Neben einigen spannenden Raritäten setzt das Musiktheater im Revier in dieser Spielzeit mit Gaetano Donizettis Oper „Don Pasquale“ auf einen beliebten Klassiker des Opern-Repertoires, der vor wenigen Tagen seine Premiere feierte. Und diese Inszenierung kann sich wahrlich sehen und hören lassen. Zsófia Geréb verlagert die Handlung (auf deren ausführliche Schilderung an dieser Stelle verzichtet werden soll) in die Gegenwart und nimmt sich hierbei geschickt dem Generationenkonflikt zwischen Alt und Jung an. Don Pasquale hat sich als Kind der Nachkriegsgeneration im Verlaufe der Jahre einen gewissen Wohlstand aufgebaut, allerdings ist er mit vielen Wertevorstellungen seines Neffen Ernesto so gar nicht einverstanden. Auch die Heirat aus Liebe lehnt er ab, eine „Vernunftehe“ scheint ihm die deutlich besser Wahl zu sein. Allgemein scheint ihm die „Generation Y“ mit ihrer freizeitorientierten Lebensweise fremd. Dieser Konflikt wird über den Abend ganz wunderbar an vielen Kleinigkeiten thematisiert. Dies beginnt schon in der Ouvertüre, wo sich die beiden Wohnungen von Don Pasquale und Ernesto gegenüberstehen. Don Pasquale hat sein kühl designetes Eigenheim mit vielen Kunstwerken und Designermöbeln ausgestattet, während Ernesto und seine Freundin Norina in einer schlichten aber bunten Wohnung leben, in der Ikea-Möbel für ein behagliches Flair sorgen. Traurig und zugleich schön inszeniert, wie Pasquale einsam seine alten Dias schaut, während sich das junge Paar über den Beamer einen Film im Kinoformat auf der Wohnungswand anschaut.
Allgemein sind es vor allem die vielen Kleinigkeiten, die einen ganz besonderen Reiz dieser Inszenierung ausmachen. Immer wieder erkennt man im Verlaufe des Abends Anspielungen, die einen gewissen Riss zwischen den Generationen mal tragisch, mal aber auch charmant und humorvoll belegen. Und sei es nur der Anruf des Onkels, den sein Neffe absichtlich nicht entgegennimmt, da er wohl schon ahnt, welchen Verlauf solche Telefonat oft nehmen.
Einen großen Anteil am Erfolg dieses Inszenierungskonzeptes hat auch Ivan Ivanov, der zwei sehenswerte Wohnräume geschaffen hat, in denen es einiges zu entdecken gibt. Darüber hinaus kann das Bühnenbild im Verlauf des Abends mit einigen kleineren Überraschungen aufwarten, die an dieser Stelle nicht verraten werden sollen. Dass die Bühnenarbeiter immer wieder mal die einzelnen Räume verschieben stört nicht weiter. Vielmehr ergibt sich aus den Rückseiten der Konstruktionen eine kleine Gasse, in der Ernesto seinen Gedanken zur Abreise nachgeht. Die Kostüme von Vanessa Vadineanu sind eher zeitgemäß, beim Chor darf sie allerdings einige farbliche Aspekte einbringen. Auch das Gewand in dem Norina als Dr. Malatestas Schwester Sofronia Don Pasquale zur Hochzeit „angeboten“ wird, ist herrlich übertrieben gestaltet. Hier setzt die Inszenierung im 2. Akt zudem einen weiteren Schwerpunkt auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft, indem humorvoll mit klischeehaften Rollenmustern gespielt wird. Dass dies amüsant und nicht mit dem erhobenen Zeigefinger geschieht ist ein großer Pluspunkt der Inszenierung. Zum Vorteil dient es auch, dass alle Darsteller mit einer tollen Mimik in ihren Rollen aufwarten können, allen voran Urban Malmberg in der titelgebenden Rolle, der sich als echter Glücksfall für die Produktion zeigt. Gesanglich besonders herausragend Khanyiso Gwenxane als Ernesto, Dongmin Lee als Norina und Petro Ostapenko als Dr. Malatesta, der in dieser Inszenierung vor allem als freundlicher Strippenzieher daherkommt. Abgerundet wird das Solisten-Quintett durch Yancheng Chen aus dem jungen Ensemble am MiR, der die Rolle es Notars herrlich komisch anlegt. Zum einen wird erst mal der Schreibtisch samt Familienfoto, Kaffeebecher und Frühstücksbox eingerichtet, zum anderen flirtet er immer wieder mit der Braut. So wird aus dieser kleinen eher unscheinbaren Rolle ein weiteres Highlight des Abends.
Große Spielfreunde, gelungene Personenregie und gesanglich eindrucksvoll, was will man da mehr. Richtig, ein gut aufspielendes Orchester. Hier kann man sich wie gewohnt auf die Neue Philharmonie Westfalen verlassen, die unter Giuliano Betta für viel Schwung und Esprit aus dem Graben sorgt. Hin und wieder werden die Solisten zwar etwas übertönt, allerdings hält sich dies im Verlauf des Abends in Grenzen, so dass der positive Gesamteindruck des Abends musikalisch abgerundet wird. Am Ende steht, soviel soll verraten werden, die Versöhnung zwischen den Generationen indem gemeinsam alte Fotos auf der Couch geschaut werden. Ein schönes Schlussbild für einen schönen Opernabend, der allerdings mehr Zuschauer verdient hätte. Der Zuschauersaal blieb in der besuchten Vorstellung leider erschreckend leer, die anwesenden Zuschauer amüsierten sich dafür hörbar und spendeten am Ende einen langen und lauten Applaus für alle Akteure des Abends.
Markus Lamers, 18. Februar 2023
Don Pasquale
Gaetano Donizetti
Premiere: 11. Februar 2023
besuchte Vorstellung: 17. Februar 2023
Inszenierung: Zsófia Geréb
Musikalische Leitung: Giuliano Betta
Neue Philharmonie Westfalen
Weitere Vorstellungen: 23.02. / 04.03. / 12.03. / 18.03. / 01.04. / 21.04. / 23.04.