Piacenza: „La Favorita“

Aufführung am 18.2.22 (Premiere)

Der Regisseur Andrea Cigni war bisher in Italiens gehobener Provinz als verlässlicher Handwerker, dem auch gute Einfälle nicht fehlten, bekannt. Und nun das! Donizettis Belcantodrama spielte sich in einem – Anatomiehörsaal ab. Die bemitleidenswerten Sänger wurden wie für eine Autopsie auf einer Liege hereingeschoben; zum Glück schreckte Cigni davor zurück, sie nackt zu zeigen und hatte sie in weiße Tücher gehüllt. Der die Studenten verkörpernde Chor (nicht ganz so sattelfest wie gewohnt) zeigte je nach Szene in einzeln auf Zettel geschriebenen Wörtern wie „Pflicht“, „Liebe“, „Ablehnung“ und Ähnlichem seinen Kommentar. In großen, jeweils mit dem Rollennamen beschrifteten Glaskästen wurden die Kostüme hereingeholt und die Sänger mit Fortschreiten der Handlung damit bekleidet. Der Hörsaal wurde einige Male so verschoben, dass sich eine graue Wand zeigte, vor der sich das Geschehen abspielte. (An die von Alfonso besungenen, prachtvollen Gärten des Alcazar darf man da freilich nicht denken…).

Unter der Voraussetzung, dass eine Regie nicht viel wert ist, wenn man zuvor die Erläuterungen des Regisseurs lesen muss, habe ich mir diese erst nachher angesehen und erfahren, dass die Gefühle der handelnden Personen gleichsam seziert werden sollten und ihnen die Kostüme angelegt wurden, um zu zeigen, in welche Rollen sie gepresst waren und damit ihre Emotionen unterdrücken mussten. Warum sich Cigni plötzlich kopflastigem Regietheater verpflichtet sah, bleibt sein Geheimnis. Für den Zuschauer blieb nur die Feststellung, dass die Szene (Dario Gessati) langweilig und hässlich war und wieder einmal ein Konzept über eine schon im Ursprung konfuse Handlung gestülpt wurde, ohne dass szenisch mit den Sängern gearbeitet worden wäre. So ergab sich schlimmstes Stehtheater, verschärft durch das An- und Ablegen der Kostüme auch während Nummern, auf welche sich Sänger wie Zuschauer gerne störungsfrei konzentriert hätten.

Gegeben wurde die italienische Fassung, die trotz der Absurdität des Librettos das Werk im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts populär gemacht hat. Seit der Wiederauffindung des französischen Originals von 1840 wird meist der dramaturgisch sinnvolleren französischen Version der Vorzug gegeben.

Auf Grund schwerwiegender Eingriffe von Vertretern sowohl des Vatikans als auch des Hofs war 1860 ein vor Unlogik strotzender Text zusammengestellt worden, in dem der Mönch Baldassare nicht nur der spirituelle, sondern aus einem früheren Leben auch der leibliche Vater Fernandos ist. Zudem hat er eine Tochter (also Fernandos Schwester), welche die Gattin von König Alfonso XI. ist, wovon Fernando offensichtlich keine Ahnung hat. So wurde u.a. vermieden, dass auf der Bühne eine päpstliche Bulle zerrissen wird… Ein Sujet, das mehr als jedes andere eine zumindest für das Auge erfreuliche Umsetzung gebraucht hätte.

Wie so oft in solchen Fällen übertraf die musikalische Umsetzung trotz kleinerer Abstriche bei weitem den von der Bühne kommenden Eindruck. Das Orchestra Filarmonica Italiana zeigte, wie sehr ein Klangkörper der Mittelklasse an einem Dirigenten wachsen kann, dessen guter Draht zu den Musikern durch deren Vertrauen belohnt wird. Matteo Beltrami fand schon ab den ersten Takten der mit spontanem Applaus bedankten Ouvertüre die ideale Balance zwischen dramatischen und lyrischen Momenten und ließ die ganze Bandbreite der Farben von der hitzigen Verfluchung des Königs durch Baldassare bis zum fast entrückten Schlussduett der Liebenden auffächern. Dass dabei die Aufmerksamkeit für die Solisten und ihre Bedürfnisse nie zu kurz kam, versteht sich bei diesem Maestro von selbst.

Anna Maria Chiuri als Favoritin Leonora ist zwar keine Belcantospezialistin und hatte mit manch höherem Ton dieser nach ihrer ersten Interpretin benannten Falcon-Rolle ihre Schwierigkeiten, aber die stabile Mittellage und vor allem die Expressivität der Rezitative und insgesamt die Intensität machten ihre Interpretation zu einer überzeugenden. In der mit sovracuti gespickten Rolle des Fernando gefiel Celso Albelo mit sicheren Höhen seines angenehm timbrierten Tenors, der allerdings mehrfach nasal klang. Er hätte für seine Auftritte einen richtigen Regisseur gebraucht, wie auch Simone Piazzola, der dem König seinen schönen Bariton, der weiter an Volumen zugelegt zu haben scheint, lieh, aber mit hängenden Schultern und schlurfendem Gang seinem Rang nicht gerecht wurde. Da wäre auch Tommaso Lagattolla gefordert gewesen, der die – mit Ausnahme des absurden Kopfputzes der Damen – an sich hübschen Kostüme entworfen hatte. Einen ausgezeichneten Eindruck hinterließ der Koreaner Simon Lim mit donnerndem Bass als strenger Baldassare. Um ihn endgültig zu beurteilen würde ich ihn gerne in einer Rolle hören, wo auch Weichheit gefragt ist. Vorzüglich war Renata Campanella als Ines mit klarem, leichtem Sopran, und auch Andrea Galli (Tenor) ist für seine überzeugende Gestaltung des heimtückischen Don Gasparo zu loben.

Viel mit Bravos gemischter Beifall des praktisch vollen Hauses für die Sänger und den Dirigenten und ein gerechter, unerwartet heftiger Buhorkan beim Erscheinen des Regisseurs und seines Teams.

Am 25.2. sah ich mir diese Koproduktion mit Parma im dortigen Teatro Regio nochmals an, um die Publikumsreaktion an anderem Ort zu testen. Da sich der Regisseur und sein Team nicht zeigten, kam es nach Ende der Vorstellung zu keinen Missfallenskundgebungen. Das Orchester wurde von Matteo Beltrami neuerlich zu einer sehr guten Leistung angespornt und spielte wieder mit viel Animo. Celso Albelo klang weniger nasal als in der Woche zuvor und gefiel nicht nur mit mühelosen Spitzentönen, sondern auch mit großer Textdeutlichkeit. Simone Piazzola hatte mit seinem unbequemen Kostüm zu kämpfen, sang sich dann aber frei und war ein stimmlich würdiger König Alfons XI. Sein sehr gutes Niveau hielt Simon Lim (Baldassare), was auch für Renata Campanella und Andrea Galli in den kleineren Rollen gilt. Anna Maria Chiuri konzentrierte sich in der Titelrolle auf Expressivität, denn stimmlich hatte sie zu kämpfen und schaffte das Finale gerade noch. Das Publikum war großzügig genug, auch sie zusammen mit den Kollegen und dem Dirigenten zu feiern.

Begonnen hatte der Abend angesichts der Lage in der Ukraine mit einem Aufruf zum Frieden.


Eva Pleus 27.2.22

Bilder: Foto Cravedi