Kölner Philharmonie 05.12.2018
Die sympathische römische Mezzosopranistin hatte in der Kölner Philharmonie gleichsam ein Heimspiel, als sie ihr neues Album „Viva Vivaldi“ vor ihrer Fangemeinde präsentierte. Das Kölner Publikum lag ihr von Anfang an förmlich zu Füßen. In Sachen Vivaldi hat sich Cecilia Bartoli inzwischen als Expertin und Wiederbelebungskünstlerin einen besonderen Namen gemacht. Auch in ihrem neuen Programm lässt sie aus Vivaldis über fünfzig facetten-reichen Opern bekannte und gänzlich unbekannte Arien erklingen, die eindrucksvoll unter Beweis stellen, dass der lange Zeit vergessene Venezianer eben nicht nur als Komponist unsterblicher Instrumentalmusik, sondern auch als Opernkomponist in seiner Heimatstadt Venedig in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Furore machte.
Die Perlenreihe elegischer, aber auch virtuos-dramatischer Arien, die Vivaldi z.T. in die Kehle bekannter Kastraten seiner Zeit gelegt hatte, verflochten Cecilia Bartoli und Gianluca Capuano, Dirigent und Cembalist an diesem Abend, mit Sätzen aus Vivaldis berühmtestem Instrumentalwerk, den Vier Jahreszeiten, wobei Capuano noch durch improvisierte Über-leitungen jedes störende Klatschen oder auch Husten im weiten Rund der Philharmonie erfolgreich unterband. So entstand ein spannungsvolles Gegen- und Miteinander orchestraler und gesanglicher Preziosen, die in Tonart, Stimmung und Klangfarbe wunderbar aufeinander bezogen und abgestimmt waren. In der Arie des Farnace Gelido in ogni vena aus der Oper Farnace RV 711 (1727) wird diese Symbiose von Vivaldi sogar selbst vorgegeben, wenn er am Anfang sein berühmtes Winter-Konzert zitiert.
Thema aller Arien, wie könnte es anders sein, ist die Liebe in all ihren Facetten. Es geht in barocker Bildlichkeit um Liebesseligkeit und Liebessehnsucht, um enttäuschte Liebe und Rache, um Liebesschmerz und Liebeskummer, wobei die Sätze aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ und die Naturschilderungen in den Texten eine Seelenlandschaft imaginieren, welche die Gefühle des lyrischen Ichs abbilden und spiegeln. Durch die starken Gefühls-kontraste in Musik und Text kommt keine Langeweile auf, auch deshalb nicht, weil Block-flöte, Traversflöte, Oboe oder – wie in den Zugaben – Trompete in einen virtuosen Wettstreit mit der Singstimme eintreten.
Cecilia Bartoli singt die Vivaldi-Arien mit einer Agilität in den Koloraturen, vor allem aber mit der Klangschönheit ihres nicht sehr großen, dafür aber herrlich timbrierten und weichen Mezzosoprans, dass es einem beim Zuhören den Atem verschlägt. Sie braucht nicht – wie einige ihrer großen Kolleginnen- eine Schar von Tänzern, die sich um sie herumwinden, sie braucht keine aufwendigen Videoeinspielungen, um ihrem Gesang Ausdruck und Bedeutung zu vermitteln. Die Natürlichkeit, die unprätentiöse, uneitle Gesangskunst einer Bartoli spricht für sich. Das ist große Gesangskunst ganz im Dienst der Musik.
Begleitet wurde sie durch das Barockensemble Les Musiciens du Prince, das im Frühjahr 2016 im Fürstentum Monaco auf eine Initiative Cecilia Bartolis gegründet wurde und sich in kurzer Zeit zu einem wunderbaren Klangkörper für alte Musik entwickelt hat. Gianluca Capuano ist in Köln als Spezialist für Barockmusik bestens bekannt, da er in der Kölner Oper erst unlängst Cimarosas Il matrimono segreto und Gassmanns Gli ucellatori zu großen Publikumserfolgen verhalf. Er spielte gleichzeitig den Part am Cembalo mit federnder Leichtigkeit. Sein Esprit und seine Spiellaune übertrugen sich auf alle Orchestermitglieder. So kontrastreich, so präzise, so durchsichtig und spannend hat man die Vier Jahreszeiten lange nicht mehr gehört. Andrés Gabetta versah den Solopart in Vivaldis Le quattro stagioni und entlockte seinem herrlichen Instrument, einer venezianischen Geige von Petrus Guanerius aus dem Jahr 1727, mirakulöse Töne. Da stimmte wirklich alles zusammen.
Das Publikum belohnte alle Künstler mit Ovationen und wollte Cecilia Bartoli einfach nicht gehen lassen. Die charmante Römerin dankte mit vier Zugaben, darunter der Arie des Cherubino Voi che sapete aus Mozarts Le nozze di Figaro und einem neapolitanischen Lied ihrer Heimat. Als sie dann sogar in einem auch schauspielerisch fulminanten Wettstreit mit dem Trompetenvirtuosen Thibaud Robin Sumertime aus Gershwins Oper Porgy and Bess anstimmte, kannte der Jubel in der Kölner Philharmonie keine Grenzen mehr. Manch Purist mag in diesem Zugabenpotpourri einen Stilbruch gesehen haben. Sei’s drum! Wer mit einer solchen Freude, mit einer solchen Herzlichkeit und fern aller divenhaften Künstlichkeit Musik lebt und verkörpert wie Cecilia Bartoli, dem gestattet man gerne den zeitlichen und stilistischen musikalischen Spagat!
Fazit: ein beglückender Abend in der Kölner Philharmonie, den auch der Rezensent lange nicht vergessen wird.
Norbert Pabelick 06.12.208