Premiere am 10.05.2014
Ganz schön verbogen
Da-Ponte mit seinem berühmten Triptychon für Mozart sei einmal anders beleuchtet: Don Giovanni in großen Teilen aus dem Bertati-Libretto für Gazzanigas Oper abgeschrieben; le nozze di Figaro in weiten Teilen aus dem Beaumarchais-Text wörtlich übersetzt. Und das Libretto für Così fan tutte, dies eine eigenständige literarische Leistung von da Ponte erst einmal Antonio Salieri zum Vertonen vorgelegt! Wällisches Luder! — Weil Salieri nicht wollte, komponierte Mozart die Oper. Welches Glück für die Nachwelt! Aber das Werk wurde im prüden 19. Jahrhundert in seiner Originalform nicht mehr beachtet, sondern – um die Musik zu retten – in wunderlichen Bearbeitungen gebracht. Erst zu einer Zeit, als Freudsche Ideen über Verhaltensmuster auch in die Musikszene eingesickert waren, nahm man sich des Werks wieder verstärkt an. Gustav Mahler (der selber bei Freund in Behandlung war) und Richard Strauss propagierten die Oper, in der aus einem läppischen Spiel um voreheliche Treue im mit dem Tiefgang einer Boulevard-Komödie ein Psycho-Spiel mit Eroberungs- und Angriffslust wird und bis bis zum Eifersuchtsdrama ausartet. Die Leute hatten früher wohl immer nur den ersten Teil der Oper verstanden…
Musik- und Psychoanalyse haben aber inzwischen auch den zweiten Teil des Werks entschlüsselt, so dass es heute zu den ganz beliebten Objekten modernen Regietheaters geworden ist. Der alte Vorwurf der Unglaubwürdigkeit des Texts wird in der heutigen Zeit, wo selbst die Barock-Opern fröhliche Urstände feiern, nicht mehr strapaziert. Aber bei der vorliegenden Regiearbeit von Nadja Loschky kommt einem dieses Argument gleich wieder in den Sinn. Sie nimmt nämlich eine erhebliche Änderung an der Dramaturgie des Stoffs vor, die zumindest einen der dramaturgischen Haken des Librettos beseitigt: warum weiß eigentlich die schlaue Despina nicht, was sich da im Hause abspielt? Das ist nun der Ansatzpunkt für die Dramaturgie von Julia Hochstenbach, das Stück insofern auf den Kopf zu stellen. Despina ist Lebensabschnittsbegleiterin des Don Alfonso, vielleicht sogar sein Eheweib; sie ist die Chefin im Hause. Von Anfang an kolludiert sie mit Alfonso zu deren beiden zynischem Vergnügen und betreibt das Spiel mit den beiden jungen Paaren. Die sind leichte Opfer für so ein Spiel, denn sie begeben sich eben in eine offensichtlich arrangierte, freudlose Vernunftehe miteinander und fallen so auf die Verlockungen echt scheinenden Liebeswerbens leichter herein, wozu noch sexuelle Neugierde kommt. Das transparent zu machen, ist ein zweiter wesentlicher Aspekt des Regiekonzepts, das sich somit auch auf die Zeit der Entstehung des Werks bezieht, in welcher J. J. Rousseaus Roman „Julie oder Die neue Heloise“ en vogue war, in dem dieser sich im Aufklärungszeitalter der Thematik Ehe aus Vernunft oder Liebe angenommen hatte. Das ganze noch mit einem Aspekt „Theater auf dem Theater“ zu verbinden, macht dann leider die Inszenierung zusammen mit etlicher Einzelsymbolik etwas Kopf-lastig, so dass sie nicht wie aus einem Guss erscheint. Dahinein müsse noch der übliche Klamauk der Doktor- und Notarszenen integriert sowie das eine oder andere Mätzchen werden.
Marija Joković (Dorabella), Irina Simmes (Fiordiligi)
Der Einfall, Despina als zugleich willfährige wie auch widerspenstige Komplizin des Don Alfonso mitgestalten zu lassen, führt zwangsläufig zu Änderungserfordernissen in der Oper. Das Auftrittsrezitativ der Despina „che vita maledetta“ muss gestrichen werden ebenso wie die elfte Szene des zweiten Akts, in welcher Despina Befehle von Fiordiligi entgegen nimmt („Tieni un po‘ questa chiave“). Das passt nun nicht mehr, denn in dieser Inszenierung sind es die nichtsnützigen Fiordiligi und Dorabella, die den Tisch abräumen, nicht Despina. An sich ein reizvolles Konzept, das aber wegen der Logik noch zu weiteren Konsequenzen führt als Streichungen: so wird ungeniert die Übersetzung verbogen oder auch frontal gegen den Text inszeniert. Da Despina nun dauernd anwesend ist, werden ihr Worte in den Mund gelegt, die zu den Rezitativen des Don Alfonso gehören. Ein wesentlicher Effekt der Oper hat nun gar keinen Sinn mehr. Denn im Original sind ja nicht nur die beiden Paare die Düpierten, sondern auch Despina, die zynisch von Don Alfonso instrumentalisiert und manipuliert wurde und das trotz ihrer Schläue erst ganz zuletzt merkt. Warum dann aber die Regie in den letzten Szenen Despina sich mit Don Alfonso in die Wolle gerät, erklärt sich nicht von selbst. Die Zahl der unglaubwürdigen Elemente der Oper ist insgesamt größer geworden.
