Berlin: „Messias“, Georg Friedrich Händel

Halleluja“ wird es in den vergangenen Tagen nicht nur bei den Endproben zu Händels Messias im Hangar 4 des ehemaligen Flughafens Tempelhof geschallt haben, sondern wohl auch durch das Schillertheater am Ernst-Reuter-Platz, in dem die Komische Oper Berlin nach Komödie am Kurfürstendamm und Berliner Staatsoper ihr vorläufiges Domizil gefunden hat. Für viel Unruhe hatten Stimmen aus dem Berliner Senat damit gesorgt, dass sie den ohnehin auf viele Jahre veranschlagten Um- und teilweisen Neubau des Hauses in der Behrenstraße wegen der immensen Kosten bei knappen Kassen des Landeshaushalts in Frage gestellt hatten. Nun folgte kurz vor der ersten Premiere der neuen Spielzeit die beruhigende Zusage aus dem Munde des Berliner Kultursenators Joe Chialo, der nur von einer eventuellen längeren Dauer, nicht von einem Verzicht auf das Vorhaben sprach.

© Jan Windzius Photography

Die Geschichte der jungen Amerikanerin Brittany Maynard könnte Stoff für ein Opernlibretto sein: Als noch nicht Dreißigjährige erhält sie die Diagnose einer unheilbaren, unter schrecklichem Leiden innerhalb von sechs Monaten zum Tod führenden Krebserkrankung, zieht aus Kalifornien nach Oregon, wo die Selbsttötung in einem solchen Fall möglich ist, lässt per Internet die Öffentlichkeit am ihr verbleibenden Leben und den Kämpfen, die sie zur Erreichung ihres Zieles führen muss, teilnehmen und kann zwar den Krebs nicht besiegen, aber den Zeitpunkt ihres Todes selbst bestimmen und wird dafür auch massiv angegriffen. Der Vatikan missbilligt ihre Wahl. Der Freitod einer Gilda, Tosca, Butterfly und vieler anderer Opernheroinen, oft um größerem Ungemach zu entfliehen, mag den Vorstellungen der Regie zugearbeitet haben.

Im Unterschied zu den anderen Oratorien Händels gibt es im Messias keine problemlos in Optik übersetzbare Handlung, sondern eine lockere Aneinanderreihung biblischer Texte, was eine Inszenierung erschwert. Am Schluss stehen zwar Auferstehung und das Versprechen der Erlösung, die aber wiederum mit der Geschichte der Brittany Maynard nichts zu tun haben. Trotzdem wählte Regisseur Damiano Michieletto ihr Schicksal, setzte an die Stelle der Auferstehung die Selbstbestimmung zwar nicht über den Tod selbst, sondern über die Wahl des Zeitpunkts und entführte damit das Werk nach eigenem Bekunden aus dem Religiösen ins Spirituelle. Trotzdem bleibt fast während der gesamten Vorstellung der Eindruck eines Nebeneinander und nicht eines Miteinander von Musik und Optik bestehen, passen die zweifellos religiösen Texte nur bedingt zum auf der Bühne Sichtbaren. Das Wunderbare an diesem Abend ist, dass Musik und Szene, obwohl voneinander abweichend, einander aber auch nicht im Wege stehen, sondern das Nebeneinander von Glaubensgewissheit und Todesgelassenheit aufeinander potenzierend wirken.

