DER OPERNFREUND - 51.Jahrgang
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www.pfalztheater.de/

  


HALKA

von Moniuszko

ist szenisch nicht der große Wurf.

Premiere am 23.0.2015

Lieber Opernfreund-Freund,

am Wochenende führte mich meine Raritätenjagd in die Pfalz. Am Samstag hatte in Kaiserslautern Stanislaw Moniuszkos Oper „Halka“ Premiere. Das Werk gilt als erste Nationaloper Polens, wird außerhalb des Mutterlandes so gut wie nie gespielt, gehört aber an polnischen Bühnen zum festen Repertoire. Gegeben wird die vieraktige Fassung, die 1858 in Warschau uraufgeführt wurde und unter anderem zwei wundervolle Arien und zwei Tänze mehr enthält als die bereits zehn Jahre zuvor im heutigen Vilnius gezeigte Urfassung. Die Oper behandelt vordergründig die Geschichte der Leibeigenen Halka, deren Liebe zum Großgrundbesitzer Janusz unerfüllt, aber nicht folgenlos bleibt. Er muss sich, den gesellschaftlichen Konventionen beugend, standesgemäß verheiraten, Halka träumt vom unerfüllbaren Glück und verschmäht den Jugendfreund Jontek, der wie sie dem unterjochten Volk der Goralen angehört. Die Oper endet mit dem Freitod der jungen Frau; Janusz und Jontek bleiben verzweifelt zurück. Die Unmöglichkeit der Verbindung zwischen Herr und leibeigener Magd wird jedoch schon im Libretto in einen weiteren Zusammenhang gestellt, wird gezeigt als Sinnbild für Unrecht und Unterdrückung. Das Sehnen Halkas nach Erfüllung der Liebesbeziehung wird zum Sehnen des Volkes nach Freiheit.

Musikalisch ist das durchkomponierte Werk wunderbar melodienreich und erinnert stellenweise an die Werke von Albert Lortzing. Arien und Duette bezaubern regelrecht. Einige eingestreute Tänze schaffen polnisches Lokalkolorit. Am Pfalztheater hat man sich entschieden, die Oper auf Deutsch zu zeigen, was leider genau diesem Kolorit entgegen wirkt und angesichts der zusätzlichen Übertitelung überflüssig scheint. Hier hätte dem Abend zumindest eine Überarbeitung der Übersetzung von Walter Zimmer nicht geschadet, die schon bei ihrer Entstehung 1959 antiquiert geklungen haben muss und deren hölzern-gestelzter Sprachstil nicht selten haarscharf am Kitsch vorbei schrammt. Unterstrichen wird genau dies leider durch die biedere Regie von Michael Sturm. Die Darstellung auf der Bühne strotzt nur so vor Pathos. Da wird mit großen, ausladenden Gesten die Liebe beschworen, den Kopf entweder schüttelnd oder in den Händen verborgen, das Schicksal der geschändeten Halka beweint oder huldvoll nickend daher schreitend die Gutsherrin gegeben. So kommt die Zeichnung der Charaktere über scherenschnittartige Stereotypen nicht hinaus, Hinter- wie Beweggründe bleiben unbeleuchtet, auch wenn Sturm auf der Bühne von Stefan Rieckhoff, der auch für die liebevoll gestalteten Kostüme verantwortlich zeichnet, vor allem im zweiten und dritten Akt durchaus stimmungsvolle Bilder gelingen. Das Finale hingegen kann man nur als „verinszeniert“ bezeichnen. Die einem optischen Griff in die Kitschkiste geschuldete, überlange musikalische Pause verleitet große Teile des Publikums sogar zu vorzeitigem Schlussapplaus.

Der musikalische Teil des Abends überzeugt da eher. Der von Ulrich Nolte einstudierte Chor hat in der „Halka“ nicht nur ordentlich zu singen, sondern auch zu tanzen (Choreografie: Lillian Stillwell), geht mit reichlich Spielfreude ans Werk und überzeugt da wie dort auf ganzer Linie. Im schwungvoll dargebotenen Lied der Bergbauern im dritten Akt gelingt so – neben Halkas Gebet im zweiten und Jonteks Arie im dritten Akt – der musikalisch eindrucksvollste Moment des Abends. Ein positives Resümee ist außerdem nicht zuletzt den mitunter ausgezeichneten Solisten zu verdanken. Arlette Meißners Halka besticht durch wunderbar warme Töne und hinreißend gefühlvolle Pianissimi. Ihr nimmt man die naiv Liebende ebenso ab, wie Alexander Geller den unglücklichen Jontek. Sein metallisch klingender Tenor mag nicht jedermann gefallen (mir schon!), passt aber hervorragend zur Rolle und verfügt über tolle Facetten und viel Gefühl. Erprobter Gast am Haus ist Bernd Valentin, der den Gutsbesitzer mit kraftvollem Bariton anlegt, der warme Mezzo der jungen Amerikanerin Jennifer Feinstein klingt wunderschön, passt aber stimmlich nicht ganz zu Halkas kalter Rivalin Sophie. Ihr Vater wird von Ensemblemitglied Alexis Wagner über weiter Strecken mit überzeugender Tiefe verkörpert, ebenso routiniert tritt Daniel Böhm als ambitionierter Verwalter Dziemba auf. Komplettiert wird das Ensemble durch Daniel Ewald und Jacek Jacunski in den kleineren Rollen.
Rodrigo Tomillo leitet das Orchester von der wundervollen Ouvertüre an sicher durch die farbenreiche Partitur, übertönt leider beim ein oder anderen Aufmarsch die Sänger deutlich, vermag jedoch auch stillere Passagen packend und gefühlvoll umzusetzen.

Das Publikum im ausverkauften Pfalztheater spendet der Ausgrabung freundlich Beifall, bejubelt zu Recht Herrn Geller und Frau Meißer, beklatscht das Regieteam aber eher verhalten.

Mein Fazit: Lassen Sie sich diese erst 15. Produktion der „Halka“ auf einer deutschen Bühne seit ihrer Entstehung 1858 nicht entgehen. Auch wenn optisch manches an die Opernmottenkiste denken lässt, musikalisch ist es ein wunderbarer Fund und dem Pfalztheater sowie den Sängerinnen und Sängern gebührt großes Lob.
Fazit meiner Pfälzer Sitznachbarin auf meine Frage, wie ihr denn der Abend gefallen habe: „Schön wars! Wunderschön! Nur die Taube am Schluss – die war Kitsch!“ – dem ist nichts hinzuzufügen …

Ihr
Jochen Rüth aus Köln
25.05.2015

Fotos von Hans-Jürgen Brehm-Seufert

                                               

IRRELOHE

Premiere am 7.3.15                                                                       

Musikalisch gelungen, szenisch misslungen

Franz Schreker war am 25. März 1919 von Dresden mit der Bahn nach Nürnberg unterwegs, um der Premiere seiner Oper „Die Gezeichneten“ beizuwohnen, als der Zug plötzlich im Bahnhof Irrenlohe in Schwandorf in der Oberpfalz anhielt. Vom Klang dieses Namens begeistert entwarf Schreker ein Libretto, das den Schauerromanen eines E.T.A. Hoffmann oder Edgar Allan Poe nahe steht. Die Handlung der dreiaktigen Oper (seiner fünften) spielt im 18. Jhd. im Dorf und auf Schloss Irrelohe, auf dem ein Fluch lastet. Aus der Verbindung eines der Grafen mit einer Nixe wurde einst das Geschlecht derer von Irrelohe gezeugt, deren männliche Nachkommen seitdem regelmäßig eine Frau aus dem Dorf vergewaltigen und danach umnachtet sterben. Der derzeitigd Graf Heinrich hat einen Halbbruder Peter aus der Beziehung seines Vaters zur Schankwirtin Lola. Beide Männer werben um die Försterstochter Eva, die sich gleich Wagners Senta dazu berufen fühlt, den unglückseligen, von Wahn entflammten (Irrelohe!) jungen Grafen Heinrich, zu erlösen. Und da ist noch der ebenfalls irre Musikant Christobal, der einst mit Lola verlobt war, und der gemeinsam mit einem Musikantentrio jedes Jahr im Ort einen Brand stiftet und der nicht eher ruht, bis am Ende der Oper auch das Schloss Irrelohe in Flammen erlischt.

 

Das Motiv der feindlichen Brüder und der gemeinsamen Geliebten kennt man freilich sattsam aus Verdis il trovatore. Thaïs und Lakmé sind, neben der bereits genannten Senta, ebensolche Stereotype der aufopferungsbereiten liebenden Frau. Nach nur zweijähriger Kompositionszeit wurde die Oper schließlich am 27. März 1924 im Stadttheater Köln unter Otto Klemperer uraufgeführt. Trotz Wiederbelebungsversuchen in Bielefeld (1985), Volksoper Wien (2004) und Bonn 2010) konnte sich die am stärksten sinfonische von  Schrekers Opern bislang leider keinen festen Platz im Repertoire sichern.

Max Frisch Erfolgsdrama „Biedermann und die Brandstifter“ war zu Lebzeiten des Komponisten zwar noch nicht bekannt, aber das große „Reinigungsfeuer“ erscheint schon als Motiv in Meyerbeers Le Prophète und natürlich in Wagners  Götterdämmerung.

Nun bemühte sich das Pfalztheater Kaiserslautern um eine Wiederbelebung von Schrekers musikalischem Meisterwerk. Und der Versuch muss zumindest musikalisch als gelungen angesehen werden. Was da von dem auf der Hinterbühne spielenden Orchester des Pfalztheaters unter dem Dirigenten Uwe Sandner in den Zuschauerraum drang, war geradezu phänomenal. Und ebenso stimmgewaltig war auch der von Ulrich Nolte geleitete Chor und Extrachor des Pfalztheaters Kaiserslautern.

Und auch bei den Sängern der feindlichen Halbbrüder, Heiko Börner als Graf Heinrich und Wieland Satter als Peter, kann man nur eine Lobeshymne anstimmen, so textverständlich und leidenschaftlich interpretierten sie die so unterschiedlichen Charaktere der Rivalen um die Liebe von Eva.

Und großartig war noch die alte Lola von Katja Boost, mit robustem Mezzo kraftvoll vorgetragen. Adelheid Fink als Eva hatte leider hörbar mit den immensen gesanglichen Schwierigkeiten, mit denen Schreker ihre Partie gespickt hatte, zu kämpfen, sodass sich einige wirklich unschöne hohe Töne einschlichen. Ich hatte beim aufmerksamen Zuhören den Eindruck, dass die noch recht junge Sängerin ihrer Stimme mit einer solchen Kraftanstrengung auch keinen wirklich guten Dienst erwiesen hat.

Hubertus Bohrer als Förster, Vladimir Gerasimov als Pfarrer und Peter Hamon als Müller oblagen die eher heiteren Sequenzen in dieser „Gothic Opera“.

Das Musikantentrio mit den beredten Namen Fünkchen, Strahlbusch und Ratzekahl wurde von Daniel Kim, Daniel Böhm und Alexis Wagner gegeben und spielte und sang zum Feuerzauber, den Uwe Eikötter als Hochzeitsspieler Christobald, veranstaltete, auf. Den Hauswart auf Irrelohe, Anselmus, besorgte noch Radoslaw Wielgus.

Aber das eigentliche Dilemma dieses Abends lag in der völlig uninspirierten bzw nicht vorhandenen Regie von Holger Müller-Brandes. Dabei hatte alles noch relativ interessant mit einem Damen Defilee in ausgefallenen lasziven Roben und extravaganten schwarzen Hüten begonnen und es war sofort klar, dass man hier das Weib an sich, jene femme fatal in immer neuer abgewandelter Form, Inhalt der Obsessionen derer von Irrelohe vor sich sah. Und dieses Objekt der Begierde wird schließlich zerstört, indem die männlichen Choristen mit Schaufensterpuppen tanzen und ihnen die Gliedmaßen ausreißen. Soweit so gut, dazwischen und danach ereignete sich aber so gut wie nichts auf der Bühne, außer dass einzelne Szenen von den Protagonisten mit einem großen Scheinwerfer ausgeleuchtet werden, um gleichsam das Auge des Betrachters und der Betrachterin auf eine bestimmte Szene zu fokussieren. Und völlig hilflos zeigte sich das Leading Team auch beim Feuer, welches Irrelohe verzehrt. Da wurde nicht einmal der Versuch unternommen, so etwas wie ein brennendes Furioso, das die Musik ja immerhin beschreibt, aufzuzeigen.

Aber für dieses szenische Desaster ist nicht nur der Regisseur, sondern auch sein Bühnenbildner Thomas Dörfler verantwortlich, der neben schwarzen Müllsäcken zwischen Zuschauerraum und Bühne drapiert, in denen sich das unheilvolle Dreieck Eva, Heinrich und Peter abwechselnd räkelt, wälzt und kämpft, nur noch eine schiefe Spielebene auf die Vorderbühne und drei Laternen an die rechte Bühnenseite stellt, Hochspannungsleitungen quer über die Bühne zieht und eine riesige Flamme hinter dem Orchester erstrahlen lässt, wohl als Memento der Oper gemeint.

Die Kostüme von Almut Blanke waren in erster Linie für das Defilee der Statistinnen überwältigend erdacht, sonst herrschte ein allzu beliebiges Einerlei vor. Der symbolträchtige Schleier, mit dem schon die alte Lola spielt, dient dann Peter dazu, sich als Braut zu kleiden und Schuhe mit hohen Absätzen zu tragen. Eine dringend erforderliche Lichtregie, für die das Programmheft Manfred Wilking als Verantwortlichen nennt, habe ich vergeblich gesucht.

Es war für mich kein Wunder, dass einige Zuschauer in der Pause ihren Unmut darüber äußerten, mit dem Werk nichts anzufangen. Es wurde ihnen ja auch seitens des Regieteams keine nachvollziehbare und schlüssige Geschichte erzählt, die einem durchaus interessierten Publikum gerade eine wenig bekannte Oper erschlossen hätte. Eine große Chance, einem Werk von Franz Schreker seinen gebührenden Stellenwert im 21. Jhd. auf der Opernbühne zu sichern, wurde mit dieser Produktion leider vertan. Schade!

Harald Lacina, 9.3.2015

Fotocredits: Stephan Walzl

 

Opernfreund-CD-Tipp

 

 

 

 

 

„Friedenstag“ des  Pfalztheaters wurde in der Kategorie Richard-Strauss-Jubiläums-Produktionen

für den International Opera Award nominiert

Opernpreise gibt es mehrere. In Mitteleuropa sind die von der Zeitschrift OPERNWELT derzeit noch die begehrtesten, obwohl dieser Preis nur nach einem einstufigen Nominierungsverfahren vergeben wird. Eine Wahl findet nicht statt; das Ergebnis liegt irgendwo zwischen Manipulation und Zufall. Seit 2006 gibt es den FAUST des Deutschen Bühnenvereins, der ein transparentes Verfahren für Nominierung und Wahl veröffentlicht hat. Es geht um Oper und Schauspiel nur in Deutschland. Ein Geschmäckle haben diese Preis allerdings auch, denn sie werden letztlich von den Theatern an sich selbst ausgereicht. 2013 wurden zum ersten Mal die INTERNATIONAL OPERA AWARDS vergeben, deren Organisation mit internationalen Größen aus der Opernwelt als "patrons" und "judges" bestückt ist. Ein englischer Honoratiorenverein, der seit zwei Jahren in einer großen Anzahl von Kategorien Preise für das Operngeschehen weltweit vergibt. Die Awards, gestiftet von Harry_Hyman, sollen dazu beitragen, Oper in der Öffentlichkeit noch bekannter zu machen und für mehr Ansehen zu sorgen. Für alle Interessierten ist das „Dinner“ zugänglich, das jährlich in bester britischer Manier zur Preisvergabe veranstaltet wird.  -  Man erinnert sich, dass 2013 im ersten Jahr Frankfurt zum Opernhaus des Jahres gekürt wurde. Auch im zweiten Jahr kamen viele Nominierungen und zwei erste Gewinner aus Deutschland. Gerade wurden die Nominierungen für 2015 veröffentlicht. Häuser und Festspiele aus dem deutschsprachigen Raum sind bei den Nominierungen diesmal nur mäßig vertreten; aus Deutschland selbst die Komische Oper Berlin für ihre Gesamtleistung, die Semperoper für ihre Richard-Strauss-Jubiläumsproduktion von „Feuersnot“ und das Pfalztheater Kaiserslautern in der nämlichen Kategorie mit „Friedenstag“. Die Pfälzer befinden sich damit in Gesellschaft von Häusern wie Covent Garden  und De Munt/La Monnaie.

