Venedig: „Otello“ / „Tristan und Isolde“

Besuchte Vorstellungen: 22. und 23.11.2012

Das bevorstehende Verdi- und Wagner-Jahr 2013 macht es möglich: Venedig eröffnet mit Doppelpremiere

Auf den Plakaten der Saison-Eröffnung 2012/13 steht stolz „LA FENICE Verdi and/or Wagner“ – und so kann der Opernfreund tatsächlich zwei Neuproduktionen an aufeinanderfolgenden Tagen erleben. Der geneigte Leser möge daher verzeihen, dass es diesmal ein etwas längerer Bericht wird, der in drei Teile gegliedert ist.

Claudio Monteverdi war hier ab 1613 Maestro di Cappella von San Marco, in Venedig fanden die Uraufführungen seiner letzten Meisterwerke Il Ritorno d’Ulisse und L’Incoronazione di Poppea statt. In Venedig stand ab 1637 das erste der Öffentlichkeit und nicht mehr nur dem höfischen Adel zugängliche Opernhaus, Ende des 17.Jahrhunderts gab es in Venedig fünf Opernhäuser – also ist Venedig wahrhaft die Wiege der europäischen Opernkunst.

Als Ersatz für das abgebrannte Teatro San Benedetto wurde im Jahre 1792 das Teatro La Fenice – gleichsam als „Phönix aus der Asche“ – eröffnet, das dann 1836 ebenfalls abbrannte und innerhalb von sieben Monaten neuerlich errichtet wurde. Und dann gab es den Brand von 1996 und die detailgenaue Rekonstruktion und Wiedereröffnung im Jahre 2003. Das Haus präsentiert sich heute als ein prachtvolles Logentheater mit fünf Rängen und prunkvollen Nebenräume.

Hier fanden die Uraufführungen von Hauptwerken Rossinis, Bellinis, Donizettis statt und hier kam Verdi mit Ernani, Attila, Rigoletto, La Traviata und Simone Boccanegra heraus. Venedig hat aber nicht nur eine große Verdi-Tradition, sondern ist auch mit dem Werk Richard Wagners sehr verbunden, der hier den zweiten Akt seines Tristans schrieb und der in Venedig gestorben ist. Nur ein Beispiel zur Wagner-Pflege: Nur zwei Monate nach Richard Wagners Tod fand die italienische Erstaufführung seiner Tetralogie Der Ring des Nibelungen in La Fenice statt! Die Wahl der beiden Eröffnungspremieren baut also auf eine bedeutende Tradition auf.

OTELLO

Schon vor Vorstellungsbeginn blickt man auf einen Vorhang mit allen Sternbildern (Bühne: Edoardo Sanchi). Auf diesem Vorhang erscheint dann – gleichsam als Motto ein von Verdi nicht vertontes Jago-Wort von Shakespeare : „Io odio il Moro“ – also der Hass als Antrieb des Stücks. Dann bricht die Gewittermusik los – der Vorhang wird durchsichtig und dahinter stehen die Chormassen. Blitze zucken durch den Zuschauerraum und akustisch klingt es so – die moderne Elektroakustik machts offenbar möglich -, als sänge der Chor im Zuschauerraum. Otello in goldener Rüstung wird durch den Schleier sichtbar und singt sein Esultate. Alles wirkt traumhaft, irreal.

Sobald sich der Sturm beruhigt, ist man offenbar in einem militärischen Lager – die weiß gekleideten Offiziere Jago, Cassio und Rodrigo stehen vor ihren Betten. Der Chor ist einheitlich in Weiß, die Frauen ebenfalls in Uniformen und als Männer verkleidet. (Kostüme: Silvia Aymonino). Es herrscht karnevaleske Alptraumsituation. Das hat zwar nichts mit den szenischen Anweisungen von Verdi und Boito zu tun, entfaltet aber durchaus Bühnenwirksamkeit.

