Gent: „Salome“, Richard Strauss

Lieber Opernfreund-Freund,

am Opernhaus in Gent hatte gestern Richard Strauss‘ Salome Premiere. Die Inszenierung des aus Berlin stammenden Regisseurs Ersan Mondtag stellt die verschiedenen Rollen der Salome in den Mittelpunkt und zeigt in ausdrucksstarken Bildern eine Frau, die sich von den Erwartungshaltungen anderer freimacht – und das mit allen Mitteln.

© OBC – Annemie Augustijns

Auf die Genter Drehbühne hat Mondtag einen Palast gestellt, der die eindrucksvolle Kulisse für seine von Assoziationen weckenden Anspielungen geradezu überbordenden Lesart bietet: die Fassade der Burg erinnert mit ihren riesigen Konterfeis von Herodes und Herodias an die in Fels gehauenen Präsidentenköpfe von Mount Rushmore, dreht sich der Aufbau, gibt die Szene den Blick auf Herodes‘ Thronsaal frei, der von einer riesigen Heldenstatue im Stile sozialistischer Kriegsdenkmäler geschmückt wird. Er selbst kommt wie eine Kopie von Bruno Ganz im Oliver Hirschbiegels Film Der Untergang daher und nicht nur ihm und seiner Frau, selbst seiner Stieftochter und seinem Wohnsitz haftet etwas Abgehalftertes an. Der Schreckensherrscher klammert sich an die Macht, die er auch gegenüber Salome ausspielt – nicht erst, als er sich beim Tanz der sieben Schleier in Jochanaans Kerker an ihr vergeht. In der Welt von Macht und Sex – letzteres zelebrieren Herodias und Salome eher unfreiwillig wie Hohepriesterinnen des Ku-Klux-Klans – wirken die Juden und Nazarener mit ihren Religionsdebatten wie Aliens. Das machen auch die gelungenen Kostüme, für die ebenfalls Ersan Mondtag verantwortlich zeichnet, deutlich.

Unter Mondtags gekonnter, lebendiger Personenführung verschmilzt alles zu einem fast surrealen Alptraum, in dem Salome ihren Platz zwischen ihren Rollen als Tochter, Vamp, Kind, Frau und nicht zuletzt als Mensch sucht – und in einem feministischen Befreiungsschlag im blutgetränkten Finale findet. Sie, lieber Opernfreund-Freund, können sich sicher denken, dass Herodes, nachdem er „Man töte dieses Weib!“ gerufen hat, selbst dahingerafft wird und die spannende Inszenierung so den konsequenten Schlusspunkt erfährt.

© OBC – Annemie Augustijns

Auch musikalisch bleiben kaum Wünsche offen. Allison Cook hat sich mit einer Erkältung ansagen lassen, doch die wenigen übersteuerten Töne sind geschenkt bei dem packenden Rollenportrait, das sie als Salome abliefert. Die kehlige Tiefe ihres Mezzos wechselt sich mit an Hysterie grenzenden Höhen ab und dazwischen streut die Schottin immer wieder berührende Piani ein. Darstellerisch ist sie gänzlich eine Wucht, schenkt sich nichts und zeigt so die zahlreichen Facetten ihrer vielschichtigen Figur. Der Jochanaan von Michael Kupfer-Radecky besticht durch Kraft und eindrucksvolle Flüche. In den Momenten, in denen er den Reizen Salomes fast zu erliegen scheint, zeigt er hingegen eine wunderbare Zartheit. So abgeranzt Florian Stern als Herodes optisch daherkommt, so stimmlich klar formt der Tenor den Despoten. Ihm bei der Verkörperung des debilen Lüstlings zuzuschauen, ist obendrein eine Wonne. Angela Denoke ist eine herrlich keifende Herodias, während Denzil Delaere mit feinem Timbre den unglücklich verliebten Narraboth gibt.

© OBC – Annemie Augustijns

Alejo Pérez entfacht ein wahres Klangfeuerwerk, dem argentinischen Dirigenten gelingt die Gratwanderung zwischen Klanggewalt und sinnlicher Tiefe. Die Musikerinnen und Musiker im Graben meistern die hohen Anforderungen von Richard Strauss’ Partitur mit Bravour und leisten Großartiges. Ein in vielerlei Hinsicht bewegender, ja aufwühlender Opernabend geht so nach rund 100 Minuten zu Ende, von denen ich jede einzelne genossen habe.

Ihr
Jochen Rüth, 11. Januar 2025


Salome
Oper von Richard Strauss

Opera Ballet Vlaanderen – Oper Gent

Premiere: 10. Januar 2025

Regie, Bühne und Kostüme: Ersan Mondtag
Musikalische Leitung: Alejo Pérez
Symphonisch Orkest Opera Ballet Vlaanderen

Trailer

weitere Vorstellungen: 12., 14., 16. und 18. Januar 2025