WA am 12. April 2019
Ein Gewinn wäre es, wenn endlich Fähigkeiten und Charakter den Wert eines Menschen ausmachen würden und nicht Abstammung oder Geschlecht (Päpstin Johanna)
Dies mit dem Musical Die Päpstin, welches auf dem Bestseller-Roman von Donna Woolfolk Cross beruht und von Dennis Martin komponiert wurde zu zeigen, ist dem Regisseur und Theaterdirektor in Ludwigs Festspielhaus Füssen, Benjamin Sahler, unter der musikalischen Leitung von Kristin Backes eindrucksvoll gelungen. 2011 wurde es in Fulda uraufgeführt, 110 Mal in Folge gespielt, und hat bisher etwa 73.000 Zuschauer begeistert. Gespannt wartete man nun auf die WA durch eine weitgehend als Neuinszenierung zu bezeichnende Produktion Sahlers in Ludwigs Festspielhaus, wo Die Päpstin um Ostern sieben Mal aufgeführt wurde.
Und das ist gemäß Programmheft die Geschichte des Stücks, die vielleicht nicht jedem bekannt ist: Im Jahre 814 anno Domini kommt als Tochter eines Dorfpfarrers und einer sächsischen Heidin ein Mädchen zur Welt, Johanna. Das Kind ist außergewöhnlich klug und lernt heimlich und gegen den Willen seines Vaters lesen und schreiben. Durch eine Verkettung von Zufällen bekommt Johanna die Gelegenheit, die Klosterschule in Dorstadt zu besuchen. Doch als junge Frau hat sie es dort nicht leicht. Immer größer werden die Anfeindungen von allen Seiten.
Einen grausamen Normannenüberfall überlebt Johanna als einzige. Vom Schicksal sich selbst überlassen, trifft sie eine einsame Entscheidung. Sie verlässt Dorstadt, legt ihre Frauenkleider ab, schneidet sich das Haar und gibt sich fortan als Mann aus. Aus Johanna wird Johannes Anglicus, der als Mönch ins Kloster Fulda eintritt. Es beginnt ein jahrzehntelanges Versteckspiel, das Johanna zur Gejagten macht.
Von Fulda führt ihr Weg nach Rom, ins Zentrum der Macht. Feinde bedrohen die Stadt. Und am Hofe des Papstes spinnen mächtige Gegner ihre Intrigen. Doch Johanna geht ihren Weg weiter und steigt auf zum Leibarzt des Papstes. Als ihr jedoch plötzlich und unerwartet der einzige Mann, den sie jemals geliebt hat, in Rom begegnet, muss sie sich entscheiden zwischen Liebesglück und Unabhängigkeit. Ihre schwerste Aufgabe steht ihr dann noch bevor: Als der Papst stirbt, wählt das Volk sie zu dessen Nachfolger und stellt sie vor eine fast unlösbare Aufgabe. Johanna muss ihr Geheimnis wahren. Niemand darf wissen, wer sie wirklich ist…
Schon aus diesem Inhalt wird verständlich, worum es eigentlich geht, und was die Romanautorin Cross so formuliert: Jede Frau, die einmal versucht hat, sich als Mann auszugeben, wird zwangsläufig allein, ja tief einsam sein. Immer wird sie ihr wahres Ich, ihr Inneres verbergen müssen. Das ist der bittersüße Preis, den diese Frauen zahlen. Sie opfern ihr Geschlecht, ihre Kinder, ihre Ehemänner, die Sicherheit ihres Zuhauses, um voll und ganz ihrem Geist und Wissen, ihrem Herz und ihrer Seele Ausdruck geben zu können.“ Jeanne D’Arc ist wohl das bekannteste Beispiel in dieser Hinsicht. Regisseur Benjamin Sahler hält Die Päpstin für ein emanzipiertes Stück im Kampf und Glaube, Liebe und Hoffnung, und er hat es entsprechend in Szene gesetzt.