Ipča Ramanović (Guglielmo), Namwon Huh (Ferrando)
Als prächtiges Bühnenbild hat Nina von Essen einen Salon im Stil der Zwanziger Jahre auf die Bühne gestellt mit altväterlicher halbhoher Holzvertäfelung der Sockel, Nebenräumen und ein paar Stufen im Hintergrund, die zu einem Durchgang hinauf führen, der mit einem Theatervorhang verschlossen ist: aber nur ein winziges Theaterchen. Darin tummelt sich die Gesellschaft in Kleidern der Jetztzeit – zumindest im ersten Akt (Kostüme: Violaine Thel). Noch vor der Ouvertüre bringt Don Alfonso- etwas kantig deklamiert) der dort versammelten dekadenten Feiergesellschaft ein Brindisi aus, kümmert sich dabei besonders um zwei auf der Treppe in erstarrter Pose stehende Paare: das sind unsere beiden Paare: sie sollen am nächsten Tag heiraten; die Hochzeitskleider sind in zwei Vitrinen ausgestellt. Die Vorfreude auf die Hochzeit hält sich in allerengsten Grenzen; siehe oben: offensichtlich zwei arrangierte Ehen. Möglichweise führen auch die Gastgeber Despina und Alfonso eine solche Ehe: die Maid ohne Minne vermählt dem Mann. Recht abgewirtschaftet sehen die beiden schon aus; sie trotz der platinblonden Haarfärbung; er mit Pferdeschwanz und schwarzem Rollkragen-Pullover wie ein Opernregisseur. „Top, die Wette gilt“. das wird mit einem Stafettentrinken mit etlichen kurzen Klaren gefeiert; innert von 60 Sekunden sind die beiden jungen Männer so betrunken, als hätte man ihnen den Alkohol intravenös verabreicht. Aber als das Kriegsfanal tönt, springen sie stocknüchtern wieder au die Beine: überflüssiger Schnickschnack!
Stehend: Wilfried Staber (Don Alfonso), Ks. Carolyn Frank (Despina), Statisterie; liegend: Irina Simmes (Fiordiligi), Namwon Huh (Ferrando), Marija Joković (Dorabella), Ipča Ramanović (Guglielmo)
Bevor Ferrando und Guglielmo als Türken oder Wallachen zurückkommen, hat sich Don Alfonso in einen Zirkusdompteur mit schwarzen Frack auf nacktem Oberkörper, Zylinder und Peitsche verwandelt. Nun kann er den beiden einheizen und sie auf einen Stuhl springen lassen; gekleidet sind sie wie er. Den Damen werden vor der Guglielmo-Arie („Guardate … abbiamo bel piede, bell’occhio, bel naso“) die Augen verbunden, damit sie die Attribute der Männer besser beurteilen können. Die Regie will wohl sagen, dass diese Attribute gar nicht wichtig sind. Da die Oper nun in der Gegenwart spielt, in der niemand mehr an den Mesmerschen Stein glaubt, wird den beiden Liebhabern mit Riesentrichtern ein Emetikum eingeflößt; die erforderlichen Eimer stehen auch parat.
Trotz des sehr gelungenen originellen Einstiegs in die Inszenierung lief aber letztlich doch alles nach dem Schema ab: Buffa im ersten Akt, Psychodrama im zweiten. Für diesen zweiten Teil kamen noch zottelige Tierfiguren auf die Bühne, die bei den jungen Paaren erst einen Angstraum auslösten und dann immer weiter bedrohlich herumspukten. Die sich zuspitzende Situation der jungen Leute spielt sich im nordischen nächtlichen Winter mit Schneefall ab – für Heiterkeit bleibt da eben auch kein Platz. Wenn man sich an die wurmartige Verkleidung der beiden Liebhaber und die komplizierten Maskenspiele der Protagonisten gewöhnt hatte, verlief der zweite Akt in gewohnten Bahnen. An die Streichung der elften Szene mit Fiordiligis geäußerter Absicht, ins Feld zu ihrem Verlobten zu ziehen, könnte man sich gar gewöhnen. Die Oper kam in der Heidelberger Fassung immer noch auf knapp drei Stunden reine Spielzeit und endete ganz versöhnlich: die beiden jungen Paare gehen über die Treppe und durch das kleine Theaterportal ab; es war alles nur ein Spiel. Despina und Alfonso können sich, wenn sie sich wieder vertragen haben, eine neues ausdenken.
