
Wagner und kein Ende… Der bekannte Satz kann auch auf das große Gebiet der Wagner-Karikaturen, ja: auf das sehr große Gebiet bezogen werden. Denn immer noch wird der „Meister“ gezeichnet und reizvoll verzeichnet, spitz und zutreffend porträtiert sowie dem mehr oder weniger freundlichen Gelächter eines Publikums ausgesetzt, das alte oder neue Wagner-Karikaturen zu Gesicht bekommt. Sie repräsentieren auf ihre spezielle (Kunst-)Art und (Mal-)Weise das Menschlich-Allzumenschliche eines Ausnahmekünstlers und Genies, dem sich, zumal im 19. Jahrhundert, viele Verhrerinnen und Verehrer nur auf Knien zu nahen pflegten; der Gang nach Bayreuth galt ja lange Zeit als Pilgerfahrt.
Auf all diese Aspekte macht Sven Friedrich, der Leiter des Bayreuther Wagner-Museums, aufmerksam, als er die neue Sonderausstellung im Neubau von Haus Wahnfried eröffnet. Es ist durchaus konsequent: Nach der VolksWagner-Ausstellung und der folgenden Mensch Wagner-Exposition begibt man sich weiter in das charmante und geistreiche, boshafte und brillante Souterrain der Wagner-Rezeption. „Ich wollte Wagner vom Podest holen“ – dieser damals von empörten Wagnerianern angegiftete Satz des Bayreuther Ring-Regisseurs Patrice Chéreau fällt einem ein, wenn man sich, die programmatischen Anmerkungen der Kuratoren im Gedächtnis, durch die Ausstellung arbeitet. Denn Arbeit bedeutet es zuweilen, die enorm kleinen Drucktexte, die manch Karikatur erst verständlich machen, zu lesen, doch glücklicherweise erläutert ein Beiheft mit Zitaten alle Vor- und Hintergründe der 79 Arbeiten. Umgekehrt – es war eine glänzende Idee – hat man einige der kleinen und detailreichen Zeichnungen überdiemnsional groß auf die weißen Wände gebracht. So kann man nun, falls man nicht schon vorher ein mehr oder weniger gutes Faksimile des biographisch wie künstklerisch höchst wertvollen Blatts mit einer Lupe studierte, erstmals alle, aber auch wirklich alle köstlichen wie sinnreich-anspielungsmäßigen Details der bekannten Zeichnung betrachten, auf der Wagners Freund Kietz im Paris der frühen 1840er Jahre den wilden Komponisten samt Hund Robber und Frau Minna verewigt hat. Der Weg, sagt man zu Beginn Kaiser Napoleon, vom Erhabenen zum Lächerlichen ist manchmal kurz – so wie der umgekehrte. Sieht man den sozusagen aufgeblasenen Wagner an den Wänden, begreift man von Neuem, dass nur der, der in einem derartigen Ausmaß parodie- und karikaturwürdig war und blieb, selbst in seiner karikierten Gestalt von wahrlich tollster Großartigkeit ist.
Dabei entdeckt selbst der so genannte Kenner noch Trouvaillen, von denen er nicht ahnte, dass sie existieren. Rund 70 Prozent der ausgestellten Blätter stammen aus der Sammlung von Gunther Braam, der nicht allein das Buch über Wagner in der Fotografie vorgelegt hat, sondern auch ein eminenter Kenner der Wagner-Karikaturen (etc. pp.) ist; hoffen wir, dass er seine gesammelten Funde einmal zwischen zwei Buchdeckeln vereinigen kann. Eduard Fuchs und Ernst Kreowski haben 1907 ein gutes und umfangreiches Buch über die damals bekannten Wagner-Karikaturen vorgelegt – das ist lange her und war längst nicht den Gegenstand erschöpfend. So ist das, wie gesagt, umfangreiche und lustige wie tiefsinnige Gebiet der Wagner-Karikatur schon deshalb alle Aufmerksamkeit wert, weil man – wie Gunther Braam (aber wer ist schon „wie“ Gunther Braam) – auch auf diesem durchaus nicht randständigen Gebiet noch schönste Funde machen kann. Wagner selbst hat vielleicht oft über seine Konterfeis gelächelt, so wie er sich nicht zu schade war, viele kalauernde Verslein in Form von Dutzenden von Scherzgedichten einer durchaus nicht ehrfürchtigen Nachwelt zu hinterlassen. Auch in diesem Sinne kommt also das Wahre mit dem Richtigen zusammen. Er selbst fand pübrigens, angeblich, denn es fehlt eine authentische Quelle, dies es beweisen würde, die Wiener Wagner-Parodien Johann Nestroys sehr spaßig – wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden.