Mit Befriedigung stellen wir vom Opernfreund fest, dass die große Anstrengung des kleinen Theaters allein schon durch die Nominierung internationale Anerkennung gefunden hat, und verweisen auf die weiter unten stehenden drei Besprechungen dieser Produktion, der gleich dem Herauskommen schon ein weiterer wichtiger Preis zugestanden worden ist: Der Opernfreund-Stern! Ganz falsch haben wir also nicht gelegen!

ML / 14.01.15

http://www.operaawards.co.uk/

 

 

 

Mit gebremstem Schaum

PARISER LEBEN (La vie parisienne)

Vorstellung am 22.11.2014                               (Premiere am 08.11.2014) 

Heiteres aus der Pariser Salonbesetzerszene: Heutiges mit historischer Maskerade

1855 fand in Paris die erste Weltausstellung statt. Jaques Offenbach (eigentlich: Jakob Eberst) war zu diesem Zeitpunkt schon 22 Jahre in Paris und am Théâtre français für Bühnenmusik zuständig. Er sah und ergriff die Chance für ein neues Musiktheater-Genre und eröffnete 1855 zur Aufführung seiner eigenen Stücke das Théâtre des Bouffes-Parisiens. Das richtete sich trotz der Zielrichtung Unterhaltung an das gehobene Publikum: Frack und weiße Handschuhe waren für die Herren Besucher vorgeschrieben. (Die Damen kleideten sich ohnehin mit Chique.) Offenbach entwickelte für sein Theater Buffen und Burlesken aus dem Genre der opéra comique und schuf somit die Operette mit parodistischem Zeitbezug. Das Theater existiert noch heute, und einige der für dieses Theater geschrieben Offenbach-Travestien gehören noch heute zu den Rennern. Offenbachs zynischer Sarkasmus gehörte zum 2nd Empire Frankreichs wie die „Insulaner“ zum Berlin der 50er Jahre. Als es mit diesem Reich vorbei war, war es auch mit Offenbachs zynischen und sarkastischen Buffen vorbei, welche die Welt der Reichen und Schönen konterkarierten. 

Stephan Boving (Bobinet); Daniel Böhm (Raoul de Gardefeu)

1867 fand wieder eine Weltausstellung in Paris statt, und wieder wurde wieder ein großer Besucherzustrom aus dem In- und Ausland erwartet. Dem sollte im Pariser Leben viel Abwechslung geboten werden. Das Théâtre du Palais Royal bestellte bei Offenbach und seinen Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy ein neues Unterhaltungsstück, das auf vorhandenen Boulevard-Stücken basierte und für das es auch schon Musikeinlagen von Offenbach gab. „La vie parisienne“ wurde schon am 31.10.1866 uraufgeführt. Der Stoff ist aus dem damaligen unmittelbaren gesellschaftlichen Umfeld von Paris genommen („à Paris, de nos jours“: die wohlhabende Bourgeoisie und der niedere Adel halten Tänzerinnen oder Chansonneusen aus) und mit einem gehörigen Schuss textlichem Realismus gestaltet. Der schwedische Baron von Gondremarck reist mit seiner Frau Christine nach Paris, um dort mit der bekannten Chanson-Sängerin Métella anzubandeln. Am Bahnhof wird er vom Lebemann Raoul de Gardefeu abgefangen, der sich als Fremdenführer ausgibt und das Ehepaar mit zu sich nach Hause nimmt, angeblich eine Dépendance des Grandhotels. Gardefeu hat es auf Christine abgesehen. Métella war zwischendurch auch mit Gardefeus Freund Bobinet liiert, möchte aber zu Gardefeu zurückkehren. Mit einer großen Gästetafel mit gefälschten Promis will Gardefeu die Schweden beeindrucken; ebenso Bobinet, der im Salon der Madame Quimper-Karadec ein Riesenfest mit großer Maskerade veranstaltet. Zum Schluss verzeihen alle allen die nicht stattgefundenen Seitensprünge. Eine ganze Reihe weiterer Personen mit ausdrucksstarken Namen füllt das Geschehen auf.

Stephan Boving (Bobinet), Monika Hügel (Gabrielle), Astrid Vosberg (Métella), Damen des Chors und des Balletts

Die eher belanglose Handlung ist in fünf Akte oder Tableaus gegliedert, die aus der Komik der Situation und durch die vielen Anspielungen leben. Da diese bezüglich der Napoleon-III-Zeit vor allem in Deutschland nicht mehr so gut verstanden werden, wird bei Bearbeitungen heute meistens ein textlicher Zeitbezug hergestellt und der Stoff aktualisiert. Die Uraufführung des Stücks geriet zu einem grandiosen Erfolg. Allein in der Urfassung (die Zahl der späteren Umarbeitungen und Kürzungen ist sehr unübersichtlich) fanden bis 1869 323 Vorstellungen statt. Auch Napoleon III und der russische Zar waren unter den Besuchern. 

Für die Lauterer Produktion hat der Regisseur Andreas Bronkalla Teile des gesprochenen Texts neu übersetzt und gestrafft, aber dabei auf kabarettistische Anspielungen verzichtet. Er verlegt die Handlung des Stücks nicht räumlich, sondern nur zeitlich, nämlich ins Paris der Gegenwart. Heiko Mönnich hat ihm dazu einen rechteckigen verglasten Bühnenraum zur Verfügung gestellt, in welchen ja nach Szene die passenden Kulissen herabgelassen und spärliches, aber typisches Mobiliar gestellt wird. Im ersten Akt soll das schwedische Ehepaar eintreffen (wo, ist im Libretto genauestens definiert: La gare du chemin de fer de l'Ouest. Rive gauche – heute: Gare Montparnasse) - auf einem Bahnhof mit moderner Anzeigetafel, aber architektonisch einer Metrostation gleichend. Das ist penibler Realismus, denn man kommt ja heute nicht mehr mit dem Zug von einer Hafenstadt an der gare Montparnasse an, sondern mit dem RER vom Flughafen Roissy in die Stadt! Auch die Kostüme der Darsteller (Ursula Beutler) zeigen zunächst einen tristen Gegenwartsrealismus. Das ändert sich später in den vielen Maskeraden und vor allem beim Chor, der sich mehrfach in fantasievolle bunte Kleider umziehen muss, aber zunächst auch als realistische Lungergesellschaft inkl. Clochard am Bahnhof rumhängt.

Alexis Wagner (Baron vonGondremarck), Stephan Boving (Bobinet); Damen des Balletts

Die Gästetafel des zweiten Akts bei Gardefeu ist spärlichst möbliert; der von Bobinet veranstaltete Salon lebt von der Chormasse in ihren Kostümen. Die Akteure haben sich aus der Gegenwart verabschiedet und in Kostüme der Entstehungszeit verkleidet. Im vierten Akt, der vielfach gestrichen wird, geht es etwas ungelenk wieder in den Salon Gardefeus zurück. Am besten gelungen ist der fünfte Akt im Festsaal des Café Anglais, wo der wendige  Barkeeper die letzten Verwicklungen auflöst.  

Leider hält die Regie das Geschehen nicht durchgängig in Schwung. Da die Handlung nicht spannend und der Text unaufregend, manchmal gar platt ist, bleibt alles am Bühnengeschehen hängen. Und trotz vieler guter Einzelleistungen der Schauspieler reicht das Gesamtbild nicht aus. Es genügt nicht, wenn Chor und Darsteller immer wieder in eintöniger Gruppendynamik hüft- und kniewackelnd über die Bühne geschickt werden – an die Rampe und bis auf den vorderen Orchesterumgang. Da müsste mehr Schwung, Fantasie und Witz rein. Dabei wurde die Szenerie mit durchaus geschickten Ballett-Szenen aufgemischt, die nicht steril als einzelne Ballettnummern zu den vielen Tanzmusikstücken kamen, sondern gekonnt in das Gesamtgeschehen auf der Bühne integriert waren. Was der Chor zu singen hatte, blieb leider textlich unverständlich. (Einstudierung: Ulrich Nolte) Das zehnköpfige Tanzensemble des Theaters stellte hingegen in seinen Szenen jeweils ein erfrischendes Element dar (Choreographie: Stefano Gianetti). 

Auch das was aus dem Graben zu hören war, blieb über große Strecken von Pfeffer und Verve einer Offenbachiade entfernt. Rodrigo Tomillo am Pult des Pfalztheater-Orchesters brachte zwar ein recht inspiriertes Dirigat ‘rüber, aber der echte Offenbach-Schmiss fehlte. Zudem lief es an den Stellen, wo er es mit rasanten Tempi versuchte, mit der Bühne, vor allem dem Chor nicht mehr zusammen. Die Quadrillen, Walzer, Polken, Mazurken und Cancans, die Couplets, die kurzen prägnanten Melodien; alles das hätte noch mehr funkeln können.

Monika Hügel (Gabrielle), Günther Fingerle (Joseph Partout), Damen des Chors und des Ballets

Das Personaltableau der Operette ist in der Originalversion sehr unübersichtlich. Durch gelinde Straffungen und Rollenzusammenlegungen gelang es dem Regisseur, der ja auch Chefdramaturg am Pfalztheater ist, hier einigermaßen Klarheit zu schaffen. Bei genauem Hinschauen auf die Liste der Darsteller stößt man auf eine gute alte Tradition der kleineren Theater. Da muss ein Mitarbeiter auch mehrere Funktionen ausfüllen können. So spielte der Pressesprecher des Hauses, auch gelernter Schauspieler, eine der Hauptrollen, und der Erste Kapellmeister tritt in einer komischen Bühnenrolle auf. Das ist Theater! Und neben dem Ballett trugen die Einzelleistungen der Solisten auch die Qualität des Abends, wobei naturgemäß die Sänger jeweils besser im Singen waren, obwohl sie auch durchweg auch ihre Sprechpartien gut beherrschten (fast durchweg deutsche Muttersprachler), und die Schauspieler besser im Sprechen. Fast das gesamte Lauterer Sängerensemble war aufgeboten. 

Vor allem die Sängerinnen gefielen. Monika Hügel gab eine silbrig-glitzernde Gabrielle und gefiel mit ihrem lebendigen Spiel. Astrid Vosberg, ein Kaiserslauterer Gewächs, die auch im Schauspielensemble des Theaters mitwirkt, gefiel mit ihrem dunklen Sopran als Métella und gefiel in der Art, wie sie die „Herren“ an der Nase herumführte. Arlette Meißner gab die Baronin Christine und konnte mit ihrem klaren schön fokussierten Sopran punkten, dessen Timbre sich zwischen ihren beiden Kolleginnen ansiedelte und gut abhob. Darstellerisch verlieh sie der herablassenden Baronesse das geeignete Profil. Extrabeifall erhielt Geertje Nissen als resolute Madame de Quimper-Karadec. Mit ihr war gar nicht zu spaßen; passend dazu ihr kräftiger Mezzo.

Pierre-Eric Monnier (Mme de Folle-Verdure), Arlette Meißner (Baronin Christine), Geertj Nissen (Mme de Quimper-Karadec)

Daniel Böhm verlieh dem Raoul de Gardefeu seinen eleganten wendigen Bariton; schauspielerisch fehlte es ihm indes etwas an Ausstrahlung, um den Salonlöwen zu beglaubigen. Leichter hatte es Stephan Boving, mit eher bronzenem Buffotenor als Gast von der komischen Oper Berlin, der seinen Freund Bobinet recht beweglich darstellte, insgesamt aber blass blieb. Alexis Wagner als Baron von Gondremarck mit kraftvollem, deutlichem Bass, verkörperte gewisse Züge eine Anti-Galans; dass er bei Métella nicht landen konnte, erstaunte nicht. In den zwei Rollen als Schuster Frick (im französischen Original soll er mit seinem deutschen Akzent Lacher erzeugen, was hier nicht funktioniert) und dem reichen Brasilianer Pompa di Matadores gefiel Peter Flochs kräftiger nicht zu heller Charaktertenor.  Pierre-Eric Monnier, im Hauptberuf 1.Kapellmeister des Orchesters, gab als Knallcharge die Madame de Folle-Verdure (texto: das verrückte Grünzeug) und bewies, dass er auch über einen sonoren Bariton (gesprochen) verfügt. Bleibt noch über Günther Fingerle zu berichten, auf den die Regie drei Rollen konzentrierte, die  vom „Fremdenführer“ Joseph Partout (Josef Überall), bis zu der des Barkeepers Alfred, die dort zur Hauptrolle wurde. Weniger stimmgebildet ist sein Bariton, aber wenn der letzte Akt mit zum Besten des Abends wurde, war das nicht zuletzt sein Verdienst. Wendig und mit natürlich anmutender Spielfreude zeigte er sich hier in seinem Element. 

Die nächsten Vorstellungen in Kaiserslautern sind am 26.11. und 02.12., dann noch weitere acht Mal in dieser Spielzeit. 

Manfred Langer, 24.11.2014                         Fotos: Hans-Jürgen Brehm-Seufert

 

 

 

 

Befreiung oder Unterwerfung?

FRIEDENSTAG mit "Metamorphosen"

(Richard Strauss)

Vorstellung am 05.10.2014               (Premiere am 27.09.2014)

Der Friede wird nicht gewonnen, wenn der Hass andauert

Die Oper Friedenstag geht auf das Drama "Die Kapitulation von Breda" den spanischen Dichter Pedro Calderón de la Barca zurück. (Historisch 1625) Strauss‘ Librettist Stefan Zweig fertigte 1934 auf Wunsch des Komponisten einen "1648" genannten Entwurf des Librettos an. Zweig schwebte eine Parabel auf die politische Situation im Dritten Reich vor. Die Arbeit am Libretto wurde durch Zweigs Emigration unterbrochen. Auf Zweigs Empfehlung wurde es dann von Joseph Joseph Gregor ausgeführt, mit dem Strauss auch bei späteren Arbeiten nie richtig warm wurde und der der letztlich einen kalten, wenig opernhaften Text vorlegte. Die Handlung des einaktigen Werks spielte nun im Festungswerk einer belagerten Stadt im Oktober 1648, also im Jahre des Westfälischen Friedens. Am 24. Juli 1938 kam es im Nationaltheater München unter der Stabführung von Clemens Kraus zur Uraufführung. Ihm und seiner Frau Viorica Ursuleac, die auch die weibliche Hauptpartie sang, war die Partitur gewidmet.

