Üblicherweise erfolgt in Theater und Konzert im Handyzeitalter stets eine Ansage für Vollidioten. Tenor: Man möge bitte das Handy ausschalten! Mir fehlt – wenn schon überflüssig, denn meistens klingelt es doch irgendwo – dann wenigstens noch der Hinweis auf leises Husten bzw. die Einnahme von Hustenbonbons (die es übrigens in der Kölner Philharmonie nebst Taschentuch früher gratis gab). Oder: „Bitte nicht reden oder mitsingen und auch nicht mitdirigieren!“ – „Öffnen Sie die Bonbons bitte in der Tasche“ bzw. „Geben Sie ihrem Kleinkind einen Schnuller, und – wenn antiautoritär erzogen – fesseln und knebeln Sie den Balg für zwei Stunden!“ Bereitstellung entsprechender Kinderhandschellen und Riesenlutscher, die man einmal im Mund angeleckt nicht mehr rausziehen kann, sind selbstverständlich beim Programmverkauf und den Schliessern erhältlich.
Nun gibt es was Neues: Handys rausnehmen zur Abstimmung. Bis es so weit ist, kann man dann ja noch YouTube Filmchen gucken, Whats-appen, Musikhören oder E-Mails schicken. Sie glauben das nicht? Nein, es ist nicht der 1. April in Darmstadt, sondern der 29. Februar. Otello, Oper von Giuseppe Verdi. Arrigo Boito (Libretto) und William Shakespeare (Vorlage) traut Regisseur Paul-Georg Dittrich und sein Team nicht mehr.
Nach dem ersten Akt gibt es eine Computerabstimmung per Smartphone: Das Publikum wird aufgefordert abzustimmen, ob man mit der besetzten Insel „ein Exempel statuieren“ oder „diplomatische Beziehungen aufnehmen“ solle. Nach einigem Murren entschieden sich 71% des Publikums für diplomatische Beziehungen oder gingen nach Hause. „Wegbomben!“ rief ein älterer Herr.
Donnerwetter, was für ein Coup! Ich denke, so lösen wir endlich das Problem des Aussterbens von Publikum in der Oper – immerhin liegt der Altersschnitt bei Premieren jenseits von 66. Natürlich – so wird Dittrich gedacht haben – bringen wir mit dem Handy-Trick endlich junge Leute in die Oper. Wow! Hammer! Das Ei des Kolumbus wurde endlich entdeckt. Cool! Geile Sause…
Ich bin als jung gebliebener „alter weißer Mann“ sofort dabei. Bietet dies doch endlich die Chance, so unsinnige wie blöde Libretti zu korrigieren. Natürlich denke ich sofort an den Troubadour. Soll die Zigeunerin nun das Kind ins Feuer werfen oder nicht? Ist die wirklich so blöd? Pause, bitte stimmen Sie jetzt für ja oder nein!
Soll Hagen dem netten Helden Siegfried in der Götterdämmerung den Speer gemein von hinten in den Rücken stoßen? Oder sollen sie lieber gemütlich einen saufen? Wird Aida doch noch gerettet in letzter Sekunde? Überlegt es sich Cio Cio San (Madama Butterfly) doch noch, damit ihr Söhnchen nicht mutterlos aufwächst? Soll Rigoletto den Grafen leben lassen? Beim Fliegenden Holländer bieten sich ohnehin zwei Möglichkeiten. Das Ende von Schwanensee ist auch nicht alternativlos. Aber da darf der kluge Regisseur vorher allein abstimmen. Wenn Sie, liebe Leser, auch Ideen haben, dann schicken Sie diese mir für einen zweiten „Kontrapunkt“.
Es grüßt Ihr Herausgeber