Søren Nils Eichberg ist in Wiesbaden ein Wiederholungstäter. Der Komponist, Jahrgang 1973, hatte am Staatstheater bereits 2017 mit der Uraufführung seiner Oper „Schönerland“ auf sich aufmerksam gemacht und den rührigen Intendanten Uwe Eric Laufenberg bei dessen Suche nach Stücken mit „überraschender, heutiger Musik“ (so Laufenberg im OF-Interview) offenbar so überzeugt, daß dieser gleich die nächste Oper bei ihm in Auftrag gegeben hat. „Oryx and Crake“ heißt sie, nach einem Roman von Margaret Atwood, und wird am 18. Februar in Wiesbaden uraufgeführt. Dazu hat Søren Nils Eichberg Fragen unseres Chefredakteurs Michael Demel, beantwortet.
OF: Zur Wahl des Stoffes: Es handelt sich um eine Auftragsarbeit. Wer hatte die Idee, eine Literaturoper zu Margaret Atwoods Roman zu produzieren? Kannten Sie den Roman vorher?
Eichberg: Bereits während „Schönerland“ noch lief, bot mir Uwe Laufenberg einen neuen Auftrag an. Ich habe dann viel nachgedacht, was ich als nächste Oper machen wollte. Mir war klar, daß es inhaltlich etwas völlig anderes sein sollte als „Schönerland“ – ich hatte eher das Gefühl, wieder an „Glare“ anknüpfen zu wollen. An Margaret Atwood gefällt mir die Intelligenz, die psychologische Tiefe der Personenführung, die Erzählungen und die generelle „Musikalität“. Und ich erinnerte mich, gehört zu haben, daß sie selbst gesagt hatte, daß sie sich „Oryx and Crake“ eher als Oper vorstellen könne denn als Film oder Serie. Ich habe mir dann dazu ein paar Gedanken gemacht und den Stoff in Wiesbaden vorgeschlagen. Dort fand man die Idee auch sofort gut. Bis wir dann die Rechte für den Stoff erhalten haben, hat es allerdings nochmal zwei Jahre gedauert!
OF: Zur Musik: In Ihrer ersten Auftragsarbeit für das Staatstheater Wiesbaden, der Oper „Schönerland“, haben Sie sich als undogmatischer Komponist gezeigt, der durchaus auch mit traditionellen Elementen spielt. Es gab ariose Passagen für die Solisten, starke Chöre, etc. Was haben wir in dem neuen Werk zu erwarten? Generell: Wie würden Sie Ihren Musikstil beschreiben? Haben Sie musikalische Vorbilder?
Eichberg: Dogmen und Kunst passen für mich ganz schlecht zusammen. Ich finde es bezeichnend, daß die Regisseure um Lars von Trier, als sie mit ihrem „Dogma 95“ Manifest die Kinowelt revolutionierten, sich ja auch nicht wirklich an ihre eigenen Regeln gehalten haben. Ein Rahmen ist immer hilfreich, wenn man an als Künstler an etwas heran geht, aber wenn der Rahmen zu eng wird, muß man flexibel sein. Die Oper ist eine sehr alte, sehr traditionelle Kunstform. Als Komponist gehe ich da in den Spagat, sowohl aus dieser Tradition heraus zu arbeiten, jedoch mit meinen eigenen Erfahrungen und Ideen meinen persönlichen Beitrag zu leisten, die Kunstform zu aktualisieren und in die Zukunft zu führen. Denn wie traditionell die Kunstform Opera auch sein mag: Sie hat sich ja IMMER wieder der Zeit angepasst und sich neu erfunden.
OF: „Schönerland“ ist ein Flüchtlingsdrama, „Oryx und Crake“ beleuchtet wie jeder dystopische Romanstoff gesellschaftspolitische Fragestellungen, hier konkret am Thema der Genmanipulation zu einer fragwürdigen Optimierung des Menschen. Wie wichtig ist Ihnen ein derartiger aktueller politischer Bezug? Muß das Musiktheater „Fragen der Zeit“ behandeln? Darf es auch „l’art pour l’art“ sein?