Karsten Mewes (Kommandant der belagerten Stadt)

Dass Strauss, der bis heute von selbst ernannten politisch Korrekten immer wieder in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt wird, sein Antikriegs- und Friedensjubelstück 1938, als Aufrüstung und Kriegshetze der Nazis nicht mehr zu übersehen waren, in seiner zur „Stadt der Bewegung“ mutierten Heimatstadt uraufführen konnte, ist wohl der Tatsache zu verdanken, dass Strauss schon zu Lebzeiten ein Denkmal geworden war. Selbst die Nazis mussten dem Stück zujubeln und der „Führer“ gab sich die Ehre, um den im Werk inhärenten Pazifismus für sich zu reklamieren. So kam es zu einer Welle von Produktionen im Dritten Reich, bis mit Kriegsausbruch Pazifismus nicht mehr angesagt war, das Stück in der Versenkung verschwand und ein wirklicher „Friedenstag“ in weite Ferne gerückt war. Sehr kurz ist aber auch eine Liste mit der Aufführungsgeschichte des Werks nach dem Krieg, denn Friedenstag kommt trotz seiner musikalischen Sonderqualität nur noch ganz selten auf die Bühne. Selbst im Strauss-Jubiläumsjahr findet man den Einakter nur in Kaiserslautern. Für die nur 75 Minuten Aufführungszeit des Stücks benötigt man ein Strauss-Orchester, bedeutenden szenischen Aufwand (wenn man es nicht als Oratorium aufführen will), ein großes Sängerensemble sowie Chor und Extrachor. Als Kombinationsstück für einen Doppelabend ist es daher auch noch nicht entdeckt worden. 

Nun ist man in Kaiserslautern auf die Idee gekommen, Strauss mit Strauss zu kombinieren und hat quasi als Epilog zu Friedenstag dessen „Metamorphosen“ als szenisches Nachspiel gebracht. In diese halbstündige Elegie für 23 Streicher hat Strauss 1945 seine Trauer über die Zerstörungen des Kriegs hineinkomponiert, vor allem natürlich über die Zerstörung der meisten Musiktheater und Konzertsäle in Deutschland. (Zerstörte Säle können keine Tantiemen bezahlen!) Dass diese Verwüstungen eine unausweichliche Folge eines verbrecherischen Durchhaltezwangs im Kriege sind, wird durch die Kombination der beiden Stücke bekräftigt.

Karsten Mewes (Kommandant), Maria Lobanova (Maria, sein Weib)

Es könnte ein konventioneller Opernstoff sein: die Überlagerung von historischem Geschehen (Dreißigjähriger Krieg) mit einer Beziehungsgeschichte (Der Kommandant und seine Frau); aber die politische Komponente überwiegt bei weitem, und die ist zudem völlig zeitlos. So legt die Regisseurin Kerstin Maria Pöhler die Handlung in eine zeitlose Gegenwart. Dazu hat der Ausstatter Herbert Murauer eine Stahlgitterkonstruktion auf die Bühne gestellt. Sie sieht aus wie eine halbversenkte Brückenkonstruktion und wird von einem modernen Kommandostand überragt. Dort harrt der Kommandeur der Dinge, während sich unten die im Elend versinkende Zivilbevölkerung und die rohe Soldateska in modernen Uniformen bewegen. Der Kommandant berichtet von dem vom “Kaiser“ (da kann man sich auch etwas anderes denken!) erhaltenen Durchhaltebefehl. Er ist auf den „Kaiser“ vereidigt und muss dem Befehl folgen, koste es, was es wolle. Zweigs ursprünglichen Vorstellungen folgend, bleibt trotz der präzisen historischen Verzeitung des Werks sonst alles im allgemeinen: eine belagerte Festung ohne Namen, alle handelnden Figuren bis auf eine bleiben namenlos und sind nur durch ihre Funktionen gekennzeichnet. 

Aus der beziehungsreichen und nicht mit einer eindeutigen Botschaft versehenen Inszenierung lässt sich herauslesen, dass die wegen des Waffenstillstands erfolgende Übergabe der Festung an die Belagerungsarmee und deren Kommandanten, „den Holsteiner“, als Siegfrieden der Gegenpartei empfunden wird. 1918/1919 wird hier mit-inszeniert. Dass es kein Versöhnungsfrieden ist, wird im Epilog dargelegt. Während der 30-minütigen Metamorphosen reißen sich die Bevölkerung und die Festungstruppen die angelegten weißen Friedensbinden wieder von den Oberarmen. Einzeln treten sie mit Mimik und Gestik zwischen Resignation und Hass vor, werden auf einer Projektionsfläche abgebildet und treten dann nach hinten ab. Maria, die Frau des Kommandanten bleibt fragend allein zurück. Der Friede ist nicht gewonnen, lautet die letzte leider banale Botschaft: man braucht ja bloß die Tagesschau einzuschalten, um das festzustellen. Ganz dazu passend war der „Holsteiner“ als homo politicus im Schweinwerferlicht mit Leibwächtern vom Saal her auf die Bühne geschritten und wollte vor allem ein Medienspektakel veranstalten. Sein Auftreten: glatt und „alternativlos“. Ein ungemütliches Ende der Oper. Befreiungs/Friedens-Fanfare und der abschließende C-dur-Jubel der Oper (an Beethovens Fidelio gemahnend) versanken im Abgesang der Metamorphosen, im Abgesang auf das zerstörte kulturelle Umfeld Mitteleuropas, an das Strauss bis zuletzt hatte glauben wollen.  Aus diesem Opernabend wird man nicht ohne tiefe Bewegung entlassen.

Chor und Extrachor des Pfalztheaters sowie oben: Peter Floch (Schütze), Alexis Wagner (Wachtmeister), Maria Lobanova (Maria)

Einige wenige Zutaten der Inszenierung hätten vielleicht etwas weniger drastisch sein können: Misshandlung, Verhöhnung und Erniedrigung des Piemontesen, der Dokumente durch die feindlichen Linien geschleust hatte, oder der Quickie, den der Kommandant und seine Frau noch vollzogen, als sie den Feind nahe glaubten. Das war unnötig im Kontext der genügend deutlichen Personenzeichnung und -Führung: die Soldaten als völlig desolater, geschlagener und verrohter Haufen und deren Konfrontation mit der hungernden und verzweifelten Zivilbevölkerung. Dazu kam die sehr wirkungsvolle Lichtregie von Manfred Wilking, der durch flache Schrägbeleuchtung aus der Bühne heraus das Bühnengeschehen bedrohlich auf die Seitenwände des Theatersaals ausweitete. „Es ist tragisch, dass wir Menschen es nicht fertig bringen, dass endlich Frieden auf der Welt herrscht. Solange Frieden und Krieg aber ausschließlich eine Frage des Geldes und nicht der Ethik ist, wird es auch nie Frieden geben.“ stand auf den Flugblättern, die zum Schluss der eigentlichen Oper in den Zuschauersaal geworfen wurden. Diesen oder einen anderen Zusammenhang zu finden, hätte man getrost auch den Zuschauern überlassen können; dieser Text ist unmotiviert im Blick auf die Inszenierung, naiv, wohlfeil und überflüssig.

 

Maria Lobanova (Maria)

 

Von der musikalischen Seite des Abends konnte man sehr angetan sein. Es musizierte das Orchester des Pfalztheaters unter seinem GMD Uwe Sandner, der sicherlich alle seine Musiker im Graben versammelt hatte, wo sie sehr konzentriert aufspielten. Dem Sujet angemessen ist die Musik des Friedenstags bei aller Straussschen Klangopulenz viel herber, als sein sonstiges Spätwerk. Es tönte streckenweise Kriegsgeschehen mit scharfer musikalischer Suggestivkraft aus dem Graben in einer Tonsprache, die auf die Schrillheit seiner früheren Einakter, vor allem Elektra zurückgreift. Kein abgehobener plaudernder Konversationston, dabei aber jeder Takt unverkennbarer Strauss in einer originellen Partitur. Ulrich Nolte hatte Chor und Extrachor einstudiert. die auch szenisch recht gefordert waren und zum finalen Jubelchor Saal und Bühne von der Seite eintretend füllten. Fast zwangsläufig kam es bei diesem letzten großen Chorauftritt zu Koordinationsproblemen. 

Für die drei Hauptrollen waren Gastsänger engagiert. Karsten Mewes brachte mit dunkel donnerndem Bassbariton die uneinsichtige Härte des Kommandanten stimmlich wie darstellerisch gut herüber. Die Höhen der Partie machten ihm indes zu schaffen.  Maria, sein Weib (die einzige Namensrolle) stellt eine der großen Strauss-Partien für jugendlich-dramatische Sopranistinnen dar. Maria Lobanova stellte sich bravourös den großen Anforderungen dieser Rolle, wobei eine anfängliche Enge der Stimme bald durch kraftvoll aufblühende Höhen und sichere Intervallsprünge vergessen gemacht wurde. Carsten Süss gab mit feinem und schlang geführten Tenor den Bürgermeister, als Friedenssucher antagonistisch zum Charakter des Kommandanten. Wieland Satter als Holsteiner verlieh mit rundem, sonor strömendem Bass dem „Holsteiner“ stimmlich überzeugendes Profil und war darstellerisch ganz nach dem Vorbild ubiquitär und allabendlich auftretender Politiker in schickem Zwirn gesteckt.  Alexis Wagner gab mit verlässlich kraftvollem Bass und nobler Statur den Wachtmeister. Während Arlette Meißner in der tragischen Rolle der Frau aus dem Volke hingebungsvoll aufging, war Daniel Böhm als salbungsvoller Prälat ohne Konturen gezeichnet. Daniel Kim wurde zum Opfer einer Straussschen Tenoristenrolle, mit der an diesem Abend nicht zurechtkam und nur schwankendes stimmliches Profil verlieh. Mit Peter Floch hingegen gestalteter ein weiterer Haustenor die Rolle des Schützen stimmlich souverän und stellte sich darstellerisch perfekt der ihm zugewiesenen posttraumatischen Belastungsstörung. Die weiteren kleinen Rollen wurden von Sängern des Opernchors gestaltet. 

Für musikalisch und politisch gleichermaßen Interessierte und dem Theater nicht gänzlich Abgeneigte aus der Region ist diese Produktion des Pfalztheaters fast ein „Muss“. Vielleicht interessiert sich ja auch ein anderes Theater für eine Übernahme. Das könnte durchaus lohnend sein, denn schon die Lauterer Produktion hat auch überregional Interesse erregt und Zuschauer angezogen. Die Produktion kommt in Kaiserslautern noch am 02.11., 06. und 12.12.2014 und wird am 05.02.2015 noch einmal in Ludwigshafen im Pfalzbau gezeigt. 

Manfred Langer, 21.01.2014                                                   Fotos: Jörg Heieck

 

Sehr günstig gibt es diese CD in der Brilliant Opera Collection (Aufnahme der Deutschen Grammophongesellschaft)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Richard Strauss

FRIEDENSTAG

kombiniert mit METAMORPHOSEN

Aufführung am 05.10.2014                  (Premiere am 27.09.2014)

Bewegende Umsetzung eines völlg vernachlässigten Werks

Inhalt: In einer Stadt am Ende des Dreißigjährigen Krieges. Der Kommandant der belagerten Zitadelle fühlt sich an die Durchhalteparolen des Kaisers gebunden, obwohl die Munition ausgeht, die Wände mit Einschüssen durchlöchert sind, die hungernde Bevölkerung kurz vor der Revolte steht. Doch der Kommandant zieht eine Sprengung vor, um damit nicht als Besiegter dazustehen. Seine Frau Maria will mit ihm in den Tod gehen. Auch seine ihm treu ergebenen Soldaten wollen in der Festung ausharren. Doch da erklingen Glocken, Friedensglocken. Der Westfälische Frieden zu Münster wurde geschlossen. Der Kommandant traut den weißen Fahnen nicht, glaubt an eine Kriegslist und will den gegnerischen Anführer, der ihm die Hand reicht, erschlagen. Maria tritt entschlossen zwischen die beiden Männer. Gemeinsam stimmen alle in eine Friedenshymne ein.

Werk:  Die Zusammenarbeit mit dem nichtarischen Stefan Zweig war aus politischen Gründen für Richard Strauss nicht mehr möglich. Zweig empfahl Joseph Gregor als Librettisten. Die Zusammenarbeit mit Gregor verlief jedoch aus Sicht des Komponisten nicht sehr harmonisch. Die Uraufführung wurde trotz der pazifistischen Aussage des Werks zu einem Erfolg und auch von den Nationalsozialisten ausgeschlachtet, da sie sich ja mit einem waffenstarrenden Pazifismus die Legitimation für Gebietseinverleibungen beschafften. Als sich jedoch die Außenpolitik des Dritten Reiches unweigerlich auf einen Eroberungskrieg hin entwickelte, wurde Strauss' Oper nicht mehr aufgeführt. Nach dem Krieg geriet sie zusehends in Vergessenheit. Erwähnenswert ist vor allem das grandiose, auf ein erhabenes C-Dur zusteuernde Finale, welches einige Parallelen zum Finale in Beethovens FIDELIO aufweist - Beethoven hatte allerdings in seinem Schlussakkord die Quinte weggelassen und damit einen zweifelnden, hohlen Akzent gesetzt, Strauss jedoch schöpfte aus dem Vollen, effektvoll, aber vielleicht etwas zu unreflektiert euphorisch, wie es sich in der Geschichte nach 1938 manifestieren sollte. Die Partitur ist dem Dirigenten Clemens Krauss und seiner Gattin Viorica Ursuleac gewidmet, welche zusammen mit Hans Hotter als Kommandanten auch die Uraufführung auf die Bühne brachten.

Kritik: „Es ist schwer, Schlüsse zu schreiben. Beethoven und Wagner konnten es. Es können nur die Großen. Ich kann’s auch.“ In diesem von Elisabeth Schumann überlieferten Zitat aus dem Munde Richard Strauss' streicht der Komponist, nicht ganz uneitel, seine beinahe unerreichten Fähigkeiten zur Komposition effektvoller Schlussszenen heraus. Denken wir nur an die finalen Szenen von SALOME, ELEKTRA, DER ROSENKAVALIER oder CAPRICCIO. Auch in der Oper, welche das Pfalztheater Kaiserslautern nun erfreulicherweise wieder zur Diskussion stellt, FRIEDENSTAG, kommen wir in den Genuss eines solch fulminanten Schlusses. Gleißendes C-Dur, jubelnde Massen, exaltiert fast bis zur Schmerzgrenze, Glockengeläut, ein Sopran, der sich in herrlichen Aufschwüngen über Orchester und Chor hebt. Ja, hier ist Strauss in seinem Element – es gelingt ihm eine Musik voll gefährlicher Sogwirkung, man möchte am liebsten in diesen taumelnden Jubel mit einstimmen. Erst nach etwas Reflexion wird einem klar, wie hohl diese kollektive Friedenseuphorie klingt. Genau dies haben die Verantwortlichen in Kaiserslautern auch gespürt und lassen den Abend nicht an dieser Stelle mit die Euphorie auf der Bühne zusätzlich verstärkendem Publikumsapplaus enden.

Bereits beim Eingang wird den Zuschauern ein Zettel in die Hand gedrückt, mit der Bitte, nach dem Ende der Oper nicht zu applaudieren. Denn nahtlos schließt sich die szenische Installation von Strauss' Alterswerk METAMORPHOSEN an, dieses nach innen gewandten, kunstvoll und tief empfundenen Lamentos für Streicher über die Zerstörungen des Krieges. Und so wunderbar das Orchester des Pfalztheaters unter der einfühlsamen Leitung von Uwe Sandner diese Trauermusik auch spielt, jubeln mag man nun nicht mehr, zu tief ist man berührt von der Musik und der ungemein unter die Haut gehenden, bewegenden szenischen Installation von Kerstin Maria Pöhler. In einer endlosen Prozession treten die Chorsänger stumm in einen Lichtkegel, ihre Gesichter werden von einer Kamera eingefangen und in hartem Schwarz-Weiß auf eine Leinwand projiziert, stets ist die niedergeschlagen kauernde Gattin des Kommandanten, Maria, im Hintergrund sichtbar. Es ist unglaublich, was man in all den Gesichtern lesen kann: bittere Wut, Enttäuschung, stumme Flüche, Verachtung, höhnisches Grinsen. Die weißen Armbinden, die sich die Choristen am Ende der Oper noch im kollektiven Wahn übergezogen hatten, werden hasserfüllt zu Boden geworfen, einer nach dem andern schreitet von der Bühne. Am Ende bleiben der Kommandant und seine Gemahlin allein auf der Bühne. Er verharrt lange, schaut uns mit leerem Blick an, das Antlitz Marias ist in tiefer Trauer, schmerzerfüllt und desillusioniert.