In Bayreuth stoßen wir nun auf wohlgegliederte Themen namens Wer zahlt?, Drucksache Wagner, Kritzelei und Kult, Samt und Seide und viele andere Sujets. Der erste Wagner-Karikaturist war übrigens Wagner selbst, der – anderslautenden Gerüchten zum Trotz – ein gehöriges Maß an Selbstironie besaß. Er hat sich da selbst in der Pariser Zeit unter einem burlesken Gedicht für seine Frau als bärtiges Männchen verewigt. Später, vor Allem ab den 60er Jahren, als Wagner zunehmend zu einer international bekannten Figur avancierte und seine Kunst so umstritten war wie der Komponist selbst, war er das tägliche Futter für die französischen, deutschen und österreichischen, auch russischen und englischen Karikaturisten. In deren Wagner-Bildern spiegelte sich im Prinzip Alles, was die kritisch eingestellte Öffentlichkeit gegen den Verschwender, Seidenunterhosenträger, Gesamtkunstwerksmusiker und Krachmacher Wagner vorzubringen hatte – nur, dass die Zeichner des Floh, des Punch und wie die Blätter alle hießen (eine Medienstation präsentiert die Blätter und ihre Künstler) ihr Objekt so lustvoll durch den publizistischen Kakao zogen, dass noch der heutige Wagnerfreund wie feind seinen Spaß daran hat. Auch das heikle Terrain des Antisemitismus wird, natürlich, nicht ausgelassen; „Wagnerismus im Judenthum“, so heisst eine jener Karikaturen, die uns Wesentliches über die zeitgenössische Art und Weise verraten, wie man seinerzeit auf das verminte Gelände schaute: als amüsante wie böse Beiträge zu einer „unabschliessbaren Diskussion“ (Udo Bermbach). Man sieht: Zwischen Vergöttlichung und Kritik gab es seit je eine gewaltige Spanne. Kein Wunder auch, dass Wagner nicht allein Einzelzeichnungen, sondern – das passte zum Tetarlogistiker – ganze Zeichnungszyklen gewidmet wurden, die die Ausstellungsmacher mit leichter Hand „Comics“ nennen. Im Übrigen ist es so schön wie erhellend, endlich einmal einige Zeichnungen im Kontext ganzer Zeitschriften- und Zeitungsseiten anschauen zu dürfen. Es macht durchaus einen Unterschied, ob man die Bilder als singuläre Ansichten oder in Zusammenhang mit all den anderen Karikaturen und Notizen liest, die die Welt ansonsten bewegten. Auch zu dieser Seite hin glückt der Ausstellung etwas Neues, indem es im Alten, um‘s mal hochgestochen auszudrücken, die Novitäten von Anno Dunnemals als historisch konkrete und kontextualisierte Interpretationen Richard Wagners dechiffriert. Weniger wissenschaftlich formuliert: „Wenn Cosima Wagner eine Ahnung davon hätte, was wir hier heute tun: Ich bräuchte mich in Bayreuth nicht mehr sehen lassen.“
Sven Friedrich und Oliver Zeidler werden auch im nächsten Jahr eine Ausstellung anbieten, die Wagner, den notorisch Polarisierenden, gleichsam vom Podest holt oder, um es freundlicher zu sagen, vermenschlicht. Eine Trilogie, sagt der Direktor, wäre unwagnerisch, eine Tetralogie soll es schliesslich werden. Wenn sie nur halb so anregend, vielseitig, ästhetisch faszinierend und historisch vermittelnd ist wie diese, hätte sie schon ihren Zweck erfüllt. Wagner wird ja durch die Karikaturen nicht kleiner, im Gegenteil: Jedes Blatt zeugt nach wie vor von seinem Ruhm. In den Pausen zwischen den einzelnen Teilen des Ring oder vor und nach dem Parsifal dürfte die Ausstellung mit ihren vielen köstlichen, gelind oder stark ressentimentgesättigten wie komischen Blättern, betrachtet man‘s nur dialektisch, genau das Richtige sein.
Frank Piontek, 13. Juli 2025
Spot(t)-Light
Richard Wagner in der zeitgenössischen Karikaturen
Ausstellung im Richard-Wagner-Museum Bayreuth