Aufführung vom 12.3.2017
Jetzt mit Stefan Vinke
Es ist schon ein Luxus, wenn nicht einmal in 50km Entfernung zwei Opernhäuser zur selben Zeit Wagners Oper „Tristan und Isolde“ anbieten. So geschehen jetzt in Essen und Gelsenkirchen. Wenn aber dann in beiden Häusern Wagners Melodram um Liebe und Tod musikalisch so überzeugend über die Rampe kommt, dann dürfte auch der stirnrunzelnde Steuerzahler ein Einsehen haben. Ein Zuhörer meinte in der Pause: „Das ist ja Bayreuth in Gelsenkirchen!“ Sollte das möglich sein?
Doch, ein Hauch von Bayreuth wehte in der Tat durch das stimmungsvolle Musiktheater im Revier, denn mit Catherine Foster als Isolde und Stefan Vinke als Tristan standen in der zweiten Aufführung von Wagners Oper ein Sängerpaar auf der Gelsenkirchener Bühne, die in diesem Jahr in Bayreuth als Brünnhilde und Siegfried auf dem grünen Hügel zu erleben sind.
Stefan Vinke wird mittlerweile als Wagnerinterpret an allen großen Bühnen Europas gefeiert und umjubelt. Und das völlig zu Recht. Mit seinem baritonal eingefärbten Heldentenor gestaltet er die mörderische Partie des Tristan, die an der Met schon einmal gleich drei Tenöre für die einzelnen Akte verschlissen hat, mit einer Stimmkraft, Klangschönheit und Textverständlichkeit, die ihres gleichen sucht. Wie er die ekstatischen Aufschwünge und Fieberphantasien des dritten Aktes mit nie nachlassender Intensität meistert und sich dabei auch gegenüber dem nicht gerade sängerfreundliche Dirigat von Rasmus Baumann behauptet, ist einfach phänomenal. Dabei singt er immer auf Linie, differenziert wunderbar und verströmt im Liebesduett des 2. Aktes Wohlklang pur. Schwer vorstellbar, wer außer Stephen Gould diese Partie im Augenblick besser singen soll.
Catherine Foster als Isolde steht Vinke kaum nach. Beeindruckend sind vor allem ihre durchschlagenden Spitzentöne, die sich dem Zuhörer wie Fanfaren ins Gehör brennen und auch den größten Tuttiklang des Orchesters mühelos überstrahlen. Dass sie ihre Stimme zurücknehmen kann, wie ein Mezzosopran über dunkel-erotische Pianotöne verfügt, zeigte sie nicht nur im Liebesduett des 2. Aktes, sondern vor allem auch bei Isoldes Liebestod „Mild und leise wie er lächelt“. Schade nur, dass auch hier Rasmus Baumann das Orchester nicht zurückhielt und so Frau Foster in ihrer Interpretation wenig unterstützte.
Almuth Herbst als Brangäne, Urban Malberg als Kurwenal, vor allem aber Dong-Won Seo als schmerzerfüllter, gebrochener König Marke füllten ihre Rollen gut aus und trugen so zu dem großen musikalischen Erfolg des Abends bei. Dies gilt auch mit Einschränkungen für das Dirigat des Gelsenkirchener Generalmusikdirektors Rasmus Baumann, der mit zügigen Tempi und großer Emotionalität den nicht gerade Wagner erprobten Musikerinnen und Musikern der „Neuen Philharmonie Westfalen“ vor allem im 2. Akt einen mehr als achtbaren Tristanklang entlockte, wobei vor allem die Bläser immer wieder zu überzeugen wussten. Dass die Balance zwischen Orchester und Sängern nicht immer stimmte, mag vielleicht auch daran liegen, dass der Tristan seit sage und schreibe 25 Jahren am Musiktheater im Revier nicht mehr zu hören war.
Über Inszenierung und Regie (Michael Schulz) ist anlässlich der Premierenkritik im Opernfreund fast alles gesagt. Schulz versucht die unauflöslichen Widersprüche des Wagnerschen Tristanstoffs, die Gegensätze zwischen Tag und Nacht, Leben und Tod oder Realität und Wahn in seiner Interpretation abzubilden, etwa wenn im letzten Akt auf ganz reduzierter Bühne die Farben Schwarz und Weiß dominieren oder wenn beim Liebesduett im 2. Akt bürgerliche Phantasien der Liebenden von Familienglück in Form schlafender Kinder und gleichzeitig orgiastische Vorstellungen erotischer Erfüllung miteinander im Wettstreit liegen.
Das alles ist eher brav und z.T. sehr realistisch erzählt, ein eigener Deutungsansatz ist allerdings kaum auszumachen. Andererseits ist man als Betrachter geneigt, diese unverfängliche Lesart zu goutieren, wenn man etwa in der Inszenierung der Deutschen Oper Berlin miterleben musste, dass Tristan als Parkinsonpatient seinem Ende entgegen dämmert und seine Isolde herbeisehnt, die dann als alte Frau am Krückstock über die Bühne humpelt. Das Publikum im ausverkauften Haus jedenfalls zeigte sich rundum zufrieden und feierte die „Bayreuth-Gäste“ Foster und Vinke mit standing ovations.
Fazit: Eine musikalisch über weite Strecken faszinierende Aufführung, die den Besuch in Gelsenkirchen für jeden Wagner-Fan eigentlich zum Pflichtbesuch machen sollte.
Norbert Pabelick 16.3.2017
Bilder (c) Karl und Monika Forster (Premierenbesetzung)