Dem Pfalztheater ist mit dieser klug durchdachten szenischen Aufführung ein bemerkenswertes Theaterereignis gelungen. Denn obwohl Strauss mit seinem Librettisten Joseph Gregor anscheinend nicht so ganz glücklich wurde (aber immerhin stammte der Entwurf ja  von Stefan Zweig), ist den beiden ein stringenter Einakter gelungen, und wieder einmal hat man das Gefühl, dass beim Theaterpraktiker Strauss keine Note zu viel oder zu wenig da ist. Die Regisseurin Kerstin Maria Pöhler wählte zu Recht einen zeitlosen Ansatz und ließ sich von Herbert Murauer eine ausgezeichnet bespielbare Stahlkonstruktion auf die Bühne bauen, welche von kalten Neonröhren ausgeleuchtet wird. Einsam befindet sich der Kommandant in seinem Kubus vor Landkarten, stur hält er am Durchhalte-Befehl des Kaisers fest. Die Stimmung in der belagerten, ausgehungerten Zitadelle hat das Inszenierungsteam mit bedrückender Intensität eingefangen. Am Bühnenrand liegt ein totes Pferd, einige Brot- und Sandsäcke sind aufgehäuft, Manfred Wilking (Licht) spielt mit bedrohlichen Licht-Schatten Effekten, die bis in den Zuschauerraum ausstrahlen. Die Soldaten sind abgestumpft, geben sich manischen Zwangshandlungen hin, neigen zu Brutalitäten. Diese aufgestauten Aggressionen entladen sich, als der Piemonteser von Liebe und Mädchen zu singen beginnt. Die Soldaten ertragen in ihrer Entbehrung während unzähliger Jahre des Krieges den Gesang nicht, erniedrigen und vergewaltigen den armen Boten. Daniel Kim singt seine Romanze mit sehr zittriger Stimme und Intonation, kein Wunder wenn er sich zuvor durch ein feindliches Heer von 50000 Mann schlagen musste. Ganz hervorragend besetzt sind der mit imposantem Bassbariton aufwartende Wachtmeister von Alexis Wagner und vor allem der treue Schütze von Peter Floch. Mit schon beinahe heldentenoralem Aplomb stürzt er sich in die schwierige Rolle, denn von ihm wird auch eine darstellerische Leistung sondergleichen gefordert (das paranoide, krankhafte Zittern seiner rechten Hand), welche er grandios meistert. Carsten Süss (auch er mit ebenmäßigem, gut fokussiertem Tenor) ist der humane Bürgermeister der Stadt, welcher immer wieder den menschlichen Aspekt betont – und am Ende vom medienwirksam auftretenden Kommandanten (Wieland Sattler macht das überzeugend) schlicht ignoriert wird. Da hat es der Prälat (mit weichem Bariton und gekonnt etwas einschleimend singt Daniel Böhm die Rolle) einfacher, da er das Fähnchen der Kirche nach dem Wind dreht. Eindrücklich gestaltet Arlette Meißner die Frau aus dem Volk, welche den Kommandanten und am Ende auch das in blinde Friedensverzückung geratene Volk aufrütteln will – vergeblich, die Sehende wird gnadenlos erschossen.

Die Hauptpartien des Kommandanten und seiner Frau Maria sind mit Karsten Mewes und Maria Lobanova besetzt. Mewes ist ganz der unnahbare, nur der Ehre und dem Eid verpflichtete Soldat. Die Liebe hat er längst verlernt, zu seiner Frau findet er nur noch mittels eines brutalen Liebesaktes während einer von Strauss so eindringlich orgiastisch komponierten Zwischenmusik. Seinen Bariton setzt er mit rauer Unnahbarkeit ein. Maria Lobanova scheut die hohen Töne und die entsprechende Attacke nicht, sie setzt zu Recht Expressivität vor Schöngesang und triumphiert mühelos über die Massen. Diese strömen zum langen, effektvollen Finale aus den Seitenfoyers auf die Bühne, werfen Flugblätter vom Rang ins Parkett mit der Botschaft: „Es ist tragisch, dass wir Menschen es nicht fertig bringen, dass endlich Frieden auf der Welt herrscht. Solange Frieden und Krieg aber ausschließlich eine Frage des Geldes und nicht der Ethik ist, wird es auch nie Frieden geben.“

Dieser Auftritt, so überwältigend er szenisch auch gedacht ist, geht klanglich leider etwas daneben. Denn durch den quasi quadrophonischen Klang, nimmt das Ohr vielerlei Koordinationsprobleme zwischen den einzelnen Chorgruppen als auch mit den Musikern im Graben wahr. Doch zum Glück sind bald alle auf der Bühne angelangt, streifen sich die weissen Armbinden über, und der ansonsten sehr ergreifend singende Chor und der Extrachor des Pfalztheaters (Einstudierung Ulrich Nolte) findet sich wieder im homogenen C-Dur-Jubel.

Dirigent Uwe Sandner hält ansonsten die Zügel fest in der Hand, lässt die unterschwelligen, fast dauerpräsenten martialischen Rhythmen und Salven mit aller Schärfe erklingen und das Orchester des Pfalztheaters beglückt mit einer reichen Palette an Klangfarben.

Fazit: Bewegende Umsetzung eines vernachlässigten Werkes von Richard Strauss. Sehr zu empfehlen!

 

METAMORPHOSEN

(wird im Anschluss an die Oper gespielt)

Die METAMORPHOSEN (Studie für 23 Solostreicher) sind das bedeutendste Alterswerk aus Strauss' reichhaltigem Schaffen, obwohl der Komponist sie selbst bloß als "Handgelenksübung" bezeichnete, damit der Kopf und das Handwerk nicht allzu zeitig verblöde. Doch die tiefe Empfindung, die Trauer, die prachtvolle Polyphonie und der warme Klang sprechen eine andere Sprache und das Stück erreicht eine geistige Tiefe, welche es über seine Tondichtungen aus jüngeren Jahren heraushebt. Kurz vor dem Ende des zweiten Weltkriegs begonnen und vor dem Hintergrund des in Ruinen liegenden Europa entstanden, können die Metamorphosen als ein Lamento des Komponisten verstanden werden, ein Abgesang auf sein Leben und die Welt. Das motivische Rückgrat des dreisätzigen Werks (die Sätze gehen pausenlos ineinander über) bilden die Anfangstakte von Beethovens Trauermarsch aus der EROICA-Sinfonie.

Kaspar Sannemann, 05. Oktober 2014                     Fotos: Jörg Heieck

Der Originalbeitrag steht bei: www.oper-aktuell.info/

 

 

 

FRIEDENSTAG

27.9.14 (Premiere)

Eine gelungene Wiederentdeckung!

Vor knapp zwei Wochen besuchte der Rezensent eine Aufführung von Walter Braunfels‘ „Ulenspiegel“ in Linz, dessen Credo im Aufruf gipfelt, sich stets gegen Unterdrücker mit allen – nicht nur friedlichen - Mitteln zur Wehr zu setzen. Die Oper spielt in der Zeit der spanischen Inquisition im Flandern des 16. Jhd. Richard Strauss`Oper „Friedenstag“, op. 81, spielt nun 80 Jahre später, genau am 24. Oktober 1648, dem letzten Tag des 30jährigen Krieges in der Zitadelle einer belagerten Stadt.

Nach dem Tod seines Textdichters Hugo von Hofmannsthal 1929, fand Richard Strauss in Stefan Zweig einen geeigneten Librettisten für seine komische Oper „Die schweigsame Frau“, die 1935 an der Semperoper in Dresden uraufgeführt wurde. Da die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 die Macht in Deutschland übernommen hatten, war aber eine weitere Zusammenarbeit zwischen dem jüdischen Textdichter Stefan Zweig, der sich noch rechtzeitig nach London retten konnte, und dem Komponisten Strauss nicht mehr möglich.

Stefan Zweig entwarf jedoch noch ein Szenario für „Friedenstag“ unter dem Titel „1648“, welches über seinen Vorschlag vom Theaterwissenschaftler Joseph Gregor (1888–1960) ausgearbeitet wurde, der dem Komponisten später noch die Textvorlagen zu dessen Opern „Daphne“ (1938) und „Die Liebe der Danae“ (1952) liefern sollte. Die Idee zu der Oper geht auf das Drama „Die Kapitulation von Breda“ von Pedro Calderón de la Barca zurück und Richard Strauss kannte vermutlich auch das Gemälde „Die Übergabe von Breda“ (Las lanzas, um 1635) von Diego Rodríguez de Silva y Velázquez (1599-1660).

Zum Inhalt: Der Kommandant einer von den Schweden belagerten Stadt, weigert sich diese zu übergeben. Viel mehr noch, er möchte die Stadt mit allen Bewohnern in die Luft sprengen, hat er doch dem Kaiser geschworen, Stadt und Festung um jeden Preis zu halten. Da verkünden Glocken den Friedensschluss von Münster und die gegnerischen Truppen nähern sich mit weißen Fahnen der Festung. Der Kommandant glaubt jedoch an eine Kriegslist und will weiter kämpfen. Da tritt ihm jedoch seine Gattin Maria entgegen. Überwältigt wirft er seine Waffen weg und umarmt den Anführer der gegnerischen Truppen unter dem Jubel des Volkes. Die ehemaligen Feinde stimmen nun gemeinsam eine Hymne an den Frieden an.

Die Oper wurde bei ihrer Uraufführung am 24. Juli 1938 in München begeistert aufgenommen und bis zur Schließung der Theater im Krieg noch von rund 20 Bühnen aufgeführt. Darum war es bei Kriegsausbruch um diese Oper wegen ihrer pazifistischen Utopie natürlich geschehen. Nach dem zweiten Weltkrieg sind nur mehr vereinzelte Aufführungen zu verzeichnen und dabei sollte diese Oper gerade in der heutigen Zeit, wo der Weltfriede einer globalen Bedrohung durch extremistische Gruppen wie Boko Haram, Al-Quaida und IS, ausgesetzt ist, auf möglichst vielen Bühnen gezeigt werden.  

Musikalisch betrachtet ähnelt die Oper natürlich mehr einem Oratorium und Strauss hat sich bei dem bombastischen Chorfinale in strahlendem C-Dur auch bewusst an Ludwig van Beethovens „Fidelio“ orientiert. Dazwischen gibt es einige Elektra-Zitate und wunderschöne Melodiebögen. Besonders anspruchsvoll ist die Rolle der Maria, die an Schwierigkeit einer Elektra, Salome oder Färberin um nichts nachsteht.  

Als einziges deutsches Theater zeigt nun das Pfalztheater Kaiserslautern im Strauss-Jubiläumsjahr dessen gröblich vernachlässigte 12. Oper „Friedenstag“ und kombiniert diese mit einer nahtlos daran anschließenden szenischen Installation zu Richard Strauss‘ Studie für 23 Streicher „Metamorphosen“.

Regisseurin Kerstin Maria Pöhler, die in Wien bereits Jacopo Peris „Euridice“ (2002) an der Kammeroper und Nigel Osbornes „The Terrible Mouth“ (2004) im Semper-Depot inszeniert hat, verlegte die Handlung der einaktigen Oper in die Gegenwart. Sie zeigt eine von der langen Belagerung bereits verrohte Soldateska, die einen piemontesischen Kameraden quält, ihn bepisst, ihm Frauenkleider und eine Perücke anzieht und schließlich vergewaltigt. Die Bevölkerung dieser Stadt aber ist ausgehungert und entkräftet.

Ausstatter Herbert Murauer hat diese Hoffnungslosigkeit des Krieges durch verschiedene Ebenen von bedrohlich wirkenden kalten Stahlgerüsten, die an der Spitze einen Ausguckturm formen, eingefangen. Die Soldaten tragen dunkle, düstere Uniformen. Das übrige Volk zu Beginn ärmliche Alltagsgewänder, im Jubelfinale dann Festtagskleider. Die Belagerer unter ihrem Anführer, dem Holsteiner, werden mit weißen Friedenstüchern winkend begrüßt. Während der Metamorphosen streifen dann etwa 60 Mitglieder des Chores diese weißen, nunmehr zu einer Armschleife, gebundenen Tücher von ihren Armen ab. Die unterschiedlichen Reaktionen in der Mimik und Gestik der einzelnen Choristen lässt naturgemäß auch den Schluss zu, dass diese Armbinden einst als Symbol einer totalitären Macht gedient haben mögen, womit der Regisseurin ein äußerst subtiler Hinweis auf das unselige NS-Regime gelungen ist. 

Karsten Mewes , den Christoph Schlingensief 2007 für die Rolle des Gurnemanz in seiner Parsifal-Inszenierung nach Bayreuth verpflichtet hatte, gab einen verbitterten harten Kommandanten der Stadt mit kraftvollem Bariton. Der Bürgermeister der Stadt, sein Gegenspieler, wurde von Carsten Süss, der zuletzt als solider Tassilo in der Neuinszenierung der „Gräfin Mariza“ an der Volksoper Wien gastierte, mit dem noblen Timbre eines noch jungen Tenors ausgezeichnet über die Rampe gebracht.

Wieland Satter gab den Holsteiner mit schmetterndem Bass als Politiker wieder, der zunächst vom ersten Rang in Begleitung eines Kamerateams auftritt, was man auch als zarten Hinweis dafür werten mag, dass es keiner der sonst so beflissenen Kultursender ARTE, 3-Sat oder Mezzo der Mühe wert befunden hat, dieses herausragende Ereignis einer TV-Übertragung zu würdigen. Stattdessen pflegt man dort eher das  Einerlei von Rosenkavalier, Don Giovanni und anderen Opernalltagswerken ständig wiederzukäuen.

Gesanglicher Höhepunkt des Abends war für den Rezensenten das Deutschland- Debüt der litauischen Sopranistin Maria Lobanova. Sie meisterte die ungeheuren Intervallsprünge ihrer Partie schier problemlos und ging in der Rolle der treuen Gattin Maria, die sich erst gegen ihren Mann auflehnt, als sie seinen Starrsinn erkennt, vollends auf. Brava!

Die weiteren Rollen wurden engagiert gesungen und gespielt von Alexis Wagner/Wachtmeister, Peter Floch/Schütze, Ralph Jaarsma/Konstabel, Radoslaw Wielgus/Musketier, Bernhard Schreurs/Frontoffizier, Daniel Böhm/Prälat und Arlette Meißner/Frau aus dem Volk.

Lediglich Daniel Kim als Piemonteser dürfte stimmlich indisponiert gewesen sein, denn bei seiner italienischen Canzone „La rosa, che un bel fiore come la gioventù“, verquollen intoniert, wollte sich keinerlei Italianità einstellen. Richard Strauss hat bekanntlich auch im Rosenkavalier und in Capriccio kurze italienische Arien eingestreut. Großartig war die Leistung des von Ulrich Nolte einstudierten Chors und Extrachors des Pfalztheaters, der zum jubelnden Finale der Oper aus den geöffneten Seiteneingängen des Zuschauerraumes auf die Bühne zog.

Und die phänomenale musikalische Umsetzung des völlig zu Unrecht unterschätzten Werks von Richard Strauss lag in den Händen von Uwe Sandner am Pult des Orchesters des Pfalztheaters, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, vernachlässigte Werke des Opernrepertoires einer strengen Prüfung und Neuinterpretation zu unterziehen. Bei Friedenstag ist ihm dieses Unterfangen zweifellos gelungen und man ist geneigt diesen Tag mit dem Prädikat „Jubeltag“ zu veredeln!

