Eine Ära an der Oper Frankfurt neigt sich ihrem Ende zu. Es ist die letzte Spielzeit des beliebten Frankfurter Generalmusikdirektors Sebastian Weigle. Mit unserem Redakteur Dirk Schauß blickte er auf diese Zeit zurück und gab Einblick in seine aktuelle Konzertarbeit.
DS: Das nächste Museumskonzert bietet eine ungewöhnliche Kombination mit Schumanns Cellokonzert und der neunten Sinfonie von Gustav Mahler. Wie kam es dazu?
SW: Ich habe darum gekämpft, dass nur dieses Werk von Mahler am Abend gespielt werden soll. Aber die veranstaltende Museumsgesellschaft wollte unbedingt noch ein Solokonzert dabeihaben. Wir haben nur vier Proben für ein Konzert. Und diese besondere Sinfonie ist kein Repertoire Stück. Eine erste und fünfte Mahler Sinfonie wird wesentlich öfters gespielt. Wenn ich mich recht erinnere, war es mit meinem Frankfurter Orchester letztmals vor
vierzehn Jahren. Nun nähern wir uns diesem Werk und es wird immer intensiver und dichter. Darauf freue ich mich besonders. Es ist so voller Farben, so dass die Beschäftigung damit viel Zeit verdient. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester hat eine wahnsinnige Freude daran. Es muss viel analysiert und auseinandergenommen werden, weil Mahler so viel vorgibt, was ich gerne umgesetzt sehen möchte. Auf der anderen Seite freue ich mich auch sehr auf Schumanns Cellokonzert und besonders auf Alban Gerhardt, mit dem mich eine lange Freundschaft verbindet und viele gemeinsame musikalischen Erlebnisse. Spät fiel mir erst auf, dass ich meine finale Konzertsaison mit Mahlers neunter Sinfonie beginne und mit der neunten Sinfonie von Bruckner beschließe. Ein Programm wird üblicherweise lange im Voraus geplant.
DS: Ich war im letzten Museumskonzert einmal mehr sehr begeistert von der Qualität des Orchesters und schrieb, dass das Frankfurter Oper- und Museumsorchester das erste Orchester dieser Stadt ist.
SW: Oh, danke. Es ist ein Orchester, worauf ich sehr stolz bin.
DS: Es ist ein erheblicher Verdienst von Ihnen, ganz ohne Schmeichelei. Über die Jahre hinweg habe ich Sie genau beobachtet, weil es für mich ungemein faszinierend ist, zu erleben, wie ein Orchester sich mit einem Dirigenten entwickelt, vor allem in einer Langfristigkeit. Sie haben etwas geschafft, was keinem Ihrer Vorgänger gelang. Die Zusammenarbeit blieb bis zum Schluss frisch, ganz unverbraucht. Es ist jedes Mal festzustellen, wenn Sie dirigieren,
wie motiviert das Orchester in seiner Körpersprache und in den Gesichtern wirkt. Bei Ihnen war und ist erkennbar, dass da der Chef ans Pult tritt. Es ist immer bei Ihnen „Chefklang“. Immer. Was heißt das? Es ist Ihre Handschrift, unverkennbar. Sie arbeiten sehr präzise und gewähren dann viel Freiraum musikalischen Vortrag.
SW: Ja, genau so ist es.
DS: In diesem Zusammenhang denke ich an ein sehr bewegendes Museumskonzert mit der neunten Sinfonie von Anton Bruckner unter Ihrer Leitung. Bei diesem Konzert waren Sie außerordentlich bewegt und der Vortrag dieser Sinfonie geriet sehr emotional. Haben Sie noch eine Erinnerung an dieses Konzert?
SW: Ich habe dieses Werk dankenswerterweise bereits mit anderen Orchestern musizieren dürfen.
Für mich ist und bleibt diese Sinfonie ganz besonders. Natürlich sind Konzerte immer auch davon abhängig, was ich persönlich gerade erlebe. Ist ein Freund gestorben, dann bewegt das meine Gedanken und fließt so eben auch in den
musikalischen Ausdruck hinein. Ich empfinde diese Sinfonie von Bruckner teilweise auch als Oper. Es wird so viel darin
ausgesagt, dass versucht werden muss, alles in eine musikalische Aussage zu entwickeln. Mich reizt dabei auch das dynamische Spektrum jenseits der Forte Ausbrüche. Je deutlicher ich die Piano Anteile mit dem Orchester erarbeite, umso größer ist das dynamische Spektrum, umso weiter ist der Weg hin zu den lauten Ausbrüchen.
Nochmal zu Brucker, diese finale Sinfonie ist „dem lieben Gott“ gewidmet. Ich bin ein gläubiger Mensch, in der Kirche groß geworden und daher versuche ich mir Bruckners Klang immer in einer Kathedrale vorzustellen. Es ist eine erhebende Musik, ganz ohne Frage.
DS: Es war eine sehr persönliche Lesart.
