Werk dürfte derart dynamisch sein, wie der finale Satz. Hinzu kommt seine verblüffende Meisterschaft in der Verarbeitung der Motive, so dass in diesem vierten Satz nochmals alle Hauptmotive erklingen. Chailly mobilisierte dann im beschließenden Allegro con fuoco nochmals alle Kräfte. Das Orchester spielte um sein Leben, voller Leidenschaft und Emphase. Am Ende kamen die Hörner dadurch mit kleinsten Kicksern in Nöte. Das kann auch einem Elite-Orchester passieren, letztlich machte es dieses besondere Orchester noch sympathischer, dass mit seiner Spiellaune derart mitriss.
Chailly zeigte sich in dieser Symphonie als Meister in der dynamischen Gestaltung, der die gesamte Bandbreite vom körperhaften Piano bis ins gewaltige Fortissimo traumwandlerisch sicher ausspielte.
Die Filarmonica della Scala zeigte eine eindrucksreiche Umsetzung dieser vielschichtigen Partitur. Begeisternd die Perfektion und das aufmerksame Hören untereinander. Es war ein besonderes Erlebnis, diese herrliche Symphonie auf diesem Niveau zu hören. Das Publikum geriet außer sich vor Begeisterung! Und natürlich bekamen die Zuhörer eine Zugabe. Diese fiel mit der Ouvertüre zu Gioachino Rossinis Oper „Semiramide“ sehr großzügig aus. Mit knapp 14 Minuten ist sie eine seiner längsten Ouvertüren. Und so hatte das jubelnde Publikum viel Gelegenheit, erneut die fantastische Qualität des Orchesters zu bestaunen. Großartig hier die dann wieder erstarkten Hörner im Bläserchoral und die herrlich spitze Piccoloflöte.
Zu Recht größte Begeisterung am Schluss. Was für ein herausragender Konzertabend!
Dirk Schauß 10.6.2019
Bilder vom Konzert liegen leider nicht vor.