Graz: Herscher mit Leier und Schwert

17. 7. 2018: Hochzeitsfest in Eggenberg, 18. 7. 2018: Haydn Imperial

Zwei prächtige Veranstaltungen für einen Kaiser und seine Enkelin

Der Habsburger Leopold I war fast 50 Jahre (von 1658 bis 1705) Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Wegen der zentralen Rolle der Türkenkriege – die erfolgreich abgewehrte Belagerung von Wien im Jahre 1683 fiel in seine Regierungszeit – erhielt Kaiser Leopold den Beinamen „Türkenpoldl“. Für ihn passt also besonders gut der Mythos als Herrscher „mit Leier und Schwert“ – ein Mythos, der schon seit der Frühneuzeit Gegenstand habsburgischer Staatspropaganda war. Denn Leopold war auch ein begabter Komponist und Musikliebhaber, der mehrere Instrumente spielte und sein Kammerorchester selbst dirigierte. Er hinterließ über 230 Kompositionen verschiedener Art, von kleineren geistlichen Kompositionen und Oratorien über Ballette bis hin zu deutschen Singspielen.

Und um diesen Leopold ging es diesmal – die styriarte gedachte seiner zweiten Hochzeit, die er 1673 in Graz gefeiert hatte, und lud zu einem barocken Fest ins prachtvolle Schloss Eggenberg ein.

Für derartige Feste hat die styriarte in den letzten Jahren eine bewährte Dramaturgie und ein ausgeklügeltes Konzept entwickelt, das die rund 600 Festgäste aufgeteilt in 8 Gruppen so geschickt durch das Programm lotst, dass alle die vielfältigen Programmpunkte erleben können, ohne dass dadurch die anderen Gruppen beeinträchtigt sind. Konzeption und Regie stammen vom unermüdlichen Thomas Höft, der als Haushofmeister launig durch das Programm führt. An der musikalischen Konzeption ist maßgeblich Michael Hell beteiligt, der gemeinsam mit Lucia Froihofer die Neue-Hofkapelle-Graz auf Originalinstrumenten leitet, die alle musikalischen Programmpunkte kompetent bestritt und die Gesangssolisten aufmerksam begleitete. Ergänzt wurde das musikalische Programm durch „Die geheimen Berichte des Giovanni Chiarommani“, der als Spitzel (ja – den gabs wirklich – bei Interesse findet man hier Näheres) nach Florenz über die kaiserlichen Hochzeitsfeierlichkeiten aus Graz berichtete – virtuos vorgetragen durch den jungen Schauspieler Christoph Steiner, der die einzelnen Gästegruppen in und um das Schloss führte.

Musikalisch gab es zwei Schwerpunkte: im prächtigen Planetensaal des Schlosses wurden Ausschnitte aus dem für diese Hochzeit geschriebenen Auftragswerk von Antonio Draghi Gli’Incantesimi disciolti – Aufgelöste Zaubereien – gespielt. (Übrigens: die gesamte rekonstruierte Oper konnte man schon einmal in Graz anlässlich des Kulturhauptstadtjahres 2003 in einer Aufführung der Kunstuniversität Graz erleben.)

Eine stilistisch versierte und spielfreudige Solistengruppe stand zur Verfügung: die Sopranistin Julla von Landsberg, die beiden Tenöre Benedikt Kristjánnsson und Mario Lesiak sowie der Bassist Thomas Stimmel.

Der zweite musikalische Schwerpunkt waren die beiden Arien, die aus der Hand des Kaisers selbst stammen und in der Rokoko-Schlosskapelle vorgetragen wurden – als ich mit meiner Gruppe zu diesem Programmpunkt in die Kapelle kam, war es schon ganz finster und der Raum nur durch 8 Altarkerzen (und durch die Beleuchtung des Orgelnotenpults) erhellt. Die Sopranistin Theresa Dlohy sang in dieser geheimnisvoll-mystischen Stimmung zunächst die zwei Strophen der kaiserlichen Aria Das menschliche Leben ist nichts als Streit mit klarer Stimme und guter Textartikulation, die dann in der italienischen Aria Dio, ch’ai l’ali ein wenig fehlte. Kompetenter Begleiter an der aus 1759 stammenden Orgel war Dmitry Bondarenko, der die beiden kaiserlichen Arien stilgerecht mit Stücken von Johann Caspar Kerll und Alessandro Poglietti ergänzte.

Das war ein höchst stimmungsvoller kammermusikalischer Abschluss eines (vier Stunden langen!) abwechslungsreichen Festes, bevor sich dann alle Musiker- und Gästegruppen im Schlosshof zum prächtigen Finale vereinten. Wie im Vorjahr erklang auch diesmal der Chor aus Cestis Il pomo d’oro mit dem Lobpreis auf den Habsburger: Freut euch, dass das Schicksal uns unter den Schutz eines so erhabenen Geschlechts gestellt hat. Das Publikum in der ausverkauften Veranstaltung war begeistert – eigentlich wie immer bei derartigen Festen.

Und eine ganz berühmte Repräsentantin des erhabenen Geschlechts der Habsburger stand im Mittelpunkt des Konzerts am Tage darauf – die Enkelin von Kaiser Leopold I: Maria Theresia.

Auch auf sie passt das Wort Mit Leier und Schwert. Sie musste den Erbfolgekrieg und den Siebenjährigen Krieg bestehen. Sie erreichte die die Wahl und Krönung ihres Gatten Franz Stephan zum römisch-deutschen Kaiser. Wie jede Gattin eines Kaisers wurde sie, obwohl nicht selbst gekrönt, als Kaiserin tituliert. Und eben diese Maria Theresia hat regiert, aber auch selbst musiziert. Ihre Musiklehrer waren neben anderen immerhin Johann Adolf Hasse und Gottlieb Muffat.