SW: Ich lass die Zuhörer durch die Interpretation in mich hineinschauen. Natürlich kommen Körpersprache, Haltung, Intensität ergänzend hinzu. Im Idealfall ergibt das eine Verwirklichung dessen, was ich empfinde. Für meinen Abschied habe ich mir noch einmal die neunte Sinfonie von Bruckner gewünscht.
DS: Werden Sie bei der Bruckner Sinfonie auf ihre früheren Interpretationen zugreifen oder machen Sie es vom Moment abhängig?
SW: Es ist immer der Moment, der entscheidet! Wenn ich versuche, etwas Besonderes zu machen, verfehlt es diese Absicht. Natürlich kann ich mir etwas vornehmen. Und dieses Konzert wird anders, weil ich weiß, es ist mein Abschiedskonzert als Chef. Das macht etwas mit einem und daher lasse ich es auf mich zukommen. Ich entwickle meine Interpretationsansätze auf der Basis erlebter Erfahrungen. Es ist gut, sich neu zu erfinden. Wir haben zwei Museumskonzerte und natürlich versuche ich, Unterschiede an beiden Konzertabenden zu realisieren. Und das ist wunderbar, wenn Sie mit einem Opernorchester konzertieren, die können das und agieren so flexibel.
DS: Was ist die neunte Sinfonie von Mahler für Sie? Ist das ein Abschied?
SW: Für mich ist es eine sehr dichte Lebenserzählung, von Lebensweisheiten geprägt, aber auch Todesvorahnungen, überstandener Herzinfarkt, verstorbene Tochter, Auflehnung, Trotz. Es ist alles drin. Und dann dieser lange finale Satz, der sich in einem großen Frieden auflöst und ein ewig langes Ausatmen. Ich kenne kaum einen derart intensiven Finalsatz einer Sinfonie. Ich habe nie gedacht, dass dieses Gefühlsdichte derart intensiv zu mir spricht. Und es ist gleich so dicht im Orchester angekommen, dass ich heute den Fortissimo Elan in der Probe etwas einbremsen musste. Und
das ist gar nicht so leicht, denn letztlich will ich auch nicht bremsen. Nun, es ist auch für mich ein Entwicklungsprozess, da ich diese Sinfonie erstmals dirigiere.
DS: Mahlers Musik bedeutet alles oder nichts. Und, um ihr gerecht zu werden, müssen wir maximal unsere Gefühle öffnen.
SW: Ja, absolut, so ist es. Wir müssen für diese Musik alles geben und das wird uns gelingen.
DS: Wenn Sie Mahler dirigieren, denken Sie dabei auch an den Komponisten Hans Rott, der Mahlers Studienkollege und Freund war?
SW: Nein. Bei mir ist es umgekehrt. Wenn ich Rott dirigiere, denke ich an Mahler. Rott war lange vor Mahlers Sinfonien mit seiner einzigen Sinfonie fertig und Mahler hat sich da schon sehr deutlich daraus bedient. Tja, warum wohl war die Partitur so lange weg und Mahler hatte sie zuletzt …
DS: Schauen wir auf Ihr langes, erfolgreiches Wirken in Frankfurt zurück. Ist alles aufgegangen, was Sie sich gewünscht haben?
SW: Natürlich beginnt man eine solche Aufgabe mit sehr viel Motivation, z.B. bei der Realisierung der eigenen Klangvorstellungen. Mir war es wichtig, auch weniger bekannte Werke zu bringen. Ich kann sagen, ich war und bin hier wunschlos glücklich. Und da ich mir gerne hohe Ziele setze, freue ich mich, wenn ich damit länger zu tun habe. Ich
fühle mich von den Resultaten hier reich beschenkt. Ich blicke daher mit großer Dankbarkeit und Zufriedenheit auf diese Zeit. Ich reflektiere auch viel über mich selbst. Es ist mir wichtig, immer bei einer Fehlersuche bei mir selbst zu beginnen. Zu schnell kann es passieren, andere dafür anzukreiden. Ich kenne das auch ganz anders, als ich beispielsweise noch im Orchester gespielt habe.
DS: Hat Sie auf Ihrem Weg ein Motto, eine tiefe Überzeugung begleitet?
SW: Mein Ziel war stets, eine perfekte musikalische Arbeit hinzulegen im Schulterschluss mit einem sehr emotionalen Ergebnis!
DS: Sie wissen schon, dass Sie hier am Haus der längste amtierende GMD sind?
SW: Das war nie von mir so angelegt! Aber es hat sich alles so entwickelt und ich bin ja auch so gerne hier.
Aber irgendwann ist es dann auch notwendig, das Orchester loszulassen, Ihnen eine Neuorientierung zu ermöglichen, damit es sich weiter entwickeln kann. Ein Orchester muss neue Wege beschreiten.
DS: Lieber Herr Weigle, vielen Dank für das schöne Gespräch. Ihnen alles Gute und viel Zeit für Sie selbst.