Kontrapunkt: „Warum eigentlich nicht’?“

Warum, bitte, darf ein Mann wie Jonas Kaufmann, der weiß, wovon er spricht, eigentlich nicht offen sagen, dass er sich in Inszenierungen von Lotte de Beer und Romeo Castellucci nicht wohl fühlt? Ist das ein Kapitalverbrechen, einfach seine ehrliche Meinung auszusprechen? Muss man dafür verspottet, mehr noch, geradezu verfolgt werden, und wenn sich die Beschimpfungen hochschaukeln, ist man am Ende noch ein Nazi, egal, worum es geht, das ist schließlich die Ultima Ratio der links-woken Argumentation…

Nun haben wir in Wien genug von Lotte de Beer gesehen, das uns nicht vor Begeisterung aus den Volksopern-Sesseln gehoben hat. Dabei hat sie hier noch nie Ähnliches gezeigt wie ihre Pariser „Aida“, deren Opfer u.a. Kaufmann als Radames war. Und die Arbeiten von Romeo Castellucci, dessen seltsamen „Tannhäuser“ Kaufmann bei den Osterfestspielen verkörpern musste, kann nur die verbogenste Kritik (und die ist im Feuilleton leider weit verbreitet) schönschreiben.

Und wenn da einer nein sagt, der es sich jetzt leisten kann? Denn die Sänger wagen es im Allgemeinen nicht, diesbezüglich den Mund aufzumachen. Selbst der große Johan Botha meinte einmal zu mir, als ich ihn nach Inszenierungen fragte: Reden wir nicht darüber, sonst werde ich nicht mehr engagiert. Botha! Zu seiner Zeit einer der Größten! Und Linda Watson hat es unendlich bereut, sich gegen eine „Ring“-Version von Achim Freyer kritisch geäußert zu haben. „Das ist mir gar nicht gut bekommen“, meinte sie. „Reden wir nicht darüber.“

Reden wir doch darüber. Warum ist es in unseren Zeiten, wo ununterbrochen über die „Gefährdung der Demokratie“ geschrien wird, eine Demokratie, die wir längst nicht mehr haben, weil Meinungs- und Redefreiheit abgeschafft sind, warum ist es nicht möglich, eine alternative Ansicht zu äußern? Warum darf man eine Entwicklung nicht für eine Fehlentwicklung halten und entsprechend reagieren?

Nun, Jonas Kaufmann hat nun die Möglichkeit, er kann vermutlich (in Haselsteiner-Grenzen) in Erl tun, was er für richtig hält, ohne dass ihm jemand dreinredet. Vielleicht ist die große Liebe zu Bachler und den Osterfestspielen auch deshalb zu Ende gegangen, weil die schönsten Rollen keine sind, wenn man sie in „solchen“ Inszenierungen singen muss?

Freilich, die oftmals geäußerte Vermutung, Kaufmann sitze in Erl zur Wacht und warte auf die Intendanz in seiner Heimatstadt München, das wird wohl nicht mehr funktionieren. Dort herrscht immer noch der Bachler-Geist. Und der ist zerstörerisch.

Die Diskussion um Kaufmann mutige Aussagen (andere mögen sie naiv nennen und an Si tacuisses, philosophus mansisses gemahnen) hat noch zwei Nebenaspekte. Bayreuth-Bashing? Nein, fürchten wird man sich dort vor Erl nicht. Man hat genug eigene Probleme. Denn seien wir ehrlich, seit Katharina Wagner nimmt man Bayreuth nicht mehr wirklich ernst. Es gab den einen oder anderen sinnvoll erscheinenden Vorstoß – Herheims Parsifal, Koskys Meistersinger versuchten in Grenzen gelungen Wagner Werk und Wagner Biografie zu verschmelzen, Wagner für Fortgeschrittene, aber kenntlich. Der Rest ist eigentlich nur Allerwelts-Regietheater, das man überall sieht und das keinen mehr interessiert.

Ja, und der andere Aspekt: Den guten Heinz Sichrovsky wird nicht freuen, sich als „erzkonservativen Kultur-Opi“ bezeichnet zu sehen, auch wenn er mittlerweile 70 ist. Er fühlt sich doch als der aktive, agile Kulturmacher Wiens, und vermutlich haben seine steten Sticheleien gegen Martin Kusej, der so gar nicht freundlich zu ihm war, dazu beigetragen, dass die rote Kultur diesen nach fünf Jahren entfernt hat. Dagegen ist er vielleicht auch dafür verantwortlich, dass Bogdan Roscic nicht auch entsorgt, sondern verlängert wurde, damit er noch mehr Zeit hat, das Wiener Repertoire zu ruinieren („Fidelio“ mit Habjan-Klappmaul-Puppen, da wird mir jetzt schon schlecht). Aber man muss Heinz zugestehen, dass er sich in „News“ für Peymann und Jelinek, Handke und Turrini eingesetzt hat, als diese noch durchaus umstritten waren. Und über den „Don Carlo“ hat er, Roscic-getreu, kein böses Wort verloren. Wenn das nicht antikonservativ ist!

Egal. Reden wir darüber, was man noch sagen darf. Aber was soll’s, in unserer Zeit halten sich Schlagzeilen nie länger als drei Tage. Also kann man sagen, was man will, es wird ohnedies im Sog von News, Sozialen Medien, Fake News, neuen Schlagzeilen untergehen…

Renate Wagner, 13. Juli 2025