Volksbühne am Rudolpflatz, Deutschland-Premiere am 16. Januar 2019
Blick zurück auf politisch hoffnungsvolle Zeiten
Es hatte Symbolcharakter, daß der tschechische Pantomime Milan Sládek seine Deutschland-Premiere von „Dubcekova Jar“ („Dubcek Spring“ – auf deutsch also „Prager Frühling“) in der Kölner Volksbühne am Rudolfplatz bot, schräg gegenüber dem Theater im Bauturm. In diesem kleinen Haus war Sládek in seinen deutschen Anfangsjahren nämlich aufgetreten, und machte das Publikum mit seiner Kunstfigur Kefka bekannt, die 1960 in Prag das Licht der Welt erblickt hatte.
Durch Deutschland war der Künstler bereits 1965 getourt, sicher auch eine Folge von Alexander Dubceks Liberalisierungspolitik in der Tschechoslowakei. Aber 1968 kamen sowjetische Panzer und zermalmte alles, was er an kleinen Freiheiten (im Rahmen des Sozialismus) für seine Landsleute erkämpft hatte. Milan Sládek zog aus diesen Vorgängen die Konsequenzen und siedelte nach Schweden um; 1970 wechselte er nach Köln, wo er auf starkes Publikumsinteresse stieß.
Pantomimentheater war hierorts eine bis dato kaum bekannte Kunstform, die Breitenwirkung kam also nicht von ungefähr und führte 1974 sogar zur Etablierung des Festivals „Gaukler“. Der Rezensent erlaubt sich anzumerken, daß er all diese Jahre in vollem Umfang miterlebt hat. Zu den internationalen Gastspielen kamen natürlich auch immer wieder neue „Kefka“-Produktionen wie „Dreigroschenoper“, „Don Juan“, „Carmen“ und „König Ubu“.
Seit jeher ist Milan Sládek an einer Verbindung der Bühnenkünste und ihrer Befruchtung untereinander interessiert. So fließen bei ihm beispielsweise die Ästhetiken des Schwarzen Theaters oder auch des japanischen Puppentheaters Bunraku zusammen. Einen besonderen Erfolg mit dieser Mixtur erzielte Sládek bei der Mozart-Oper „Die Hochzeit des Figaro“ (1991), wenig später auch bei Monteverdis „Poppea“. Was Mozart betrifft, gab es auch eine Rekonstruktion der Faschingspantomime „Pantalon und Columbine“, in welcher der Komponist selber auf der Bühne mitwirkte. Sládek verkörperte den Pierrot, eine Anleihe nicht erst hier aus dem Bereich der Commedia dell’arte.
Die politischen Umwälzungen von 1989 mit ihren neuen Lebensbedingungen veranlaßten Milan Sládek zur Rückkehr in seine Heimat, wo er u.a. eine Festivalvariante von „Gaukler“ aufzog („Kaukliar“). Aber die alten Zeiten waren wohl doch nicht in vollem Umfange zu revitalisieren, hinzu kamen erfolgreiche internationale Auftritte. So zog Sládek wieder nach Köln, von wo aus er heute seine weiterhin umfänglichen Auftritte organisiert. Wie die der Dubcek-Story, eine Kooperation mit der Oper von Banska Bystrica (Edita Gruberova trat hier in jungen Jahren auf).
Sládek, inzwischen 80, hat die landesweite Begeisterung für Dubcek noch hautnah miterlebt. Heute muß er freilich gestehen: „Bei uns weiß vor allem die Jugend kaum etwas über die Ereignisse von 1968.“ Es passant: wird einst auch die Erinnerung der Deutschen an den Mauerfall 1989 verblassen?
Wie können vergangene Zeiten einem Publikum von heute stimmig und dringlich vermittelt werden? Obwohl Milan Sládek Recherchen zum Thema „Prager Frühling“ durchgeführt hat (u.a. Gespräche mit den Söhnen von Dubcek), kam für ihn eine historisch unanfechtbare Bühnenpräsentation nicht infrage. Es werden allerdings authentische Filmaufnahmen gezeigt (zur Musik des „Dies irae“ aus Verdis „Requiem“). Ansonsten aber steht der Pantomime als Dubcek (in verschiedenen Lebensaltern) im Mittelpunkt der Bühnenvorgänge, umgeben von einem Kollektiv junger Mitspieler, was an den Chor der griechischen Tragödie erinnert. Ansonsten versteht Milan Sládek seine Inszenierung als eine Art Aquarellbild, welches sich verläßlicher Konturen enthält. Das knospende Gänseblümchen zu Beginn ist freilich ein symbolstarkes und eindeutiges Bilddetail, auch die Fesselung Dubceks ergibt einen starken sinnbildlichen Akzent. Doch nicht alle Bilder erschließen dem Zuschauer das gemeint Bedeutungsvolle, man empfindet mitunter sogar visuelle Selbstgefälligkeit. Und ausgesprochen nervig sind die ständigen lauten Musikeinblendungen.
Darüber setzt sich Milan Sládeks immer noch behende Körperlichkeit und seine ausdrucksvolle Mimik aber dann doch weitgehend hinweg. So jedenfalls dürfte es das Publikum empfunden haben, welches dem Pantomimen am Schluß mit Ovationen verwöhnte.
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Christoph Zimmermann 17.1.2019