Die gesamte Inszenierung (Regie: Francesco Michele) beschränkt sich auf klare bildhafte Massenszenen und auf einen goldenen Käfig als Schlaf-und Wohnraum Desdemonas, in dem das Kammerspiel des Hasses abläuft – alles stets umgeben von der Unausweichlichkeit der Gestirnkonstellationen. Der Löwe wird recht plakativ Otello, die Jungfrau Desdemona und der Drache Jago zugeordnet. Die Protagonisten tragen Kostüme des 19.Jahrhunderts – es findet keine psychologisierende Personenführung statt – optisch schöne Bilder mit stereotyper Operngestik verbunden mit italienischer Volksfrömmigkeit in der Verehrung einer Marienstatue, die im 2.Aufzug vom einfachen Volk vor Desdemona gebracht wird. Diese Facette der Italianita berührt durchaus – gerade dann, wenn man vor der Vorstellung am Festtag der Maria della Salute die vielen Menschen mit ihren Kerzen in der venezianischen Marienwallfahrtskirche gesehen hat. Insgesamt zweifellos eine vertretbare szenische Umsetzung, die trotz mancher Ungereimtheit der Musik den Vortritt lässt.

Die Hauptrollen sind doppelt besetzt. Ich sah die dritte Aufführung dieser Produktion, in der Carmela Remigio als wunderschöne Desdemona das Ensemble eindrucksvoll anführte. Sie war so gar nicht die jungmädchenhaft-liebliche Frauenfigur, sondern eine starke Persönlichkeit mit sicherem und routiniertem Sopran, der sowohl in den lyrischen Pianophrasen, als auch in den verzweifelten Attacken überzeugte. Ihr Otello war der erfahrene Walter Fraccaro mit ausreichend Metall und Höhensicherheit in den dramatischen Ausbrüchen und überzeugender Bühnenpräsenz. Die mezzaforte- und piano-Phrasen gelangen leider weniger. Für den Jago brachte Dimitri Platanias einen dunkel gefärbten, ausgeglichenen Bariton mit, dem manchmal die nötige zynische Schärfe fehlte. Darstellerisch war er wohl allzu sehr Biedermann und zu wenig der im Regiekonzept vorgesehene hasserfüllte Drahtzieher. Sehr gut und passend der Cassio von Francesco Marsiglia und die Emilia von Elisabetta Martorana.

Die musikalische Leitung lag bei Myung-Whun Chung. Er sorgte für präzise Dramatik im guten Orchester und mit dem ausgezeichneten Chor (Leitung: Claudio Marino Moretti) – auch hier dominiert der pathetische Ausdruck und der große dramatische Bogen – musikalisches Kammerspiel findet nicht statt.

Das Programmheft listet die Otello-Produktionen Venedigs der letzten Jahrzehnte auf: Da liest man Namen wie Mario del Monaco, Tito Gobbi, Aldo Protti, Renato Bruson, Marcella Pobbe, Katia Ricciarelli… An diese Kategorie durfte man an diesem Abend nicht denken….. Aber man sollte nicht undankbar sein – es war ein durchaus achtbarer Abend auf solidem Niveau – nicht mehr, aber auch nicht weniger!

Viel Jubel im ausverkauften Haus!

TRISTAN UND ISOLDE

Auch dieses Werk hat eine große Aufführungstradition in Venedig, wie die eindrucksvolle Ausstellung des Archivs von La Fenice in den Pausenräumen dokumentiert.Auch hier liest man ganz große Namen, die in den acht Produktionen seit dem 2.Weltkrieg in Venedig im Tristan zu hören waren: Maria Callas, Boris Christoff, Fedora Barbieri (in italienischer Sprache) und dann Wolfgang Windgassen, Martha Mödl, Gustav Neidlinger, Ira Malaniuk, Josef Greindl, Birgit Nilsson, Siegfried Jerusalem, Matti Salminen……..

