Berlin: „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“

Premiere am 5.3.2022

Rückkehr einer „Volksoper“

Herbert von Karajan soll ein Faible für ihn gehabt haben, nach seiner umjubelten Uraufführung in Prag im Jahre 1927 ging er, einschließlich MET, um die gesamte Opernwelt, es gibt eine leider vergriffene Studioaufnahme unter Heinz Wallberg in Starbesetzung mit Prey, Popp, Jerusalem, und das Instrument, das sogar im Titel seiner Oper vorkommt, erklingt mit keinem einzigen Ton. Die Rede ist von Schwanda, der Dudelsackpfeifer, der in den Zwanzigern und Dreißigern in der Übersetzung von Max Brod über die deutschsprachigen Bühnen zog, nach 1933 nicht mehr in Deutschland aufgeführt werden durfte und dessen Komponist Jaromir Weinberger, weil jüdisch, aus Österreich in die USA flüchten musste und amerikanischer Staatsbürger wurde. Nur noch zu einem gelegentlichen Urlaub kehrte er nach 1945 nach Europa zurück, ehe er sich 1967 in den USA das Leben nahm.

Nach der Staatsoper Dresden in tschechischer Originalsprache ist es die Komische Oper Berlin, die sich des vom Komponisten als „Volksoper“ bezeichneten Werks mit deutschem Text annimmt, nachdem bereits vor einigen Jahren Frühlingsstürme in der Regie von Barrie Kosky mit Erfolg aufgeführt wurde, ein Werk, das als „die letzte Operette der Weimarer Repblik“ in die Musikgeschichte eingegangen ist. Der Noch-Intendant hat diesmal seinem Vorgänger Andreas Homoki, augenblicklich an der Zürcher Oper tätig, wo er gerade den Ring einstudiert, überlassen. Vorab kündigte dieser bereits an, dass er in der „Übergangszeit“, also wenn das Haus renoviert wird, erneut an der Komischen Oper inszenieren wird, was allerdings, das ist noch geheim.

Homoki sieht in der in böhmischer Märchenzeit angesiedelten Oper das Drama des in die Welt hinaus Strebenden oder in sie hinaus Getriebenen, so wie es Weinberger selbst erging oder auch des Regisseurs Eltern, die 1956 aus Ungarn fliehen mussten, als die Hölle der Zweite Weltkrieg war oder die Niederschlagung des Ungarnaufstands, die weite Welt aber Amerika. Hätte er mit seinem Regiekonzept noch etwas gewartet, wären ihm viel aktuellere Bezüge eingefallen. So aber trägt er seiner Interpretation mit dem Bug eines Überseedampfers voller fröhlicher Auswanderer und einer Hölle, in der auch Hitler und Stalin schmoren, Rechnung, tritt aber nie mit dem Holzhammer auf, sondern bleibt locker, mit flüssigem Erzählstil nie Langeweile aufkommen lassend und nur sporadisch den Zuschauer dazu anregend, die Hölle mit weiteren Insassen zu bevölkern. Bühnenbildner Paul Zoller ist sparsam mit Dekorationen, lässt durchaus Schwärze und Bühnentechnik sichtbar bleiben, weiß aber in aller Knappheit, so mit einem Baum, mal welk, mal in schöner Blätterpracht, mal mit einer aus dem Schiff sich schwingender Revuetreppe viel passende Atmosphäre zu kreieren, die Kostüme von Klaus Bruns spiegeln die Entstehungszeit des Werks wider. Die Tänzerinnen lassen Revue und Operette, welche durchaus auch in der Musik anklingt, inmitten aller Opernernsthaftigkeit aufblitzen. Da erträgt man sogar die schon allzu oft auf einer Opernbühne aufgetretenen Fluchtkoffer.

Der frisch und glücklich verheiratete Schwanda wird vom Banditen Babinsky dazu überredet, die verzauberte Königin zu befreien, deren vereistes Herz er durch seine Musik wieder erwärmen kann. Als bekannt wird, dass er bereits verheiratet ist, wird er zum Tode verurteilt, fährt aber wegen einer Lüge zur Hölle, ehe das Urteil vollstreckt werden kann. Aus der wird er durch den trickreichen Babinsky befreit und kann zu seiner ihm Angetrauten namens Dorotka zurückkehren. Soweit die böhmische Volkssage.

Die Musik Weinbergers ist eng verflochten mit der böhmischen Volksmusik, weist zudem Verbindungen zu Schreker, Smetana und Strauss auf und ist am mitreißendsten, wenn sie sich tänzerisch gibt, höchst interessant ist die Instrumentierung, was beides Ainãrs Rubiķis am Dirigentenpult wirkungsvoll zu unterstreichen versteht. Besonders in Satans Reich weiß sie höllisch gut und in die Beine fahrend aufzutrumpfen. Wenn man sich in Böhmens Hain und Flur versetzt hört, dann versteht man die Popularität, die das Werk einst genoss, sehr gut.

Ein Glücksfall ist die Besetzung der Titelpartie mit Daniel Schmutzhard, der nicht nur optisch den Allerweltskerl glaubhaft darstellt, sondern auch vokal mit einem sonoren, in der Höhe beinahe mit Tenorglanz ausgestatteten Bariton zu bezaubern vermag. Er hat die Gabe, die Bühne zu beherrschen und das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Darstellerisch ist ihm Tilman Unger als Babinský ein würdiger Partner, stimmlich lässt der Tenor aber fast alle seiner Stimmgattung zugeordneten Tugenden vermissen, wird desto dünner und fahler, je höher er klettern muss. Einen robusten, klaren Sopran setzt Kiandra Howarth für die Dorotka ein, weniger präsent ist die Stimme von Ursula Hesse von den Steinen, die aber optisch allen Anforderungen an die Königin gerecht wird. Sein die Szene dominierendes Selbst ist Jens Larsen als Magier, angemessen verkörpern Johannes Dunz (Richter) und Ivan Turšić (Scharfrichter/ Höllenhauptmann) ihre Partien. Der agilste, witzigste, beinahe sympathische Teufel, den man beinahe liebgewinnen kann, ist Philipp Meierhöfer, der zudem auch noch höchst musikalisch sich seiner Partie annimmt. Immer auf Perfektion in jeder Hinsicht kann man sich beim Chor der Komischen Oper, der sich zu Recht als „Chorsolisten“ (David Cavelius) bezeichnet, verlassen. Ein Abend wie der heutige ist genau die richtige Kost, einmal für gut zwei Stunden das im realen Leben herrschende Elend vergessen zu lassen.

Ingrid Wanja / 5.3.2022

Fotos von Jaro Suffner