Irina Simmes (Fiordiligi), Ipča Ramanović (Guglielmo), Marija Joković (Dorabella), Namwon Huh (Ferrando)
Musikalisch stimmte in de Premiere noch nicht alles. Der noch sehr junge Heidelberger zweite Kapellmeister Gad Kadosh am Pult war sich zwar immer mit seinem Orchester einig, dem Philharmonischen Orchester Heidelberg, aber durchaus nicht immer mit dem Rhythmus auf der Bühne. Die Ungenauigkeiten waren umso größer, je weiter hinten die Sänger platziert waren; möglicherweise nahmen die ihre Einsätze nicht immer vom Dirigenten, sondern auch von Instrumentalisten. Über unwesentliche Instrumentalpatzer braucht man indes nicht zu Beckmessern; da kamen auch kaum sieben zustande. Kadosh differenzierte die Partitur in den Tempi extrem aus und betonte auch die Kontraste zwischen feinen kammermusikalischen Passagen und deutlich geschärften Tutti. Bei einigen schleppenden Tempi schien die Partitur auseinanderzufallen. Jederzeit schonte er die Sänger. Die Choreinlagen wurden komplett gestrichen und durch reine Orchestermusik ersetzt. Das hat nicht nur ökonomische Vorteile, sondern auch dramaturgische, denn die Chöre sind bei der Così wohl nur der damaligen Tradition geschuldet. Der prägnante Militärmarsch reicht. Zudem wird die Regie von der bei jeder modernen Regiearbeit diffizilen Aufgabe der Chorregie entlastet.
Wilfried Staber (Don Alfonso), Ks. Carolyn Frank (Despina)
Etwas durchwachsen sah es auch bei den Gesangssolisten aus. Bei Wilfried Staber als Don Alfonso – sonst so verlässlich – wunderte man sich über instabile Höhen und Probleme im Registerübergang. In der Pause wurde er dann als indisponiert angesagt. Dennoch konnte er Kostproben seines markanten, sonoren Basses abgeben und erhielt vom Publikum zum Schluss besonderen Dank für seinen Eunsatz unter widrigen Umsänden. Gut gefiel Ipča Ramanović als Guglielmo; er verfügt über ein kräftiges Bariton-Fundament und überzeugte mit kultiviert ausgesungenen Linien. Namwon Huh als Ferrando hatte zu Beginn Probleme mit stimmlicher Enge und Höhenunsicherheit, was man wohl der Premierenanspannung zuschreiben muss, denn im Verlauf gefiel sein zunehmend gut geführter, klarer feiner Tenor mit schöner Leuchtkraft immer besser. Bei seiner begrenzten Stimmkraft müsste ihm die Regie bei der Platzierung auf der Bühne besser unterstützen. Ähnlich erging es wohl auch Irina Simmes als Fiodiligi; sie, deren Stimme ohnehin etwas zur Schärfe neigt, konnte zunächst nicht gefallen. Nachdem sie aber ihr „come scoglio“ mit den mörderischen Tonsprüngen technisch bravourös gemeistert hatte und dort sogar in den Tiefen noch gut hörbar war, schien eine Last von ihr abzufallen. Sie gestaltete ihre Partie fortan mit viel mehr Schmelz und gelangte in ihrem Rondo im zweiten Akt „Per pietà“ zu einer schönen innigen Interpretation. Mit Marija Joković war ein samtiger Mezzosopran als Dorabella besetzt; sie verband Tiefgründigkeit und Leuchtkraft, dagegen nicht sehr nuanciert in der Farbgebung. In der ihr zugedachten Rolle konnte die dementsprechend ziemlich abgetakelt aufgemachte Ks. Carolyn Frank als Despina von der Bühnenpräsenz her punkten. Und stimmlich passte sie auch in diese Rolle; aber das ist hier kein Kompliment. Dazu hätte sie ruhig mal nach dem Taktstock des Dirigenten schauen können, denn was der schlug, schien sie streckenweise gar nicht zu interessieren.
Das Premierenpublikum war sehr angetan von dem insgesamt gelungenen Opernabend und spendete begeisterten und lang anhaltenden Beifall, über den sich das Regieteam offensichtlich am meisten erleichtert zeigte. Nächste Vorstellung am 15.05.; dann noch fünf weitere Male bis zum 10.07.2014
Manfred Langer, 12.05.2014
Fotos: Florian Merdes
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