Eichberg: Wie vorher schon gesagt: „Müssen“ gibt es in der Kunst gar nicht. Eine andere Sache ist, daß ich nicht glaube, daß Musiktheater (wie die meiste Kunst) unpolitisch sein KANN. Natürlich kann ich ein Theatererlebnis schaffen, was besagt: „Ich WILL mich heute nicht mit der Welt draußen beschäftigen. Heute will ich meine Ruhe und nur Schönes hören und sehen“. Und das ist ja manchmal auch in Ordnung. Aber dadurch wird es ja nicht unpolitisch. Ein Ausblenden von Problemen oder Wegschauen ist ja auch ein Statement. Und als Künstler ist es für mich nicht so interessant.
OF: „Die Oper ist tot – es lebe die Oper!“ war der Titel einer soeben zu Ende gegangenen Ausstellung an der Bundeskunsthalle in Bonn. Ihr Auftraggeber, der Wiesbadener Intendant Uwe Eric Laufenberg, hat im Interview mit dem OPERNFREUND vor einigen Jahren die Einschätzung geäußert: „Was wir brauchen, sind vielmehr neue Stücke mit überraschender, heutiger Musik. Ich fürchte, daß die Oper untergeht, wenn uns das nicht irgendwann wieder gelingt.“ Weiter hat er ausgeführt: „Wenn man aber andere Musikbereiche heute sieht, die etwa mit elektronischer Musik, mit stark vom Rhythmus geprägten Formen eine Musiksprache kreieren, die offenbar sehr nahe bei den Leuten ist, warum sollte das dann im Musiktheater nicht möglich sein? Wenn man diese Musik singen, fühlen, meinetwegen mittrommeln kann, dann wird sie auch wieder ihren Weg zum Publikum finden.“ Wie stehen Sie dazu? Muß Musiktheater „populär“ sein, muß es den Hör- und Sehgewohnheiten des Publikums entgegenkommen? Braucht es nach einem Jahrhundert der Klangexperimente eine neue Einfachheit?
Eichberg: Für mich hat das eigentlich gar nicht so viel mit „populär“ zu tun. Sondern damit, daß sich Kunst in einem gesellschaftlichen Kontext befindet. Und der verändert sich. Als Komponist spiegele ich schließlich meine Zeit wider – das was mich geprägt hat und prägt. Wenn also in meiner musikalischen Sprache Brahms und Lachenmann genauso wie Depeche Mode, Black Sabbath, Miles Davis und Billie Eilish vorkommen – wenn man hört, daß ich von Mozart Rezitativ-Techniken gelernt habe, aber auch Tempo- und Schnitttechniken von Netflix – dann ist das nicht etwa Rücksichtnahme auf ein Publikum sondern einfach, weil ich als Mensch ja selbst der Reizüberflutung unsere Zeit ausgesetzt bin, und bei uns allen die verschiedensten Eindrücke und Erlebnisse zusammenfließen. Ich lasse also einfach zu, daß das alles „da“ ist und erarbeite mir meine Werke mit dem gesamten Vokabular, statt da etwas künstlich raus zu filtern. Das fände ich nicht ehrlich – und auch nicht notwendig.
OF: Abschließend: Haben Sie bereits Planungen für weitere Musiktheaterwerke?
Eichberg: Da gibt es schon verschiedene Ideen. Als erstes ist aber nun einmal ein grösseres Chorwerk dran. Und dann freue ich mich auf ein Violinkonzert für Hilary Hahn. Mein 12 Minuten kurzes Mini-Violinkonzert „Qilaatersorneq“ war 2001 ein Art Durchbruch für mich und seitdem denke ich dran, irgendwann ein „richtiges“ Violinkonzert zu schreiben. Mit Hilary habe ich bereits zusammen gearbeitet, und daß sich da jetzt die Gelegenheit gegeben hat, ist für mich etwas ganz Besonderes. Sie ist für mich einen der interessantesten Musikerinnen unseren Generation. Ich freue mich sehr darauf.
„Oryx and Crake“ hat am Staatstheater Wiesbaden am 18. Februar 2023 Premiere.
Weitere Aufführungen gibt es am 1., 11., 23. und 31. März sowie am 16. und 21. April 2023.
Das Staatstheater Wiesbaden hat eine originelle Einführung zum Stoff und zu den Künstlern in Form kurzer Lexikon-Artikel mit dem Titel „Das Alphabet der Craker“ erstellt.
Einen gut gemachten Teaser gibt es auch.