Dementsprechend großzügig fiel auch der Applaus des Premierenpublikums für alle Mitwirkenden aus. Einen zaghaften „Buhrufe“ vom Rang aus, könnte ich lediglich der Verknüpfung der Oper mit den „Metamorphosen“ zuordnen, in deren Verlauf alle Choristen ihre Armbinden in einer endlosen Prozession ablegten und die Bühne so einer nach dem anderen entvölkerten. Gerade diesen Kontrapunkt erachtete ich aber deshalb für so wichtig und gelungen, weil man nach dem eben Erlebten mit seiner höchst explosiven Musik wieder Zeit zur Entspannung und Reflexion und gewann. Bravissimo!

Harald Lacina, 28.9.                                            Fotocredits: Jörg Heieck

 

 

Die neue Spielzeit 2014/2015

hat das Pfalztheater und das Motto "Spiel - Plan - Europa - Plan - Spiel" gestellt und will dazu die nachstehenden Musiktheaterveranstaltungen zeigen. Allein sechs neue Opernproduktionen wollen die Pfälzer stemmen, wobei man sich traut, gleich drei Raritäten aufzunehmen.

Friedenstag, Oper von Richard Strauss

27|09|2014, Großes Haus

(zusammen mit "Metamorphosen")

Pariser Leben, Operette von Jacques Offenbach
08|11|2014, Großes Haus

Boléro, Ballett von Stefano Giannetti/Musik von Maurice Ravel (UA)
20|12|2014, Großes Haus

Rigoletto, Oper von Giuseppe Verdi
17|01|2015, Großes Haus

Farben, Ballett für Kinder von Salvatore Nicolosi (UA)
05|03|2015, Ballettsaal

Irrelohe, Oper von Franz Schreker
07|03|2015, Großes Haus

Chopin, Ballett von Stefano Giannetti/Musik von Frédéric Chopin (UA)
22|05|2015, Werkstattbühne

Halka, Oper von Stanisław Moniuszko
23|05|2015, Großes Haus

Fidelio, Oper von Ludwig van Beethoven
20|06|2015, Großes Haus

 

 

 

 

Großtat des Pfalztheaters

LADY MACBETH VON MZENSK

Premiere am 06.04.2014

Die Lady MacBeth in Kaiserslautern auf Deutsch

Liebe und Mord sind die ewigen Themen der Oper. Da geht es allerdings meistens um echte Liebe und um schicksalhafte Morde aus Verstrickung oder Verzweiflung. Nicht so in der Geschichte der Katerina Ismailowa, der Titelheldin in der Lady MacBeth von Mzensk. Hier geht es nicht um Liebe, sondern um sexuelle Befriedigung; die Morde sind nicht schicksalhaft, sondern entspringen der Lust der Titelheldin, das aus dem Wege zu räumen, was ihrem Verlangen im Wege steht, wobei das sexuelle Verlangen mit dem Wunsch gekoppelt ist, der Langeweile sowie der inneren und äußeren Unfreiheit eines vom Haustyrannen dominierten Großbürgerhaushalts zu entkommen. So etwas hatte man bislang noch nicht auf der Bühne gesehen; und die drastische Art, wie die Musik das Geschehen akustisch verstärkt, war zur Entstehungszeit der Oper 1932 auch noch nicht geschrieben worden. Stalin, „not amused“ über Stoff und Musik ließ 1936 in die Prawda unter dem Titel „Chaos statt Musik“ eine Verdammung der Oper einsetzen, die dann in der Sowjet-Union für 30 Jahre von den Spielplänen verschwand. Übersetzte Auszüge aus der Prawda („Wahrheit“): „Ungeordneter chaotischer Schwall von Tönen, Krachen, Knirschen und Gewinsel; Geschrei statt Gesang, musikalisches Chaos, Kakophonie, ungezügelter Rhythmus, musikalischer Lärm, Negierung der Oper, linke Entartung (!), negativste Eigenschaften; Musik schnattert, klopft, stöhnt, keucht; Liebe in vulgärster Form beschrieben; für formalistische Ästheten…“

Schostakowitschs weichgespülte überarbeitete Fassung in der Chruschtschow-Ära von 1963 machte zwar wieder auf das Werk aufmerksam, setzte sich aber nicht durch. Heute ist die Oper in der Originalfassung von den Spielplänen nicht mehr wegzudenken. Sie gehört zu den eindrücklichsten Schöpfungen des Musiktheaters im 20. Jahrhundert, ist aber trotz der buffonesken Aufmischung mit Popen und einem lächerlichem Zug Polizisten im Stile einer semi-seria nichts fürs Mädchenpensionat. 

Yamina Maamar (Katerina), Wieland Satter (Boris)

Katerina Ismailowa, die Titelfigur, langweilt sich im goldenen Käfig einer großbürgerlichen Besitz-Familie. Ihr Ehemann Sinowi muss auf Geschäftsreise; sie sieht sich Belästigung seitens ihres Schwiegervater Boris und des neu eingestellten Sergej ausgesetzt und bevorzugt den Letzteren. Boris wird, als er die beiden in flagranti erwischt und Sergej auspeitschen lässt, von seiner Schwiegertochter mit Rattengift getötet. Als Sinowi in die ehebrecherische Situation hinein zurückkehrt, wird er von dem Paar ermordet. Als die versteckte Leiche des Juniors gefunden wird, platzt die Hochzeit zwischen Katerina und Sergej, die in den Gulag verbannt werden. Sergej, der von Katerina nun kaum noch etwas „erben“ kann, wendet sich dort der Lagerhure zu. Katerina wird vom Volk gedemütigt. --- Es gibt keine positiven Helden, keine Sympathieträger in diesem Stück. Noch am ehesten die Titelfigur, weil sie für die zwei Morde Reue zumindest andeutet; deswegen erscheint ihr gar der Geist des Schwiegervaters. Die Schlechtigkeit der anderen erreicht ihren Höhepunkt im vierten Akt, dessen trostloses Geschehen und Ende die Zuschauer mit nach Hause nehmen: Katerina bringt ihre „Rivalin“, die Lagerhure Sonjetka, um und wird von Wachleuten erschossen (im Original nimmt sie sich das Leben.)  

Mitte: Wieland Satter (Boris), Boden: Alexey Kosarev (Sergej); Chor und Extrachor

Das Libretto zu der Geschichte, basierend auf einer Erzählung von Nikolaj Semjonowitsch Leskow (1865), wurde vom Komponisten und Alexander G. Preiss verfasst. Die Personal- und Motivkonstellation des Stücks passt natürlich in jede Zeit und fast jede Gesellschaft. Aber die Entourage ist wohl kaum von ihrem russischen Lokalkolorit zu trennen, das allerdings, wie Urs Häberli, Intendant des Pfalztheaters und Regisseur der Produktion zeigt, ebenso in die Zeit der Parteidiktatur passt wie in die Ära der Zarenherrschaft. Häberli siedelt das Geschehen in der kalten Betonarchitektur einer nicht genau bestimmten Nachkriegszeit mit Bezugnahme zur Stalinzeit an; einige Versatzstücke weisen auch auf die unmittelbare Gegenwart hin. Dem Haustyrannen Boris verleiht er Stalin-ähnliche Züge. Thomas Dörfler hat ein gut durchdachtes großteiliges Bühnenbild entworfen: trostlose nackte Betonwände mit Fenstern und Türen begrenzen den großen Bühnenraum; davor jeweils in fünf Stufen zu den Türen ansteigende Betonränge; alles grau in grau. Inmitten dieser Grobarchitektur wälzt sich Katerina in einem Designer-Ehebett der Jetztzeit und bejammert ihr Schicksal. Die Bühnenmitte wird von einem großen eckigen Leuchter beherrscht. Zur Differenzierung der neun Bilder (vier Akte) des Werks kann ein mittleres Segment des Bühnenbilds in die Seitenbühne gezogen werden, der Leuchter verschwindet nach oben, logisch für die Szenen im Außenbereich. Die Kostüme von Christl Wein-Engel sind, wo nicht ironisch historisierend wie bei den Polizisten, in die Gegenwart verzeitet. 

Häberli erzählt die Geschichte nahe am Libretto, lässt die Einzelheiten des Geschehens mit großer Klarheit ablaufen und lässt so wenig Interpretationsspielraum zur schon im Libretto angelegten Deutlichkeit aufkommen. Zur Direktheit trägt auch die Tatsache bei, dass die Aufführung im Pfalztheater auf Deutsch gegeben wird. Einer der zentralen Aspekte der Inszenierung ist die Gegenüberstellung der Protagonisten mit einer gesichtslosen manipulierbaren Masse, der, wenn sie schon einmal selbstbestimmt handelt, nichts Besseres einfällt, als die Köchin zu vergewaltigen. Diese Menge, an sich Opfer des Systems, sucht sich immer wieder eigene Opfer. Gut geführt ist der große Chor, überzeugend  sind auch die Bewegungen der Einzelpersonen. Als die „Wahrheit“ über Sinowis Tod herauskommt, verstecken die Choristen ihre Köpfe hinter der „Prawda“ mit originalem Titeldruck. Sonst tritt der Chor meist mit anonymisierenden Masken auf. Handlungstragend wirkt sich auch die Lichtregie von Manfred Wilking aus. Projektionsfotos auf die Betonflächen stellen zusätzliche Assoziationen her.  

Alexey Kosarev (Sergej), Yamina Maamar (Katerina)

Beste Zutaten also schon regieseitig für einen fesselnden Opernabend, dem sich auch die Qualität der musikalischen Realisierung anschließt. GMD Uwe Sandner hatte fast sein gesamtes Orchester im Graben versammelt und dabei zweckdienlich vor allem die Schlägertruppe (Verzeihung: die Schlagwerksgruppe) aber auch die Harfen von außen verstärkt. Es war bewundernswert, mit welcher Präzision das Orchester des Pfalztheaters dem Dirigenten bei der Musik folgte, die man als eine natürliche Verlängerung von Mussorgsky sehen kann. So war es bei dieser Oper wieder einmal die orchestrale Umsetzung der explosiven Gewalt dieser sehr direkten Musik, die das stärkste Moment des Abends bildete. Dabei hatte es Sandner noch nicht einmal auf Übertreibung der Passagen abgesehen, bei welcher die Musik zu Sex und Mord rhythmisch mit extremer Schärfung „abgeht“; aber die Dynamik lotete er voll aus und mutete damit den Sängern einiges zu. Die heftige Tonsprache wurde passagenweise grell dissonant musiziert, blieb aber in ihrer Tonalität doch immer auch einem Publikum mit konservativen Hörgewohnheiten vermittelbar. Der mit dem Extrachor mehr als verdoppelte Chor des Staatstheaters (Einstudierung: Ulrich Nolte) vervollständigte mit präziser Stimmgewalt das Klangtableau.  

Yamina Maamar (Katerina), Daniel Kim (Sinowi), Alexey Kosarev (Sergej)

Solistisch sind 23 Positionen sind zu besetzen, Dabei griff das Pfalztheater bei den Nebenrollen auch auf Chorsolisten zurück; fünf Solisten waren jeweils zwei Rollen zugeordnet.  Zudem mussten zu dem kleinen Ensemble vier Gastsänger verpflichtet werden. Yamina Maamar als Gast war mit der Titelrolle betraut, die sie schauspielerisch und gesanglich glaubhaft darstellen konnte. Ihr auf einer warmen Mittellage basierender Sopran wies zwar zu Beginn noch eine gewisse Schärfe in den Spitzenlagen auf; aber im Verlauf „rundete“ sich das Gesangsbild zusehends. Ihren Abgesang im vierten Akt gestaltete sie mit großer Hingabe und Innigkeit. Wieland Satter zeigte eine große Leistung als Boris Timofejewitsch Ismailow, den er mit durchschlagskräftigem, kernigem Bassbariton mit viel Stimmschwärze ganz überlegen gestaltete. Als er sich als Geist wiedermeldete, hätte es der Verstärkung gar nicht bedurft. Satter gab außerdem im vierten Akt die melancholische Rolle des „alten Gefangenen“ (nicht im Programmheft verzeichnet) und bewies hier mit weich geführter, sehr kultivierter Stimme, über welche Variationsbreite er stimmlich verfügt.  In der Oper reicht das „Weichei“  Sinowi Borissowitsch bezüglich Kraft und Bosheit nicht an seinen Vater heran; Daniel Kim tat das in dieser Rolle auch stimmlich nicht; die Höhen gerieten etwas schwankend und dünn. Alexey Kosarev als Gast sang den Sergej. Rein von der Bühnenerscheinung konnte man verstehen, warum Katerina sich von dem so schnell herumkriegen ließ. Auch stimmlich überzeugte er mit seiner Kraft in seiner baritonalen Mittellage, aber nicht besonders fokussiert in der Höhe.  

Mitte: Daniel Böhm (Polizeichef), Herren von Chor und Extrachor

Gut gefiel Arlette Meißners eingedunkelter Sopran in den Rollen der Köchin Axinja und der Zwangsarbeiterin im vierten Akt; sie erfreute mit schlanker, klarer Stimmführung. Gastsänger Peter Floch, als Schäbiger ausstaffiert wie ein Buchhalter und als Charaktertenor schon in etlichen vergleichbaren Rollen bewährt, geisterte schon in den ersten beiden Akten über die Bühne und konnte sich stimmlich im dritten Akt überzeugend in Szene setzen. Als Pope gefiel Tobias Pfülb als Gast mit volltönendem, zwanglos strömendem Bass. Melanie Lang mit ansprechender Bühnenerscheinung und ihrem gut fokussierten, klaren Mezzo rundete das insgesamt überzeugende Sängerensemble in der Rolle der Sonjetka ab. 

Solch ein Stoff und dessen drastische musikalische Umsetzung kann natürlich nicht aller Leute Geschmack sein. So war leider diese fulminante Premiere am Pfalztheater deutlich nicht ausverkauft. Aber das Publikum, dass schon vor der Pause sehr freundlich mit herzlich-langem Beifall auf die Vorstellung reagierte und nach dem Ende fast eine Viertelstunde lang (ganz besonders dem Orchester und dem GMD)  applaudierte, war ganz offensichtlich voll auf seine Kosten gekommen. Mund-zu-Mund-Empfehlungen und Kritiken werden der Produktion sicher noch zur verdienten Anerkennung verhelfen. Gelegenheit zum Besuch besteht in dieser Spielzeit noch sechs Mal bis zum 04.07.14 (siehe: Pfalztheater )

Manfred Langer, 07.04.2014                                             Fotos: Jörg Heieck

 

 

 

Beglückender Gluck

IPHIGENIE IN AULIS

Wer herrscht über das Volk: die Gottheit, der König oder der Pope?