Und so läuft die diesjährige Produktion natürlich Gefahr, an den bis ins Detail liebevoll mit Programmzetteln, Fotos und Zeitungsberichten (wenn auch ohne Tonbeispiele) dokumentierten Aufführungen gemessen zu werden. Und es muss vorweg gesagt werden:Es war leider kein großer Abend von La Fenice. Das begann schon mit dem stimmungslosen Bühnenbild und den unvorteilhaften Kostümen von Robert Innes Hopkins. In diesem Umfeld lief eine wenig inspirierte Inszenierung von Paul Curran statt. Brangäne und Kurwenal agieren aufgeregt-simpel und betulich – eher im Stil von David und Magdalene aus den Meistersingern. Tristan bringt zu seinem Treffen mit Isolde im zweiten Akt unter dem wackelnden Baum aus Pappkarton eine Reisetasche mit Thermosflasche samt Schraubverschluss und offensichtlich jenem Becher, aus dem die beiden im ersten Akt den Liebestrank getrunken hatten. Personenführung findet nicht statt – jeder agiert so, wie es ihm gegeben ist. Und doch gibt es dann bewegende Stellen, die sich kraft der einzelnen Bühnenpersönlichkeiten ergeben:

Brigitte Pinter vermittelt bei ihrem Rollendebut die stolze Allüre der irischen Königstochter und die absolute Weltabgewandtheit in ihrem Liebestod mit sparsamen, stets überzeugenden Gesten. Auch stimmlich gelingt der aus dem Mezzofach kommenden Österreicherin vieles – berührend ihr ruhiger Einsatz bei „Still und leise, wie er lächelt“, wenn auch dann die Spitzentöne nur mehr angestrengt erreicht werden. Ian Storey ist ein erfahrener Wagner-Recke, der schauspielerisch nur im dritten Akt überzeugen kann. Stimmlich ist seine Durchhaltekraft durchaus eindrucksvoll, allerdings vermag sein kehliges Organ keine ruhigen Legatobögen zu gestalten – und gerade das wäre beim Tristan so besonders wichtig. Dazu kommt in den ersten beiden Akten eine darstellerische Ausstrahlungslosigkeit, ja Gleichgültigkeit.

Die stimmlich eindrucksvollste Leistung bietet Attila Jun. Sein Marke ist auch sprachlich hervorragend durchgestaltet – sein dunkler Bass spricht in allen Lagen gleichmäßig an. Er reicht stimmlich durchaus an große Vorbilder heran. Schade, dass er offenbar durch die Regie angehalten ist, übertrieben zu agieren. Sehr schönes Material lässt die Brangäne der Finnin Tuja Knihtilä hören, allerdings bei fast vollständiger Textunverständlichkeit. Der Kurwenal von Richard Paul Fink – ein international hochgelobter Alberich – hatte zwar alle gefürchteten Spitzentöne dieser Partie, hob sich allerdings in der Klangfarbe kaum von Tristan ab und schien mir schlichtweg eine Fehlbesetzung in dieser Rolle. In den kleinen Partien fällt der präzise Hirte von Mirko Guadagnini positiv auf.

Myung-Whun Chung gestaltet wieder überzeugend große dramatische Bögen und Ausbrüche mit dem gut disponierten Orchester. Allerdings bleibt alles ein wenig dick – es fehlt ganz einfach die Durchsichtigkeit und das verleitet die Protagonisten immer wieder zu forciertem Stimmeinsatz. Piano müsste nicht nur leise, sondern auch zart sein.

Nach dem zweiten Akt blieben viel Plätze des anfangs vollbesetzen Hauses leer – der Beifall am Ende hielt sich in Grenzen.

Und zum Schluss noch zwei praktische Hinweise:


Die umfangreichen Programmbücher sind ausgezeichnet gestaltet und sehr informativ


Ebenso informativ ist die Homepage von La Fenice, wo man sich auch bereits über die Produktionen der Sasion 2013/14 informieren kann – siehe: fenice

Und dankbar sei auch die Effizienz des Abendpersonals erwähnt, das ein kleines Missgeschick mit meinen Karten rasch beheben konnte.

Hermann Becke