Im Bühnenbild von Andreas Arneth und mit der Choreografie von Stefanie Gröning sowie der Co-Choreografie von Vera Horn kommt das Stück in einer unglaublich packenden, optisch aufregenden und alle Facetten der komplexen Geschichte auslotenden Fassung auf die Riesenbühne von Ludwigs Festspielhaus. Mit einer detailliert ausgearbeiteten Personenregie findet Sahler zunächst starke, aber ruhige Momente, um die innere Zerrissenheit Johannas zu zeigen und wie sie erkennt, dass sie falsch in der sie umgebenden, völlig frauenfeindlichen Welt ist. Brachial wird der Vater (Christoper Brose) gezeigt, aber auch die exaltierte Mutter (Stefanie Kock) kommt kaum besser weg. Von Beginn an vermag die auf dieser Bühne schon als Sisi reüssierende Anna Hofbauer als unglaublich wandlungsfähige Darstellerin der Johanna das Publikum zu verzaubern. Man nimmt ihr jede noch so kleine Regung und Erregung im Hinblick auf das Geschehen um sie herum ab, die am Ende in ihrer großartig gemimten Tragik als Verzichtende auf die Liebe zugunsten ihres vermeintlichen Gewinns ultimativer Unabhängigkeit durch die schicksalhafte Ernennung zum Papst gipfeln. Ihr Lied Ich bin allein… wird zu einem musikalischen und emotionalen Höhepunkt des Abends. Hinzu kommt Hofbauers gutes Aussehen, ihre schöne Stimme mit guter Phasierung und exzellenter Diktion – ein wahrer Volltreffer für diese spannende Rolle! Leider wird sie die Johanna in Füssen nicht weiter verkörpern, aber andernorts weiter in der Rolle zu erleben sein.
Jan Ammann als Gerold, der hier auch schon König Ludwig II in der Neuinszenierung Ludwig 2 von Benjamin Sahler gespielt hat, ist ihr absolut ebenbürtig in Spiel und Stimme. Die beiden wären ein ganz tolles Paar im Leben, wenn da nicht der unbesiegbare Wille Johannas zu einem völlig selbst gestalteten Leben wäre. Frank Bahrenberg spielt einen Respekt gebietenden und stimmlich eindrucksvollen Aeskulapius, mit samtenem Bass, der dritte im Bunde der ausgezeichneten ersten Protagonisten.
Jens Rainer Kalkmann gibt eine erschütternde Rollenstudie des völlig verkommenen und den allzu weltlichen Genüssen verschriebenen Papstes Sergius, bei dessen Tod man regelrecht aufatmet. Dennis Henschel ist ein guter Anastasius, Alexander Kerbst spielt Aurelius, Kevin Tate Rabanus, Manuel Scherer Lothar, Raffaele Bonazza Ratgar, die Choreografin Stefanie Gröning Richild, Alva Kist die Kleine Johanna und Noah von Rom den Kleinen Johannes. Marlow Düster & die Co-Choreografin Vera Horn agieren interessant als die beiden Raben. Diese tauchen wie Hugin und Munin bei Wotan in Richard Wagners Ring immer wieder in schicksalhaften Momenten auf und beleben enorm die Szenerie durch fantasievolle Bewegungen großer Flügel. Sie bringen sogar Johannas bösen Vater um!
Der Musical-Charakter des Stücks kommt jedoch ganz entscheidend durch die großartige und vielseitige Choreografie der Tänzer zum Ausdruck, die mit fantasievollen Formationen und dynamischer Prägnanz immer wieder Zwischenszenen gestalten, die nicht unbedingt zum Transport der eigentlichen Geschichte beitragen, aber für auflockernde Unterhaltung sorgen. Hinzu kommt ihre effektvolle Beleuchtung durch 16 grelle Punktstrahler aus dem Schnürboden mit den entsprechenden, vielfach variierenden Lichtsäulen im Raum. Das wirkte alles wie aus einem Guss.
Das Musical Die Päpstin ist in dieser Inszenierung in Füssen ein Plädoyer für Freiheit und Gerechtigkeit. Wem an diesem Thema liegt und was Frauen dabei geschehen kann, der möge es sich in Stuttgart ansehen, wo es im Theaterhaus vom 10. August bis 1. September 2019 laufen wird, oder im Theater Hameln, das es vom 13. bis zum 29. Dezember 2019 zeigen wird. Aber Die Päpstin wird auch wieder nach Füssen kommen.
Klaus Billand 7.7.2019