© Jan Windzius Photography

Während bei der ersten Produktion der Komischen Oper in Hangar 4 vor einem Jahr die Bühne in Form eines großen Wasserbassins sich zwischen den Zuschauertribünen befand, lässt Bühnenbildner Paolo Fantin nun das Bühnengeschehen halbkreisförmig quasi durch die Zuschauer umarmen. Auch vor den Toren des Hangar hat sich etwas verändert, indem eine riesige Rasenfläche rätseln lässt, was wohl ihr Sinn und Zweck sei. Sie wird am Ende, in viele kleine Stücke zerlegt, von den nicht wie zuvor in knallbunt, sondern ganz in Grün gekleideten Choristen in den Hangar getragen, der Himmel scheint sich zu öffnen und es regnet, in der Generalpause vor dem letzten Amen auch akustisch zum Geschehen beitragend. An die Stelle des Heilsversprechens ist die Versöhnung mit dem Tod nun in anderer, bereits durch die daphneähnliche enge Beziehung der Kranken zu einem Lorbeerbäumchen angedeutete pantheistische Sicht vollzogen. Ansonsten ist die Szene karg, spricht die Größe des Hangars für sich, und nur Tisch und Stühle für die Familie, in der der Vater den Bass, die Mutter den Alt, der Ehemann den Tenor und der Sopran die behandelnde Ärztin darstellen soll, medizinische Apparate, eine geheimnisvolle rote Kugel und ein immenser Reif, der über den Köpfen der Mitwirkenden schwebt, sich senkt, hebt, in eine Schieflage gerät, sind neben Protestplakaten und Leichenlaken die manchmal auch geheimnisvollen Requisiten. Und fast wie ein Happy End wirkte es, wenn am Schluss der rote Papierdrachen, den alle Familienmitglieder zu Beginn vergebens zu erhaschen versuchten, nun von der Sterbenden im Triumph davon getragen wird.

Schon Monate vor Saisonbeginn hatte die Komische Oper um die Mitwirkung von Chorsängern aus Laien wie aus professionell arbeitenden Chören geworben. Die hatten offensichtlich in großer Zahl zugesagt und bildeten, Chordirektor David Cavelius ist es zu danken, einen homogenen, zudem noch nach Art des Chors der Komischen Oper höchst spielfreudigen Gesangskörper. Nicht nur das Halleluja, sondern auch alle anderen Chornummern, und da gab es nur einen kleinen Wackler, wurden zu Höhepunkten des Abends und mögen selbst dem hartnäckigsten Atheisten manch frommen Schauder über den Rückengejagt haben. In Sachen Barockoper seit Spielzeiten bestens geübt ist das Orchester der Komischen Oper, so dass Dirigent George Petrou es gelingen konnte, auch ohne das Zurückgreifen auf historische Instrumente barocken Glanz zu entfalten, wozu eine intensive Beschäftigung mit den speziellen Akustikproblemen der Halle das Ihre vorab geleistet haben mag.

© Jan Windzius Photography

Um die Geschichte von Maynard erzählen zu können, musste die Regie zu den vier Gesangssolisten und dem Chor noch eine fast sprachlose Figur, eine Schauspielerin, ins Spiel bringen. Anouk Elias entledigte sich ihrer Aufgabe souverän, Aufbegehren, Verzweiflung, Sichfügen auch stumm mit unermüdlichem Körpereinsatz dem Publikum nahebringend. Einen engelsgleich schönen , zarten, aber hochpräsenten, lieblichen Sopran konnte Julia Grüter für die ihr zugedachten Arien einsetzen, der herbe Alt von Rachel Wilson ließ etwas von Ebenmaß vermissen, jung und frisch klang der Tenor von Julien Behr und sehr sonor, Autorität heischend der Bass von Tijl Faveyts.

Am Schluss scheint die Trennung zwischen Optik und Musik aufgehoben, wenn der Chor zum Schlusschoral betend die Hände hebt, man auch islamische oder jüdische Formen der Gottesanbetung zu sehen vermeint- eine schöne Utopie.

Die Komische Oper hat eine ganze Reihe von Vorstellungen geplant – man sollte sich das Ereignis nicht entgehen lassen!

Ingrid Wanja, 22. September 2024


Messias
Georg Friedrich Händel

Komische Oper Berlin

Besuchte Premiere am 21. September 2024

Inszenierung: Damiano Michieletto
Musikalische Leitung: George Petrou
Orchester der Komischen Oper Berlin