Köln: Russische Raritäten unter Dmitrij Kitajenko

Gürzenich-Orchester

Dmitrij Kitajenko (Leitung)

Tschechischer Philharmonischer Chor Brno

Zu den wenigen deutschen Theatern, welche Nikolaj Rimskij-Korsakows „Die Legende von der Stadt Kitsch und der Jungfrau Fevronija“ auf ihren Spielplan setzten, gehören die Kölner Bühnen. 1968 war das; der unvergessene István Kertész dirigierte, der großartige Hans Neugebauer inszenierte, die Fevronija wurde von Helga Dernesch verkörpert. An dieses Ereignis dachte man zurück, als Dmitrij Kitajenko mit dem Gürzenich-Orchester die Suite aus dieser Oper offerierte. Sie stammt nicht vom Komponisten selber, sondern von seinem Schüler Maximilian Steinberg.

Die Oper kombiniert zwei Stoffe. Da ist zum einen die Sage von der Stadt Kitesch (welche ein wenig an das Schicksal vom pommerschen Vineta erinnert) und eine Liebesgeschichte zwischen dem Waldkind Fevronija und dem Fürstensohn Vsevolod. Dieser fällt im Kampf gegen die Tartaren, welche aber die Flucht ergreifen, als auf Fevronijas Bitte hin die Stadt unsichtbar wird. Die Jungfrau wird zuletzt von den Tieren des Waldes ins Paradies geleitet, wo sie ihren Gatten wiederfindet.

Die Sätze „Hochzeitszug“ und „Schlacht am Kerzenec“ bilden die lebhaften Innensätze der Suite, das „Lob der Einsamkeit“ und „Der selige Tod der Jungfrau Fevronija“ bieten rahmend zu Herzen gehende Verklärungsmusik. Rimskij-Korsakow, Meister im musikalischen Illustrieren, öffnet bei „Kitesch“ wahrlich eine Zauberkiste narkotischer Klänge. Dmitrij Kitajenko gab der Musik durchaus Zügigkeit mit, nahm den „Schlußchoral“ aber apotheotisch breit. Nota bene: der WDR verfügt über eine Studioaufnahme der „Kitesch“-Suite mit Jeffrey Tate als Dirigenten.

Die Glockenklänge, welche die Musik Rimskij-Korsakows eher beiläufig durchziehen, sind bei Sergej Rachmaninows „Die Glocken“ dramaturgisch prägend. Der Komponist ließ sich von einem symbolischen Text Konstantin Balmonts inspirieren, welcher auf Dichtungen von Edgar Allan Poe zurückgeht. Die Stimmungen in Rachmaninows musikalischem Poem sind ähnlich kontrastreich wie die von Rimskij-Korsakow. Mit Schlitten- und Hochzeitsglocken hebt das Werk frohgestimmt an. Es folgte als Nummer drei eine Sturmszene (man denkt unwillkürlich auch an Beethovens „Pastorale“). Im Finale läuten Glocken zur ewigen Ruhe. Der chorische Anteil bei diesem Werk ist groß, die Nummer drei gehörte dem Tschechischen Philharmonischen Chor Brno (Einstudierung: Petr Fiala) allein – eine ungemein eindrucksvolle Darbietung. Auch die leiseren, kontemplativen Passagen meisterten die Sänger aus der CSSR vorzüglich.

In jedem Werkteil (den „Sturm“ ausgenommen) agierte ein anderer Solist. Zunächst präsentierte Dmytro Popov (er wird im kommenden März der „Rusalka“-Prinz an der Kölner Oper sein) seinen kraftgesättigten lyrischen Tenor; die vor allem an der Berliner Staatsoper auftretende Anna Samuli läßt ihre koloraturgeprägten Opernpartien vermutlich langsam hinter sich. Bei Rachmaninow assoziierte man eher ihre u.a. an der Mailänder Scala zu erlebende Donna Anna. Besonders markant wirkten die Soli von

Vladislav Sulimsky im Finalsatz. Dmitrij Kitajenko, welcher zuvor mit relativ ruhiger Hand dirigierte, gab sich bei Rachmaninow ausgesprochen impulsiv und dramatisch stringent.

Das Raritätenprogramm wurde komplettiert mit der Kantate „Johannes Damascenus“ von Sergej Taneev. Er war ein Außenseiter unter den russischen Komponisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts, beendete u.a. sein Leben in seinem Kloster. Daß er mit dem Chorwerk den Theologen und Kirchenvater würdigte, kommt also nicht von ungefähr. Von der literarischen Vorlage, einen Poem von Aleksej K. Tolstoj, übernahm Taneev nur wenige Zeilen. Sie reichten ihm, um den Leidensweg des gottgläubigen Menschen auf „dunklen Pfaden in Angst“ mit der Hoffnung auf „himmlische Gnade“ stimmig zu schildern.

Der viermalige Aufschrei „O Herr“ markiert das Ende des zweiten Teils, das Finale läßt deutlich Taneevs kompositorisches Leitprinzip, die Verbindung von russischer Volksmusik und barocker Kontrapunktik, erkennen. So eindrucksvoll dieses Werk, so eindrucksvoll auch die Wiedergabe. Die Zuhörer schienen von dem ungewöhnlichen, die Aufmerksamkeit stark beanspruchenden Programm sehr angetan.

Bilder (c) Phil Köln

Christoph Zimmermann (19.5.2018)