Berlin: „Orpheus in der Unterwelt“

Nach Salzburg nun an der Komischen Oper

Bei den Salzburger Festspielen 2019 hatte Barrie Koskys Inszenierung von Offenbachs Orpheus in der Unterwelt/Orphée aux enfers spektakulären Erfolg. Nun kam die Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin und der Deutschen Oper am Rhein nach Berlin, wo sie bei der Premiere am 7. 12. 2021 vom Publikum, das entschlossen war, sich unter allen Umständen zu amüsieren, enthusiastisch gefeiert wurde.

Ich hatte mit der Inszenierung schon in Salzburg meine Probleme, fand sie fast durchgängig albern, überdreht und schrill. Der Eindruck hat sich in Berlin bestätigt. Grotesk überzeichnet sind die Personen, vor allem die Eurydike, die von Sydney Mancasola gegeben wird. Sie muss sich vor allem mit gespreizten Beinen auf dem Bett rekeln, gelegentlich auch kopulieren, was drastisch dargestellt wird. Im 1. Akt trägt sie eine aufreizende Korsage, im 2. ist sie von Victoria Behr wie ein Revue-Star gekleidet mit Federn, Volants und Putzwerk. Mancasola lässt einen herb getönten Sopran mit greller Höhe hören, der nur in den lyrischen Couplets angenehmer tönt. Ihr Gatte Orpheus ist als Hampelmann dargestellt und scheint in seinem Bewegungsduktus wie aus einem Stummfilm entlehnt. Der Tenor Tansel Akzeybek singt ihn unauffällig.

Rufus Didwiszus hat dem grauen Salon mit Kamin und Ehebett im 1. Akt reichlich Patina verpasst, ähnlich der ermüdeten Beziehung des Paares. Beim Auftritt des vierzehnköpfigen Tanzensembles als muntere schwarz-gelb gestreifte Bienen kommt erstmals Stimmung auf, denn Otto Pichlers Choreografie ist wie stets so absurd wie witzig und frivol. Nahe liegend erscheint Pluto in der Verkleidung als Bienenzüchter in Schutzkleidung. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke gibt ihn derart exaltiert schwul, dass man ihm seine Begierde nach Eurydike kaum glauben mag. Gesanglich offenbart er vor allem Probleme im Falsett. Wenn er die Angebetete in die Unterwelt entführt, vollzieht sich auf der Bühne ein fliegender Wechsel zum Olymp, wo die Götter mit ihrer Entourage zu einem Gruppenbild postiert sind. Gesungen wird hier mäßig, begonnen bei Peter Bording als mattem Jupiter über Nadine Weissmann als beleibtem Cupido mit gewöhnungsbedürftiger Stimme und Maria Fiselier als schriller Diana. Auch der sonst so zuverlässige Peter Renz enttäuscht als Merkur mit defizitärem Gesang. Die Chorsolisten der Komischen Oper (Einstudierung: Jean-Christophe Charron) singen zunächst aus den Proszeniumslogen, sind danach aber auf der Bühne, wo sie lautstark kreischen und auch tanzen müssen. Letzteres gelingt ihnen in stupender Perfektion, so dass sich das 1. Finale zu einer mitreißenden Szene gestaltet.

Die Aufführung steht und fällt mit der Besetzung des John Styx durch Max Hopp, der schon in Salzburg gefeiert wurde und nun auch an der Komischen Oper für seine singuläre Interpretation Jubelstürme empfängt. In der Produktion wird im französischen Original gesungen, die Dialoge werden dagegen auf Deutsch gesprochen. Und die aller Figuren übernimmt Hopp mit vielfach verstellter Stimme und produziert darüber hinaus noch ein ganzes Vokabular von Geräuschen – ein Auftritt von unnachahmlicher Brillanz. Und der Sängerdarsteller schlägt sich auch achtbar mit dem Vortrag des Couplets „Als ich einst Prinz war von Arkadien“. Eine Überraschung ist die Besetzung der Öffentlichen Meinung mit dem Counter Hagen Matzeit, der den prominenten Star Anne Sofie von Otter, die in Salzburg nicht reüssieren konnte, mühelos übertrifft. Im langen schwarzen Kostüm und mit weißer Perücke erscheint er wie eine strenge Gouvernante, spricht den Prolog in idiomatischem Russisch (was Styx ins Deutsche übersetzt) und singt später mit substanzreicher, auch in der hohen Lage souveräner Stimme.

Im 2. Akt sieht man einen geflügelten Teufel auf dem Rad in der Luft reiten und wartet auf den Auftritt von Jupiter in Gestalt einer Fliege. Sein golden schimmernder, heraus hängender und ziemlich kümmerlicher Penis macht ihn zu einer lächerlichen Figur. Pluto erscheint im Silberfummel und bestätigt seine erotische Ambivalenz. Und dann gibt es noch den berühmten Cancan, wo die Röcke der Tänzer und Tänzerinnen mit überdimensionalen Geschlechtsteilen verziert sind – eine der geschmacklichen Entgleisungen der Aufführung. Auch Eurydike trägt nun einen Penis und wird sich künftig ihrem neuen Leben als Bacchantin widmen.

Das Orchester der Komischen Oper Berlin animiert Adrien Peruchon zu einem Spiel mit Schmiss und Avec, gemeinsam mit allen Mitwirkenden wird der Dirigent am Ende lautstark akklamiert.

Bernd Hoppe, 10.12.2021