Haydn Imperial

Unter diesem Titel beschloss am 18. Juli 2018 der Concentus-Musicus-Wien seine Saison mit einem Haydn-Programm in der Helmut-List-Halle bei der Styriarte.

Im Programmheft für dieses Konzert liest man in einem Zitat aus dem Jahre 1812 über die besondere Beziehung von Joseph Haydn zu seiner Kaiserin Maria Theresia:

„Andere feurige und erhabene Sinfonien wurden für die Geburts-und Namenstage seiner fürstlichen Gönner geschrieben oder für andere festliche Gelegenheiten des Hauses Esterházy. Maria Theresia beehrte den Fürsten Nikolaus einige Male mit ihrer kaiserlichen Gegenwart, indem sie sich auf sein Schloss begab. Bei solcher Gelegenheit ließ es Haydn niemals an einer neuen Sinfonie fehlen, um Teil des Unterhaltungsprogramms zu Ehren seiner angebeteten Herrscherin zu sein.“

Nun – der direkte Bezug des gewählten Haydn-Programms zu Maria Theresia ist vielleicht etwas weit hergeholt – aber unbestritten war es ein wahrhaft imperiales Konzert! Nach dem barocken Programm des Hochzeitsfestes war man nun auch musikalisch zwei Generationen weiter – bei der Wiener Klassik Joseph Haydns. Mittelpunkt des Konzertes war die Sinfonia concertante in B, die Haydn 1795 in London komponiert hatte – als einzige(!) Sinfonia concertante unter seinen 107 Sinfonien.

In diesem Werk ist ein Streicherduo (Violine und Violoncello) einem Bläserduo (Oboe und Fagott) und dem Orchester gegenübergestellt. Die Solisten sind Meister ihres Fachs – allesamt aus dem durch lange Tradition gewachsenen „Humus“ des Concentus: Erich Höbarth (Violine), Christophe Coin (Violoncello), Hans-Peter Westermann (Oboe) und Alberto Grazzi (Fagott). Da kann man keinen hervorheben – die vier musizierten gemeinsam auf höchstem partnerschaftlichem Niveau. Das restliche Ensemble begleitete unter der aufmerksam-straffen Koordination des Dirigenten Stefan Gottfried ebenso meisterhaft.

Vor der Sinfonia Concertante erklang Haydns Sinfonie Nr. 53 in D mit dem Beinamen L’Impériale und zum Abschluss die Sinfonie Nr. 48 in C, die erst nach Haydns Tod den Beinamen Maria Theresia erhielt.

Zwei Gedanken sind mir an diesem Abend bei der großartigen Wiedergabe durch den Concentus Musicus Wien durch den Kopf gegangen:

Zunächst kann ich nur das wiederholen, was ich vor schon vor einiger Zeit einmal geschrieben hatte: Ich musste an diesem Abend neuerlich an den englischen Biologen Rupert Sheldrake denken, der die Theorie der morphischen Felder vertritt – und der sich in diesem Zusammenhang mit der Steigerung des menschlichen Leistungsvermögens im Laufe der Zeit beschäftigt. Der Concentus ist ein durch Jahrzehnte gewachsener und sich entwickelnder Organismus, der gleichsam ein kollektives Gedächtnis hat. Dadurch hat sich die technische Beherrschung der alten Instrumente in diesen Jahrzehnten überdurchschnittlich gesteigert. Vereinfacht gesagt: Die neueintretenden Ensemblemitglieder profitierten von dem technischen Können, das ihre Vorgänger erarbeitet hatten und steigern dies weiter. Wer sich für meine naturwissenschaftliche Assoziation interessiert, kann hier nachlesen, wie dies Sheldrake erklärt.

Und der zweite Gedanke, der mich an diesem Abend beschäftigte, ist der der Weiterentwicklung von der Großeltern- zur Enkelgeneration. Um im Bild dieses Berichts über zwei ganz unterschiedliche und doch zusammengehörende Veranstaltungen zu bleiben:

So wie Maria Theresia als Enkelin des Kaisers Leopold I die habsburgische Tradition mit Leier und Schwert weiterentwickelte – und so wie Joseph Haydn auf den barocken Meistern aufbauen konnte, so trägt auch die Enkelgeneration des vor 65 Jahren von Nikolaus Harnoncourt gegründeten Concentus Musicus Wien – ganz im Sinne des Gustav-Mahler-Wortes Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche – das Feuer seines Gründers überzeugend und mit merklichem persönlichem Engagement jedes einzelne Mitglieds weiter. Hatte das Ensemble bei seiner Gründung mit Monteverdi begonnen, so hatte sich das Repertoire unter Nikolaus Harnoncourt bis zu Haydn, Mozart und Beethoven geweitet.

Diesmal erlebte man in Graz Joseph Haydn – überzeugender kann man dessen Werke derzeit wohl nicht interpretieren. Das Publikum war begeistert – und so erklang als Zugabe dieses bejubelten Konzertes nochmals der dritte Satz der Sinfonie „Maria Theresia“ – es war ein großer Abend der diesjährigen Styriarte!

Hermann Becke, 18. 7. 2018

Fotos (soweit nicht anders gekennzeichnet):

Styriarte © Werner Kmetitsch

Hinweis:

Das Haydn-Konzert kann am 9. August im Radio auf Ö1 nachgehört werden – nähere Informationen hier