Lassen Sie Ihren Kritiker mit einer kleinen historischen Klatschspalte beginnen. Bekanntlich beherrschte der Gegensatz zwischen Frankreich und dem Haus Habsburg/Österreich fast fünf Jahrhunderte europäischer Geschichte. Zwischendurch gab es hier und da einen Versöhnungsversuch. Nach der ebenso unnatürlichen wie unnützen Allianz zwischen Maria Theresia und Frankreich im siebenjährigen Krieg versuchte es die Herrscherin später noch einmal mit dynastischen Mitteln und verheiratete 1770 ihre Tochter Maria Antonia Josepha Johanna mit dem französischen Dauphin Louis Auguste. Auf deren Reise nach Paris veränderte sie vor Straßburg ihre Identität in Marie Antoinette. Leider ging die Geschichte gar nicht gut aus. Christoph Willibald Gluck war schon in Wien der Musiklehrer Maria Antonias gewesen. Als am Wiener Hof bekannt wurde, dass Gluck mit seinen neuen Opernideen auch in Paris reüssieren wollte, gab ihm Maria-Theresia 1774 eine geheime Mission mit. Er solle ihr doch getreulich berichten, was im Eheleben ihrer Tochter mit dem Dauphin, der im gleichen Jahr noch König werden sollte, nicht stimmte. (Erst 1778 wurde das erste Kind des Königspaars geboren!) Ob Gluck diesem geheimen Auftrag der Maria Theresia genügte und Material lieferte, ist ihrem Kritiker nicht bekannt. Bekannt aber ist, das Gluck in Paris, wo man seine Opern als „französische“ vereinnahmte und auch heute seinen Namen noch wie Glück ausspricht, réussierte und das wohl nicht zuletzt, weil ihn Marie Antoinette protegierte. Die Direktion der Pariser Oper befürchtete nach Durchsicht des Materials für Iphigénie en Aulide, dass das überkommene Programm, das seit den Zeiten des Sonnenkönigs immer noch überwiegend auf Giovanni Battista Lulli und Jean-Philippe Rameau basierte, keine Akzeptanz mehr finden würde, und bestellte gleich fünf weitere Opern bei Gluck, die tatsächlich bis 1779 entstanden und allesamt zu Erfolgen wurden. Die letzte davon war die taurische Iphigenie. (Gluck konnte allerdings das gesamte Pensum mit Neukompositionen nicht stemmen und schob der Pariser Oper mit Orphée und Alceste französische Bearbeitungen älterer Werke unter... 

Michael Hauenstein (Kalchas), Bernd Valentin (Agamemnon)

In Kaiserslautern nahem man sich im Rahmen eines Antikenprojekts des Stücks vornehmlich als klassische Tragödie mit ihren Personalkonflikten und unentrinnlich scheinenden Schicksalswendungen an. Aber die Regie macht noch viel mehr daraus. Der Regisseur Benjamin Schad stellt die Handlung auf einen ziemlich leeren fast invariablen Bühnenraum. Die (scheinbare) Unentrinnlichkeit der menschlichen Schicksale vor göttlichen Verfügungen wird durch schwere bühnenhohe undurchdringliche dunkle Pilasterwände gekennzeichnet (Bühnenbild: Anna Kirschstein). Zur Auflockerung gibt es noch ein rissiges helles Fundament am Bühnenboden; mehr nicht. Darauf bewegen sich Protagonisten und Chor in einfachen zeitlosen leicht fantasie-behafteten Kostümen in derber Linnenfarbe (Kostüme: Stephan Rinke). Die Würdenträger der Geschichte – und das sind fast alle Protagonisten – werden vom Chorvolk nur durch spärliche Kostümzusätze, meist nur einen einfachen Umhang, abgehoben. Besonders unwohl im Umfeld der göttlichen Forderung nach Opferung seiner Tochter fühlt sich der König Agamemnon, der am liebsten seine einfache Textilkrone weggesteckt hätte; aber der Großhierarch Kalchas nötigte ihn immer wieder, dieses Insigne zu tragen. 

Die Regiearbeit zeichnet sich durch eine schöne schlüssige Personenführung aus. Dabei gab es unzählige kleine Gesten, mit welchen die Darsteller charakterisiert wurden. Auffällig ist von Beginn an, dass der Oberpriester Kalchas, auch wenn er gerade keinen solistischen Einsatz hat, hinten auf der Bühne herumschleicht und das Geschehen unter Kontrolle hält, dabei immer zynisch ungeduldig mit einem Schlüsselbund spielt. Ganz klassisch die Chorführung, das Auftreten, die Raumnutzung, die expressiven Umgruppierungen. Im klassischen Sinne kommentiert der Chor, treibt aber auch in kurzen aufpeitschenden Forderungen nach dem Opfer die Handlung voran: das geschieht auch aus dem Off, während auf der Bühne das Personal durch Listen, Streitereien oder Ratlosigkeit dem Schicksal trotzen will. Die Untreue-, Eifersuchts-, Versöhnungs- und Liebesszenen zwischen Iphigenie und Achill verleihen der Geschichte zusätzlichen Stoff, um sie über zwei Stunden Spielzeit tragfähig zu halten. Achill schwingt sich zunehmend zur handlungsbestimmenden Führungsfigur auf und bedroht die Griechen, die das Opfer fordern. Das geht Kalchas zu weit. In Veränderung des heute üblichen Zweitfassung des Opernschlusses (Libretto: Marie François-Louis Gand Bailli Du Roullet genannt „le Blanc“ - welch ein Name!) tritt als Dea ex machina nicht die Göttin Diana mit der versöhnlichen Botschaft auf, sondern der Hohepriester verkündet die Begnadigung angeblich im Namen der Diana aus eigener Machtvollkommenheit, als ihm das Geschehen zu entgleiten drohte. Dies entspricht der ursprünglich nicht goutierten Erstfassung des Librettos, die Benjamin Schad geschickt für sein Inszenierungeskonzept nutzt:

Adelheid Fink (Iphigenie), Damenchor

Die Göttin gibt es gar nicht. Alles ist zur Disziplinierung des Volks und seiner Notablen vom Hohepriester inszeniert. Völlig logisch aus der Rückschau – und aus den geschichtlichen Erfahrungen. Kalchas hat sich hier geriert wie der Großinquisitor; selbst der König ist nur Marionette. Zur Bestätigung dessen unterbindet er in der folgenden Passacaille, dass sich das Volk mit Spielzeugschwertern fröhlich spielerisch bekriegt. Eine solche Feier ist nicht vorgesehen; vielmehr lässt er echte Gewehre verteilen und schickt das Volk in den Krieg. Im Bühnenprospekt öffnet sich ein großes Fenster mit Schlachtenrauch, dumpfe, schauerliche Schläge der großen Trommel begleiten den finalen Chor „Partons, volons à la victoire!“ Es folgen zehn Jahre trojanischer Krieg bis zur Erschöpfung beider Kriegsparteien... obwohl sich gloire auf victoire so schön reimt.

Die ersten Moll-Takte der Ouverture stimmen auf die Tragödie ein, ehe die kräftigen Passagen der tiefen Streicher mit Unterstützung der Pauke  das Heroische betonen. Etwa vierzig Musiker des Orchesters des Pfalztheaters spielten mit hoher Präzision auf. Jeder Ton saß. Beglückender Gluck; er hätte noch beglückender sein können, wenn der Dirigent Markus Bieringer den Orchesterpart neben den energiegeladenen, markanten Passagen mit der sehr wirkungsvollen Instrumentierung dynamisch besser ausdifferenziert hätte. So gingen leider neben den dramatischen Schärfungen Feinheiten der Partitur verloren. Hier könnte noch nachgebessert werden. Das trifft auch auf die Koordination zwischen Graben und Bühne zu, wo es häufig zu Ungenauigkeiten kam. Auch die können noch behoben werden; vielleicht ist auch das eine oder andere Tempo zu ehrgeizig angegangen worden. Das schmälert aber alles in keiner Weise den guten Eindruck, den das Orchester an diesem Abend hinterließ. Prächtig schlug sich der von Ulrich Nolte einstudierte Chor des Pfalztheaters, der auch wie schon gesagt auch in seinen Bewegungsmustern voll überzeugte. 

Adelheid Fink (Iphigenie), Bernhard Berchtold (Achill), Melanie Lang (Klytämnestra)

Durchweg überzeugende Leistungen auf hohem Niveau bot auch das Sängerensemble, das bis auf einen Gast aus den Kaiserslauterer Reihen besetzt war. Größte Überraschung dabei war gute französische Diktion der Solisten, die auch an weit größeren Theatern meistens nicht erreicht wird. Sicher spricht das nicht nur für Glucks Sprachgefühl, der sich ja sehr interessiert an J.J. Rousseaus („des berühmten Genfers") Thesen zum Thema Französisch und die Oper gezeigt hatte, sondern sicher muss auch dem Sprachcoach Pierre-Eric Monnier besondere Anerkennung für die geleistete Arbeit ausgesprochen werden. Die Oper beginnt mit ziemlich langem Duettieren zweier tiefer Stimmen. Bernd Valentin glänzte mit seinem kultivierten Bassbariton, dessen warmes Volumen er sehr facettenreich einzusetzen wusste, in der Rolle des Königs Agamemnon. Seinen Widersacher, den Oberpriester Kalchas gestaltete Michael Hauenstein mit mächtigem wohltönendem Bass. Da schien er schon mit seiner Durchschlagskraft und seiner Körpergröße den schwankenden König mit seiner wesentlich filigraneren Intonation in den Senkel stellen zu wollen: zwei großartige Sänger und Gestalter passend zum Inszenierungskonzept. Alexis Wagner überzeugte als der Bote Arkas in seinen leider nur kurzen Passagen mit seinem kernigen Bass. 

Adelheid Fink (Iphigenie), Melanie Lang (Klytämnestra)

Mit dem Gasttenor Bernhard Berchtold war für die Rolle des Achill ein Sänger der Ausnahmeklasse für die zwischen Barock und Mozart liegende Rolle aufgeboten. Mit Beweglichkeit und Gewandtheit seiner Stimme, mit klaren, hellen und sehr festen Höhen  gestaltete er die lyrischen Passagen mit feinem Gespür und ließ es auch an kämpferischer Kraft nicht fehlen, wenn es galt, sich - einer gegen  alle -  für Iphigenie einzusetzen. Glanzlichter setzten auch die beiden Frauenstimmen. Adelheid Fink gab die mädchenhaft wirkende Iphigenie (sie kam als barfüßige Schönheit vom Lande und musste erst einmal lernen, Schuhe zu tragen) mit warm grundierten Sopran. Zu Beginn wirkte sie noch etwas eng in den Höhen, sang sich aber zunehmend frei und gelangte zu leuchtenden, schön geführten Passagen. Melanie Lang begeisterte als gertenschlanke Klytämnestra, die sie als standesbewusste, sehr ehrgeizige und strenge Person darstellte, mit ihrem schlanken schön fokussierten Mezzo, den sie glasklar quasi vibratofrei und ohne jede Schärfe in der Höhe aufblühen ließ; auch hier eine stimmliche Idealbesetzung. 

Als Gluck 1774 nach Paris ging war er 60 Jahre alt. Das erinnert uns daran, dass 2014 Gluck-Jahr ist: 300. Geburtstag! Aus den Spielplänen der meisten deutschen Opernhäuser geht das nicht hervor. Das Pfalztheater bringt Glucks aulische Iphigenie im Rahmen eines Antikenprojekts – ein anderer Kontext! Diese Aufführung der Iphigenie in Aulis reiht sich in Kaiserslautern in eine Reihe von ganz beachtlichen Produktionen ein, über die der Opernfreund immer gern berichtet hat. In seiner Geschlossenheit von Qualität der Inszenierung, dem hohen Niveau der Solisten und – cum grano salis – der Orchesterleistung ist es vielleicht sogar die beste Produktion der letzten Jahre am Pfalztheater. 

Die Premiere war nicht ausverkauft; die Folgevorstellungen werden es sicher sein. Der Riesenbeifall des Publikums war allen Beteiligten gerechter Dank. Es gibt bis zum 3. Mai noch sieben Mal Gelegenheit, sich diese Produktion anzuschauen: nicht versäumen! 

Manfred Langer, 23.02.2014                                  Fotos: Thomas Brenner

 

 

 

 

 

Fulminante Komödie

VIVA LA MAMMA !  

(Gaetano Donizetti)

(Originaltitel: Le convenienze ed inconvenienze teatrali; zu deutsch: Sitten und Unsitten am Theater)

Premiere am 21.12.2013

Satire, Parodie und tiefere Bedeutung: Gute Laune aus Südwest

Donizettis Oper mit dem Originaltitel „Le convenienze ed inconvenienze teatrali“ (deutsch: Sitten und Unsitten beim Theater) beruht auf zwei italienischen Einaktern von Antonio Sagrafi aus den Jahren 1790 und 1800, von denen Donizetti erst nur einen als Vorlage für eine einaktige farsa (UA 1827 in Neapel) verwendet hat, um dann das vervollständigte zweiaktige Werk 1831 in Mailand zur Uraufführung zu bringen. Unter de Mitwirkung des Librettisten Domenico Gilardoni verfasste Donizetti die Texte selbst und konnte eigene Erfahrungen aus dem Theaterleben in die Oper einbringen, vor allem seine Erlebnisse am chaotischen Theater in Palermo 1826, ironisch und selbstironisch. Dazu kommen sarkastische Seitenhiebe auf die opera seria und deren Librettisten-Ikone Pietro Antonio Domenico Bonaventure Trapassi (Pseudonym: Metastasio). 

Eine starke Handlung mit Verwicklungen hat die Oper nicht; es handelt sich um eine Folge von heiteren Szenen. Die zweiaktige Form ist nicht zwingend. Der Regisseur Anatol Preissler stellt mit dieser Arbeit seine erste Operninszenierung vor und tut das, soviel sei vorweggenommen, mit einem originellen Konzept, das sich zwar in den Einzelheiten zunächst etwas zäh in Bewegung setzt; aber im Verlauf mit Einfällen von immer mehr Schwung und Pfeffer  angereichert wird, die mehrfach jubelnden Szenenapplaus bekommen. Preissler setzt die beiden Akte mit völlig anderen Bühnenbildern von einander ab. Im ersten Akt geht es um eine Art Klavierhauptprobe einer „neuen“ Oper; im zweiten Akt um die Generalprobe. Was wird gespielt? „Romolo ed Ersilia“. (Die Oper gibt es wirklich: „Eine Barockoper in drei Akten, die die österreichische Kaiserin Maria Theresia zur Hochzeit ihres Sohnes Erzherzog Leopolds mit Infantin Maria Ludovica von Spanien bei dem Librettisten barocker opere serie Pietro Metastasio und dem bekannten deutschen Barockkomponisten ... Johann Adolf Hasse in Auftrag gegeben hat.“ (wikipedia)) Das lässt sich prima parodieren. 

Arlette Meißner (Luigia), Elena Gerasimova (Dorotea), Monika Hügel (Corilla), Daniel Böhm (Stefano); im Hintergrund: Herrenchor

Es gibt die prima und die seconda donna als Sopranistinnen, die Mezzosopranistin, den ersten Tenor, die alle miteinander zanken, wer welche Arie bekommt und wer mit wem im Duett singen darf oder muss. Dann gibt es die Gestalten des Theaters: den Komponisten, den Librettisten und den Impresario. Aufgemischt wird die Handlung durch den Ehegatten der prima donna, der darauf wacht, dass seine Frau genügend berücksichtigt wird, und durch die Mutter der zweiten Sopranistin, La Mamma, die der Oper ihren heutigen Namen verleiht. Diese Figuren haben alle auch zivile Namen und dann die Rollennamen aus der opera seria.  Dass sich Stars durch Eheleute oder Verwandte managen lassen, ist bis heute nicht unüblich. Die Mezzosopranistin und der Tenor sind beleidigt und verlassen die Probe. Dadurch entsteht Raum zum Mitwirken für den Bass (Ehemann), der die Tenorrolle übernimmt und die Mamma, die sich für die Mezzo-Rolle anbiedert. Diese beiden Figuren mischen mit ihrer speziellen Bühnenerfahrung („das Weiße ist das Papier, das Schwarze sind die Noten“)  die Szene dann gewaltig auf, vor allem natürlich die Mamma, für einen Spielbass geschrieben, der in allen Situationen die Szene beherrscht. 

