Kopenhagen: „Aida“, Giuseppe Verdi

Lieber Opernfreund-Freund, Verdis Nil-Epos Aida ist seit gestern am Königlichen Theater in Kopenhagen zu erleben. Regisseurin Annabel Arden inszeniert modern, jenseits von Pyramiden und abendlicher Nilromantik, und dabei äußerst stimmig und präsentiert so zusammen mit der exquisiten Besetzung einen perfekten Opernabend.

© Camilla Winther

Die aus Großbritannien stammende Schauspielerin und Regisseurin Annabel Arden erzählt die Irrungen und Wirrungen der Geschichte der versklavten Prinzessin Aida, die zwischen Treue zum unterdrückten Vaterland und der Liebe zum militärischen Gegner des eigens Volkes zerrieben wird, stringent, holt sie ins Hier und Heute. Das wird schon zu Anfang deutlich, als Radames während des Vorspiels in Amneris‘ Bett erwacht, und setzt sich fort in eingeblendeten Nachtsichtaufnahmen des Kriegsgeschehens sowie der Tatsache, dass der siegreiche Held eben nicht strahlend vom Schlachtfeld zurückkehrt, sondern sichtlich unter einem Kriegstrauma leidet, während um ihn herum alle im flitternden Feiertaumel versinken. Das schafft Realitätsnähe, denen die Regie eine surreale, innere Ebene entgegensetzt: Vier Tänzerinnen visualisieren Aidas Innenwelt zur teils grazilen, teils grotesken Choreografie von Theo Clinkard. Die imposanten Wände des Bühnenbilds von Merle Hensel scheinen unter den genialen Videoinstallationen von Will Duke beinahe zu atmen und Lee Currans Licht schafft durchaus auch Intimität im weiten Einheitsbühnenraum. Zusammen mit einer lebendigen Personenführung gelingt dem Produktionsteam eine so zeitgemäße wie schlüssige Interpretation des Stoffes und macht die Geschichte auch heute noch interessant.

© Camilla Winther

Auf der Bühne überbieten sich die Interpretinnen und Interpreten bei ihren Höchstleistungen: Wie der bereits erwähnte Krieger Radames wirft sich Samuele Simoncini in die Schlacht, präsentiert die Spitzentöne präzise und mit nicht nachlassender Kraft. Dass es dem aus Siena stammenden Sänger dabei nicht nur auf Effekthascherei ankommt, zeigt sich vor allem in den feinen Liebesduetten in der zweiten Hälfte des Abends, in denen er ein ebenso hohes Maß an Emotionalität beweist. Die scheint Miriam Clark als Aida regelrecht zu atmen. In jeder Sekunde bewegt mich die Deutsch-Amerikanerin, erzeugt eine Gänsehautsalve nach der anderen, erschöpft sich aber nicht darin, ihre Figur als Opfer zu zeigen. Sie schafft dank ihrer fast mezzohaft-satten Mittellage nicht nur einen Gegenpol zu den feinen Piani, die sie in der Höhe präsentiert, sondern macht ihre Aida dadurch auch von Beginn an zur streitbaren Frauenfigur. Als Amneris debütiert gestern die US-Amerikanerin Raehann Bryce-Davis – und was soll ich Ihnen sagen: das war ein Debut der Spitzenklasse! Die bedrohlich-mysteriöse Tiefe trifft mich bis ins Mark und dennoch bleibt auch hier die Interpretation nicht eindimensional. Die Amneris von Bryce-Davis ist nicht nur racheerfüllte Prinzessin, sondern auch unglücklich Verliebte, desillusioniert vom verlorenen Kampf gegen die Priester und um Radames‘ Herz. Da stimmt jede Phrase so sehr, dass man „Zugabe“ rufen möchte. Auch den Amonasro kann man kaum besser interpretieren, als Musa Ngqungwana das gestern getan hat. Vom ersten Auftritt an glänzt er mit enormer Bühnenpräsenz, baritonalem Feuer und kaum zu bändigender Power. Bei dieser hochkarätigen Besetzung ist es schade, dass mich der Ramfis von Kyungil Ko nicht so ganz überzeugt. Im direkten Vergleich mit seinen Kolleginnen und Kollegen, die sich eine wahre Schlacht der kraftvollen Töne liefern, bleibt seine Interpretation ein wenig blass. Vom machthungrigen Gegenspieler von Amneris hätte ich mir ein wenig mehr Biss gewünscht. Ein glänzend disponierter Sir Willard White als König, Gisela Stille als dämonisch auftretende Priesterin und Michael Kristensen als Bote, der aus dem Zuschauerraum singt, machen die Solistenriege komplett.

© Camilla Winther

Der königliche Opernchor unter der Leitung von Steve Moore ist viel beschäftigt am gestrigen Abend und fügt sich nicht nur darstellerisch effektreich in die Produktion ein, sondern vermag auch sängerisch auf ganzer Linie zu überzeugen. Am Pult präsentiert Paolo Carignani einen fein austarierten Verdi mit viel Emotion, ohne dabei ins Schmalzige abzugleiten. Seine abwechslungsreichen Tempi und sein Dirigat voller Farben machen den Abend musikalisch vollends zum Erlebnis.

Sie merken, lieber Opernfreund-Freund, ich kann meine Begeisterung kaum bremsen, freue mich noch immer über die gelungene Inszenierung, die zeigt, dass Aktualisierung durchaus spannend und stimmig bis in die kleinste Nuance sein kann. Und auch künstlerisch bin ich dermaßen geflasht, dass ich sicher noch lange von diesem exzeptionellen Abend erzählen werde.

Ihr Jochen Rüth am 4. März 2023


Aida

Oper von Giuseppe Verdi

Besuchte Premiere 2. März 2023

Inszenierung: Annabel Arden

Musikalische Leitung: Paolo Carignani

Det Kongelige Kapel

Weitere Vorstellungen: 8., 14., 24. und 30. März sowie 2., 4., 14., 21. und 30. April

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