Arlette Meißner (Luigia), Radoslaw Wielgus (Prospero), Alexis Wagner (Impresario), Monika Hügel (Corilla), Wieland Satter (Mamma Agata), Daniel Böhm (Stefano), Ralph Jaarsma (Biscroma)

Wie auch sonst im deutschsprachigen Raum üblich, wird das Werk auch in Kaiserslautern in einer deutschen Texteinrichtung aufgeführt, sonst könnten die zahlreichen Gags dieser Parodie nicht wirken. Die vorliegende Bühnenfassung stammt von Horst Goerges und Karlheinz Gutheim. Der erste Akt spielt im Hinterbühnenbereich des Theaters. Das Orchester sitzt auf der Bühne; auf dem abgedeckten Graben mit dem Komponisten am Cembalo wird die Klavierprobe abgehalten. Im zweiten Akt sieht man zunächst auf der großen leeren Bühne zuerst nur als Büro des Impresario seinen Schreibtisch; zur Generalprobe wir dann von hinten ein richtiges Bühnenbild hereingefahren: eine zweigeschossige römische Villa mit zwei geschwungenen Seitenaufgängen (Bühnenbid: Karel Spanhak). Es wird eine frühantike Geschichte einfach in die Spätantike verlagert. (Die Regisseure haben sich schon damals viele Freiheiten genommen!) Aber das Ballett haben sie nicht gestrichen: es gibt einen Pas de trois, der von der auch tänzerisch begabten Mamma ordentlich aufgemischt wird. Die Schauspieler dürfen sich weitestgehend selbstverwirklichen; dem Leitungsteam ist das egal, solange nur die Oper gespielt werden kann. Da der staatliche Zuschuss kurzfristig gestrichen wurde, opfert Mamma Agata ihren Schmuck, um die Aufführung und ihren Auftritt zu retten: Viva la Mamma!!! Es ist zu hoffen, dass das Pfalztheater in Zukunft nicht auch eine Mamma Agata braucht... Ulli Kremer hat bei den Kostümen mit viel Fantasie mehrschichtig gearbeitet: es gibt solche aus der Entstehungszeit des Werks, moderne Fantasiekostüme, prächtige Bühnenkostüme und die parodierenden der Spätantike für die Mitwirkenden bei „Romolo ed Ersilia“. Viel Bewegung schafft die Regie auf die Bühne, legt den im Werk angelegten Witz frei und bringt viel Situationskomik bis zum Slapstick der Ballett-Einlage de Mamma hinzu. Zu keiner Zeit wirkt das schal oder platt.

Es wird eine vom Theaterkomponisten Vito Frazzi (1888-1975) bearbeitete musikalische Fassung gegeben. Aber vermutlich wurde darüber hinaus noch mehr arrangiert und eingefügt. In die Ouverture wurde eine Kakophonie eingebaut, um das Publikum auf eine Art Selbst-Parodie der Partitur einzustimmen. Zu Beginn des zweiten Akts kommt noch vor dem Vorhang der Chor als eine Gruppe von Schweizer Armbrustern zum Galopp aus der Ouvertüre zu Wilhelm Tell von Rossini auf die Bühne getanzt („Aber meine Herrschaften: der Tell ist doch abgespielt...“, sagt der Theaterdirektor). Der Tenor singt passgenau die Tamino-Arie... Das Orchester des Pfalztheaters unter de Leitung seines spanischen Kapellmeisters Rodrigo Tomillo musizierte mit viel Schwung und bei den beiden großen Stretten scharf angezogenen Tempi so gut wie fehlerlos und vermittelte die gute Laune der Aufführung auch aus dem Graben. Wie die Zuschauer war auch er sichtlich zufrieden mit seinem Orchester und dessen brillanten Spiel.  

Ralph Jaarsma (Biscroma), Wieland Satter (Mamma Agata), Arlette Meißner (Luigia)

 Die Solisten, immerhin neun an der Zahl, viel mehr als sonst bei Belcanto-Opern üblich, machten durchweg gute Figur und gute Stimme. Obwohl in dieser musikalischen Adaptation die ganz großen Anforderungen des Belcanto nicht gestellt werden, bleibt doch noch genügend Virtuoses zu bewältigen und das bei hohen schauspielerischen Leistungen. Für die Titelrolle („Agate“) war Wieland Satter engagiert. Der beherrschte die Szene von seinem ersten Auftritt an durch seine mächtige Figur und seinen komödiantischen Spielwitz, der weit über den einer Knallcharge hinausging. Stimmlich nahm sich sein beweglicher und sonorer Bassbariton dazu genauso gut aus. Die Primadonna mit dem schönen Namen „Corilla Sartinecchi“ gestaltete die gertenschlanke Monika Hügel, hellblond herausgemacht, und brachte ihren silbrig hellen Sopran zur Geltung, auch in forcierten Höhen ohne Schärfe und mit schöner beweglicher Koloraturtechnik. Als zweite Sopranistin („Luigia Boschi“) war Arlette Meißner besetzt; ihre etwas dunkler timbrierte Stimme setzte sich von der prima donna gut ab und gefiel mit ihrer samtigen Intonation. Sie wurde dauernd von ihrer Mutter Agate bevormundet und suchte daher Rückhalt bei anregenden Getränken.   

In der Mitte: Wieland Satter (Mamma Agata)

Da die Mezzosopranistin („Dorotea Caccini“) schon sehr früh im ersten Akt hinschmiss, konnte die Chorsolistin Elena Gerasimova nur kleine Solo-Kostproben ihres schlanken dunklen Mezzos abgeben. Im zweiten Akt war sie dann zwar wieder da, sang aber nur im Ensemble. Dem von der Regie ebenfalls mit viel Ulk versehenen und etwas dämlich dargestellten Ehemann der Primadonna („Stefano“) verlieh der Bariton Daniel Böhm viel großsprecherisches Volumen. Daniel Kim sang und spielte den „ausländischen“ Tenor („Guglielmo Antolstoinoloff“), was naturgemäß schon bei der ersten Erwähnung zu Heiterkeit führte. Das Urteil des Impresarios, den könne man ohnehin nicht verstehen, widerlegte der Koreaner allerdings deutlich mit seinem klaren kräftigen und nicht zu hellen Tenor. Als Komponist („Vincenzo Biscroma“) in Kluft und Maske an Donizetti selbst gemahnend gefiel Ralph Jaarsma vom Chor mit klarem und deutlichen Bariton überwiegend in Rezitativ und Parlando. Auch die beiden weiteren „Theaterfiguren“ waren stimmlich mehr bei den Rezitativen angesiedelt. Die Rolle des Librettisten („Orazio Prospero“) als heruntergekommener Typ, dem eigentlich alles egal ist, war dem verlässlichen Bassbariton Radoslaw Wielgus, ebenfalls Chorsänger in Kaiserslautern, anvertraut, und Alexis Wagner setzte als eleganter Impresario seinen kultivierten kräftigen Bass ein. Man kann dem Pfalztheater durchaus ein Kompliment für die Gesamtheit der Besetzung machen und auch dafür, dass es neben seinem kleinen festen Solistenensemble auf Sänger aus dem Chor zurückgreifen kann, die auch schon als Gäste Solistenrollen an anderen Häusern übernehmen konnten.  

Den pas de trois tanzten klassisch Aurore Nicolas, Éléonore Turri und Riccardo Marchiori. Dabei mussten sie sich von der Mamma allerhand gefallen lassen, rächten sich aber auch dafür und gingen auf das Spiel gut ein.  

Das Haus war zur Premiere sehr gut besucht, aber nicht ausverkauft. Der Jubel Publikums galt natürlich vor allem dem Darsteller der Titelrolle, aber auch alle anderen Mitwirkenden wurden über zehn Minuten lang gefeiert. Den Besuch de Oper kann man uneingeschränkt empfehlen. Die Oper kommt noch neunmal im Pfalztheater, sogar über die Karnevalszeit hinaus: http://www.pfalztheater.de/cms/?p=293&s=pt_schedule&f=1&id=473&  

Manfred Langer, 22.12.13                            Fotos: Hans-Jürgen Brehm-Seufert

 

 

 

 

 

Kammertheater vom Feinsten

DOPPELABEND MIT ZWEI KAMMEROPERN

Zweite Vorstellung am 08.11.13 in der Werkstattbühne                               (Premiere am 02.11.2013)                                   

Zwei grundverschiedene Werke als deutsche Erstaufführungen

Nur selten wird auf der Werkstattbühne des Pfalztheaters Kaiserslautern Musiktheater gegeben. Einen Genuss der besonderen Art bekommt man dort allein dadurch geboten, dass man die Darsteller nur wenige Meter entfernt vor sich hat. Das ist echtes Kammertheater! Der Saal, der in fünf Sitzreihen etwa 100 Plätze anbietet, ist vor den Rängen ganz flach und verfügt über keinerlei Bühnentechnik. An diesem Abend war das kleine Orchester mit dem Dirigenten hinter einen halbdurchsichtigen Vorhang in den Hintergrund gerückt, vorne wurden zwei verschiedene Bühnenbilder für die beiden Kammeropern aufgebaut. Zuschauer in der ersten Reihe hatten die Darsteller zum Anfassen nah.  

 

Die Opern:

DA KOMMT NOCH WER (Someone is going to come / Nokon kjem til å komme) Kammeroper in einem Akt von Knut Vaage (*1961), Text von Jon Fosse (*1959) nach seinem Drama von 1996; beide Norweger. Uraufführung am 06.10.2000 beim Ultimafestivalen in Oslo. Dauer eine Stunde; gesungen auf Englisch;

EIN MOND AUS KOCHENDER MILCH Kammeroper von Camille Kerger (*1957); Text von Nico Helminger; beide Luxemburger. Uraufgeführt durch das Théâtre National du Luxembourg am 04.02.2003 in der Kulturfabrik Esch. Dauer 55 min; gesungen auf Deutsch.  

Da kommt noch wer: Monika Teepe (She), Richard Morrison (He)

Es gibt einige Gemeinsamkeiten der beiden Stücke. In beiden Fällen gibt es ein namenloses Paar, bezeichnet nur durch Pronomina, zu welchem ein Dritter tritt, was jeweils zu erheblichen Verwicklungen führt. In beiden Minidramen befinden sich die Protagonisten in einer unentrinnbaren Situation. Das Paar ist stimmlich jeweils als Bariton und Sopran besetzt, der „Dritte“ als Tenor. Beide Opern haben eine Spielzeit von etwa einer Stunde. Aber es handelt sich um grundverschiedene musikalische Ansätze, und auch die psychologischen Situationen, obwohl wesentlich in beiden Werken, sind ganz unterschiedlich angelegt. Die Regie des Doppelabends führt Bruno Berger-Gorski, der zuletzt in Trier einen interessanten Rigoletto vorgelegt hat. Für die Ausstattung zeichnet Thomas Dörfler  und für das Licht Hans Zidek verantwortlich. Berger-Gorskis Regie war im Psychospiel der ersten Oper klar und vertiefend und zeichnete sich beim zweiten Werk durch viel Bewegung aus; schauspielerisch nicht immer adäquat umgesetzt.  

Da kommt noch wer: Rich. Morrison (Er), Daniel Kim (The Man), Monikla Teepe (She)

„Da kommt noch wer“ handelt von einem Paar „She“ und „He“, das allein nur füreinander und miteinander sein will und sich an ein Haus ans Meer zurückzieht. Die Beziehung der beiden ist aber offensichtlich gestört und soll in der einsamen Zweisamkeit repariert werden. Es könnte aber durchaus sein, dass „He“ seine Partnerin aus Eifersucht in der Einsamkeit isolieren und für sich allein reservieren will. Nun tritt „The Man“ hinzu, der dem Paar das Haus verkauft hat und der sich nun für die Frau interessiert, die die Avancen goutiert.  Die Illusion vom Für-Sich-Sein platzt auch als die beiden im Haus von vielen  Spuren der Vorbewohner irritiert werden. Die Beziehung zerbricht. Thomas Dörfler hat vor einer halbkreisförmigen halbdurchsichtigen Wand eine kleine Spielfläche aufgebaut mit der angedeuteten Möblierung des Häuschens: Bett, Stühle, ein Tisch, ein Ofen und ein umgestürzter Kühlschrank; alles in Weiß – ebenso wie die einfachen Kostüme und ebenso mit unfunktionalem Besatz  versehen, der durch UV-Lampen zum Fluoreszieren gebracht wird. Weil alles weiß ist, kann die Lichtregie leicht farbliche Akzente setzen, die allerdings vordergründig bleiben. 

Unter der musikalischen Leitung von Markus Bieringer, Stellvertreter des GMD am Pfalztheater, musiert ein Ensemble aus den drei tieferen Holzbläsern, jeweils alternativ mit den Bass- bzw. Kontrabassinstrumenten, drei Streichern der tieferen Lage und zwei Schlagzeugern. Knut Vaages Partitur klingt trotz der kleinen Besetzung sehr dicht; das ist moderne Kompositionstechnik, aber keine schwer verdauliche Neutönerei. Die Musik ist vielmehr lautmalerisch und programmatisch an die Spätromantik angelehnt. Naturidylle und Meereswellen erklingen als Anfangsmusik so deutlich, dass es der Projektionen von Wald und Brandung auf die halbrunde Wand in der Tat zu diesen musikalischen Passagen nicht bedurft hätte, so konkret und suggestiv klingt das Ensemble. Die tiefen Blasinstrumente dominieren mit der Farbgebung. Kleinteilige melodische Formeln dominieren bei der Sängerbegleitung. Die Musik ist kohärent fließend, begleitet aber auch in spannungsreicher psychologischer Aufladung die Entwicklung auf der Bühne; der Gesang dazu ist melodiös und wirkt schwebend abgehoben.   

Ein Mond aus kochender Milch: Barbara Meszaros (Sie); Daniel Kim (Ein Dritter)

„Ein Mond aus kochender Milch“ ist der Fantasietitel der zweiten Oper. Die umgebaute Bühne stellt nun einen verlassenen Industriebau dar, eine aufgegebene Molkerei (daher die Milch im Titel). Mit wenigen Strichen fängt der Bühnenbildner den trostlosen Eindruck eines solchen Gemäuers ein. Die Inhaberin des Komplexes („Sie“) empfängt einen potentiellen Käufer („Er“), der daraus angeblich ein Nachtlokal machen will. Wegen der Attraktivität der Dame, die im Stil einer jungen Karrierefrau aufgemacht ist, kommt es schnell zu erotischen Verwicklungen. Der „Dritte“, der hinzukommt, gibt sich furchterregend und eine Kreuzhacke schwingend als der berüchtigte Kreuzhackenmörder aus, von dem gerade in der Zeitung „Das Luxemburger Wort“ ein Artikel erschienen ist. Mit diesem Brutalo kommt es zu albtraumhaften Szenen, ehe alle Identitäten in Frage gestellt werden, jeder der Drei zu einem potentiellen Mörder wird und die Szene zwischen kafkaesk und komödiantisch in eine skurrile Kriminalkomödie umschlägt. Und der Gewinner ist... „Sie“ – wie auch sonst?

Ein Mond aus kochender Milch: Richard Harrison (Er); Daniel Kim (Ein Dritter)

Das Instrumentalistenensemble ist nun auf Synthesizer, Klavier und zwei Schlagwerker eingedampft. Polystilistisch, collagehaft und weniger kohärent ist die Begleitmusik. Das größte Melos erzeugt das Xylophon. Für die Gesangssolisten ist eine Bandbreite vom Sprechen über rhythmisches Rezitieren mit Tonhöhennotierung bis zu kleineren Ariosi mit hingeworfenen Tonsprüngen geschrieben. Weil das Stück letztlich ein wenig klamaukig daherkommt, hinterlässt „Ein Mond aus kochender Milch“ einen weniger nachhaltigen Eindruck als das reine Psychospiel „Da kommt noch wer“. Die Musik schlägt in die gleiche Kerbe.  

Ein Mond aus kochender Milch: Finale furioso

Die beiden männlichen Rollen sind in beiden Stücken jeweils gleich besetzt. „He“ und „Er“ wurde von Richard Morrison als Gast gesungen und gespielt; darstellerisch überzeugender in der an sich viel schwieriger zu spielenden Rolle in  „Da kommt noch wer“. Von jugendlicher Erscheinung überzeugt Morrison mit sehr ordentlicher Diktion seines kultivierten Baritons. Die Partie in „Da kommt noch wer“ lag ihm passagenweise zu tief. „The Man“ und „Ein Dritter“ wurde von Daniel Kim von Lauterer Ensemble verkörpert. Zwei grundverschiedene Rollen, beide Male überzeugend gespielt und mit schön geerdetem Tenor bis in die fordernden Höhen gesungen, in den Tonsprüngen der zweiten Oper auch im Falsett. Die „She“ in „Da kommt noch wer“ gestaltete Monika Teepe als Gast mit eindrucksvoller Bühnenerscheinung und überzeugte gesanglich mit ihren klaren fokussierten Höhen (wenngleich nicht ohne Härte), der leichten Eindunkelung ihres Soprans  und den dramatischen Ausflügen. Für  „Sie“ in der zweiten Oper war die Schweizerin ungarischer Abstammung Barbara Meszaros besetzt. Sie begeisterte mit ihrem glitzernden, leicht ansprechenden lyrischen Sopran, der stimmlichen Beweglichkeit - und das sei einem männlichen Rezensenten erlaubt zu sagen – ihrer verführerischen Bühnenerscheinung und ihrem lebhaften Spiel. 

Der kleine Saal war nicht zur Hälfte besetzt, das Publikum nicht wie bei einem „normalen“ Abend ein Club der Alten, sondern mit dominierender Jugend. Der Beifall für diesen interessanten Abend war lang anhaltend und bei weitem mehr als nur freundlich. Der Doppelabend entstand als Koproduktion mit dem Théâtre National du Luxembourg; in Kaiserslautern noch zu sehen am 14. und 30.11. sowie am 10.12.2013 und am 25.01.2014 zu einem Preis wie im Kino. Wer den Abend verpasst hat oder noch einmal sehen möchte: in Luxemburg am 17. und 18.03.2014 dort unter dem Übertitel „Schatten der Vergangenheit“

Manfred Langer, 09.11.13

Fotos: Jörg Heieck         http://www.heieck.net/

 

 

 

 

REGINA 

„Freiheitsoper“ von Albert Lortzing

Premiere am 21.09.2013

Geschichtsunterricht mit Zügen einer deutschen Nationaloper unter Schwarz-Rot-Gold

Albert Lortzing, früher einer der meistgespielten Opernkomponisten, hat in steter Wanderschaft durch Deutschland neben seiner Tätigkeit als Dirigent, Sänger und Schauspieler gut ein Dutzend Werke für die Bühne komponiert. Außer dem  noch regelmäßig gespielten Wildschütz und sehr sporadischen Produktionen des „Waffenschmieds“, der „Undine“ und von „Zar und Zimmermann“ findet sich heute so gut wie nichts mehr von Lortzing auf der Musikbühne, obwohl er, wichtiger Repräsentant der dualistischen Epoche von Biedermeier und Romantik, vom Publikum immer hoch geschätzt war. Seine rarissima „Regina“ ist 1848 unter dem Eindruck der dramatischen Revolutionsereignisse in Wien entstanden, wo Lortzing gerade Kapellmeister am Theater an der Wien war. Lortzing war mit Robert Blum befreundet, der in Wien stand“rechtlich“ erschossen wurde. Nach Lortzings frühem Tod in Berlin 1851 hatten Kollegen seinen Sarg mit den Farben Schwarz-Rot-Gold ausgeschlagen.

Interessant liest sich die Rezeptionsgeschichte von Regina. Konnte die Oper unmittelbar nach der Fertigstellung 1848 aus politischen Gründen nicht zur Aufführung gebracht werden, wurde sie in der wilhelminischen Zeit zu einer vaterländischen Jubeloper umfunktioniert, deren Handlung in die Freiheitskriege verlegt war; also eine Freiheitsoper unter Schwarz-Weiß-Rot. Textlich gibt es für eine solche „Fälschung“ allerdings mehr als nur einen Anhaltspunkt ( „Auf Vaterland voran!“.) In der  DDR ließ man das Stück mit im sozialistischen Sinne veränderten Dialogen in einer Radioproduktion einspielen und im Streikjahr 1953 (!) in Rostock als Werk der sozialistischen Revolution aufführen. Nach einer weiteren bearbeiteten Version 1981 in Oberhausen kam erst 1998 in Gelsenkirchen im MiR die Oper in der Originalfassung heraus, die danach auch in Berlin gespielt wurde und nun als Neuproduktion zur Spielzeiteröffnung in Kaiserslautern vorgestellt wird.

„Beschlossen ist’s zu Ende sei                                                                               Die Knechtschaft und die Tyrannei                                                                     

Wir werden Recht uns bald verschaffen,                                                                 Wenn nicht mit Worten, doch mit Waffen!“     

(Albert Lortzing: Regina)

März 1848: in ganz Europa herrscht Aufruhr; Aufruhr der verschiedensten Art: soziale Erhebungen, politische Revolution und völkische Aufstände; in Deutschland kam dazu noch die Einigungsbewegung, letztere aber von honorigen Bürgern ebenso gewaltlos und konsensorientiert wie erfolglos gestaltet. Von alledem findet man etwas in Lortzings Regina in der Inszenierung von Hansgünther Heyme wieder. Aus sozialer Not entsteht ein Arbeitskampf. So beginnt die Oper. Der Betriebsleiter Richard kann die Arbeiter besänftigen; stellt den Fabrikbesitzer Simon als Wohltäter dar; das Harmoniebedürfnis siegt: Friede, Freude... Der heimkehrende Fabrikbesitzer belohnt Richard mit seiner Tochter Regina (auch Lortzings Ehefrau hieß Regina); Verlobungsfeier, Jubel, happy end? Nein, zum Ende des ersten Akts, in welchem der Vorabeiter Stephan von Simon für seine langen treuen Dienste ebenfalls die Hand von dessen Tochter fordert, dringen „Freischärler“ in die Fabrik und die Villa ein, denen sich Stephan, weil er Regina nicht erhält, aus Rache angeschlossen hat. Das Haus wird abgebrannt, Regina entführt, Simon misshandelt, Richard fast erschlagen. An sich endet hier im Finale des ersten Akts, einem großartigen Chortableau mit Ensemble, der politische Diskurs der Oper. Denn was folgt ist nun die Geschichte der Regina zwischen zwei Männern (dem sorgenden Patriarchentyp Richard und dem zum Outlaw gewordenen Stephan) und zwischen zwei Welten (der Freischar, die eigentlich eine Terrortruppe ist und hier wie eine disziplinlose Räuberhorde wirtschaftet, und der niederen Bevölkerungsschicht, die in idyllischem Konsensstreben ihre Situation zu verbessern sucht.) Regina erschießt Stephan, als der in höchster Bedrängnis der Bande alle und alles in die Luft sprengen will. Danach vereinigt sich alles zum großen hymnischen Schlussgesang an Vaterland und Freiheit – im Stile einer französischen Revolutionsoper, aber es wird nicht bleu-blanc-rouge, sondern Schwarz-Rot-Gold geschwenkt. Und der Fabrikant wird auch gefeiert! Ist Regina eine Oper der Revolution („Das Volk lässt sich nicht spotten“) oder aber der Restauration?

Daniel Ohlmann (Richard), Herrenchor

Regina hat die klassische Personenkonstellation mit den klassischen Stimmlagen: Held und Heldin (Tenor und Sopran),  Gegenspieler (Bariton) eine weitere tiefe Stimme (Vater, Bass) und in den Nebenrollen noch ein „niederes“ Paar: ein Vorarbeiter (Spieltenor) und ein Dienstmädchen (Spielsopran). Das Beziehungsdrama spielt (auch das klassisch!) vor einer politischen Szenerie. Aber die ist nicht mehr klassisch. Es wird ein Streik auf die Bühne gebracht; das zuweilen etwas einfältig wirkende Libretto ist voller Anspielungen auf bürgerlich-liberal Umwälzungen, Text vom Komponisten, dem er vielleicht zu „verdanken“ hatte, dass er keine  auskömmliche Anstellung mehr erlangte und nicht viel später in großer Not starbLortzing hat seine Oper mit der heißen Nadel gestrickt, textlich und dramaturgisch nicht recht durchdacht, jedenfalls nicht so wie Wagner seinen fast zeitgleich entstandenen Lohengrin. So bleibt es der Dramaturgie und der Regie des Opernhauses überlassen, die Geschichte insgesamt schlüssiger zu machen. Hierauf verzichten aber Andreas Bronkalla (Dramaturgie) und der Regisseur Hansgünther Heyme, der auch die Ausstattung der Produktion entworfen hat. Er inszeniert das Stück nahe am Libretto zwischen Geschichtsunterricht und Räuberpistole. Vorn rechts auf die Bühne hat er einen Knaben auf eine Schulbank gesetzt, der beim geschlichteten Streik gewissermaßen Unterricht in Gemeinschaftskunde erhält, dann staunend von Liebesbeziehungen, Aufruhr, Brandstiftung, schwerer körperlicher Gewalt, Entführung und Selbstmordterror erfährt, ehe die Geschichte wieder im Gemeinschaftskundeunterricht endet.

links: Tabea Floch (Ein Kind), rechts: Daniel Böhm (Wolfgang), Herrenchor

Die Ausstattung mit enthält Hinweise auf die historischen Epochen vom Biedermeier bis zur ersten Nachkriegszeit. Ein unmittelbarer Bezug zur Gegenwart klingt nur in der Verkleidung der Terroristen an, die wie Wüstenkrieger auftreten. Neben dem arabischen Frühling gab es aber auch im benachbarten Frankreich in allerjüngster Vergangenheit Beispiele, wo aufgebrachte Arbeiter mit dem Wohlwollen der CGT (stillzulegende) Fabriken verwüsten. Die große rechteckige Bühne zeigt im Hintergrund eine schwarze Wand mit drei strukturierten Lisenen in Schwarz, Rot und Gold. Davor werden einfache Möblierungen angeordnet: Stühle, Bänke, Tische und zum Schluss ein idyllisches Kornfeld. Bis auf die Regina, die in einem unvorteilhaft geschnittenen übertriebenen Rüschenkleid antreten muss, sind die Kostümeinfälle gelungen, wobei gleich zu Anfang eine Botschaft gesendet wird: Aus den rumorenden Arbeitern mit Stirnlampen und wurmartigen schwarzen Overalls (wie die Nibelungenzwerge) schälen sich nach der Vermittlungsaktion Richards wohlgesittete Bürger mit Schlips und Kragen hervor: die Konsensgesellschaft. Raffinierte, subtile Personenführung ist Heymes Sache nicht; man muss ihm aber zugestehen, dass durch die häufig statisch angesetzten Ensembles und Chorszenen die Musik besser zur Geltung kommt, was vor allem für das überwältigende Finale des ersten Akts gilt. Das nach drei Seiten offene Bühnenbild erleichtert die vielfach erforderlichen Chorauftritte und abgänge.

Daniel Henriks (Stephan), Adelheid Fink (Regina)

Musikalisch kommt bei Regina immer wieder der leichte Ton der Spieloper durch, natürlich vor allem bei den Buffoszenen des „niedrigen Paars“. Da meint man zu hören, wie leicht Lortzing diese Takte aus der Feder geflossen sind: eingängige Melodien, einfache Formen bis zum Lied. Aber man hört auch schwerere Romantik, wo Weber und Wagners Tannhäuser durchhörbar sind, und prägnante Effektmusik. Dabei bleibt jeder Takt Lortzing, was die Oper zu einem leicht zugänglichen musikalischen Genuss macht. Uwe Sandner meisterte die vielseitige, vielfach bläserbetonte Partitur mit dem Orchester des Pfalztheaters schon von der Ouvertüre an mit nur wenigen Wacklern. Das begann mit einem fanfarenartigen Aufschwungsthema, dann bewegter Musik und führte zu einer sauber abgesetzten Exposition der Hauptthemen. Sehr profiliert mit kräftigen Strichen wurden einige kantige Passagen der Partitur vorgetragen, und bis ins Extreme ging das Ausreizen der Dynamik gerade in den Chorpassagen. Filigran dagegen gesetzt sind kammermusikalische Passagen mit schönen Soli der Bläser oder der Celli. Was bei der Premiere noch nicht durchgängig stimmte, war die Synchronisation von Chor, Solisten und Orchester, wo es doch – gerade im ersten Akt – hier und da deutlich klapperte. Chor und Extrachor des Pfalztheaters wurden klanglich bestens profiliert und bedeuten für Freunde der Choroper eine Extraempfehlung. Die sehr sparsame Bewegungsregie für den Chor in den Finali des ersten und dritten Akts ließ deren klangliche Inszenierung überzeugend in den Vordergrund treten. Regina ist zwar eine Nummernoper, aber die heute vielfach läppisch wirkenden Sprechdialoge sind auf wenige Einwürfe konzentriert, daneben gibt es dramatische accompagnati; der dritte Akt ist ganz durchkomponiert. Lortzing macht auch Zugeständnisse an den Zeitgeschmack, was in einer Ballettmusikkulminiert, die von Kindern des JUST (Junges-Spiel-Theater Ludwigshafen) pantomimisch sinnhaft auf der Bühne dargestellt wurde.

Neben den dominanten Chorpartien zeichnet sich die Oper durch ihre vielen Ensembles aus, teilweise in Tateinheit mit dem Chor. Italienisch-solistische Profilierungen sieht die Partitur weniger vor. Dennoch haben die Sänger die Gelegenheit sich auszuzeichnen. Die Titelrolle der Regina sang die vielseitige Lauterer Sopranistin Adelheid Fink, die nach anfänglicher Gehemmtheit gut in die Rolle kam und sowohl in den lyrisch-innigen Passagen wie auch in den dramatischen Rezitativen und den Koloraturen zu überzeugen wusste. Daniel Ohlmann als ihr Verlobter Richard war mit Erkältung angekündigt, der er bei den fordernden Höhen leider ihren Tribut zollen musste; aber seine geschmeidige, kraftvolle Mittellage konnte er mit schönem Schmelz zur Geltung bringen. Daniel Henriks wurde mit kraftvollem Bariton der Rolle des Stephan voll gerecht; er brachte die noble Seite der Rolle, wo er nach Einkehr sucht, mit kultiviertem lyrischen Bariton ebenso überzeugend wie seine überwiegende Rolle als Bösling mit schmetternder Schwärze. Christoph Stegemann verkörperte idealtypisch die Rolle des Vaters (Simon) mit noblem Bass und profunden und wohlklingenden klaren Tiefen. Bei den Nebenrollen kommen nur noch dem Kilian, Vorarbeiter, bei Simon und seiner Mutter, der Bauersfrau, nennenswerte solistische Einsätze zu. Der Koreaner Daniel Kim gestaltete den Kilian verlässlich mit wendigem Spieltenor; Geertje Nissen sang die  Barbara mit gut fundierter Altstimme. In weiteren Rollen: Ludovica Bello als Beate, Daniel Böhm als Anführer der Freischar und Daniel Ewald als Freischärler.

Fazit: Sehenswert! Langanhaltender herzlicher Beifall nach dem knapp dreistündigen Opernabend aus dem sehr gut besuchten Saal für ausnahmslos alle Beteiligten inkl. Regisseur, wobei Daniel Hendriks und Uwe Sandner am meisten punkten konnten. Regina kommt in Kaiserslautern noch am 25. und 28. Sept., am 8. und 31. Oktober, am 13. Nov. sowie am 14. und 27.12.2013. Am 21. und 23.11. ist die Produktion in Ludwigshafen im Pfalzbautheater zu sehen, das hier als Koproduzent fungiert und wo der Regisseur bekanntlich Intendant ist. Ihm war diese Produktion ein besonderes Anliegen.

Manfred Langer, 22.09.2013                          Fotos: Hans-Jürgen Brehms-Seufert

 

 

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