Graz: Tristan – 2. Akt konzertant – Schubert gegenübergestellt

Stefaniensaal, 7.Juli 2013

Die Dramaturgie der Styriarte-Festspiele schafft es immer wieder, interessante Zusammenhänge und Gegenüberstellungen offenzulegen. Das Generalthema des heurigen Jahres – „Gefährliche Liebschaften“ – wird in ungeheurer Programmvielfalt von vielen Seiten beleuchtet. So erlebte man vor wenigen Tagen in der List-Halle den französischen Meisterpianisten Pierre-Laurent Aimard gemeinsam mit einem Spezialisten der Live-Elektronik Marco Stroppa und dem phänomenalen Perkussionisten Samuel Favre mit Musik des 20.Jahrhunderts (etwas mühsam-gewollt der Bezug „Gefährliche Liebschaften = Klavier/Schlagzeug“), dann folgte in einem wunderbar geschlossenen Abend etwas ganz anderes, nämlich Ausschnitte aus dem Musical „Cabaret“ verbunden mit Lesungen aus dem zugrunde liegenden Roman der „Goldenen Zwanziger“ in Berlin und nun also im konventionellen Konzertsaal Romantik – wie folgt vom Veranstalter angekündigt:

Richard Wagner blieb es vorbehalten, den romantischen Traum von einer Liebe ohne Schranken in die maßlosesten, berauschendsten Töne zu übersetzen. „Tristan und Isolde“ ist das Hohelied einer Leidenschaft, die alle Grenzen sprengt. Wenn Michael Hofstetter bei der styriarte Wagners Konzertfassung des zweiten Aktes dirigiert, lässt er das Liebesleuchten im Orchester in hundert Farben schillern. Drei Solisten mit lyrischen Stimmen sind die Protagonisten, Schuberts „Unvollendete“ dient als träumerischer Prolog – ein Wagnerabend aus dem Herzen der Romantik.‘

In Graz besteht seit dem Jahre 2002 neben dem Grazer Philharmonischen Orchester ein zweites Orchester, das neben seinen eigenen Konzertzyklen bald österreichweit und auch international gastierte und sich inzwischen zu einem Ensemble auf hohem Niveau entwickelt hat. Dieses Orchester trägt den Namen recreation Der Name des Orchesters leitet sich aus einem Zitat Johann Sebastian Bachs ab: „Es ist“, schreibt Bach, der Musik „Finis und Endursache anders nicht, als nur zu Gottes Ehre und Recreation des Gemüths“. Seit 2012/13 ist nun Michael Hofstetter Chefdirigent dieses Orchesters und seither gibt es auch eine neu gegründete Originalklangformation, nämlich recreationBAROCK, worüber demnächst zu berichten sein wird. Den Schubert/Wagner-Abend bestritt das Orchester allerdings in großer Besetzung – daher der offizielle Titel des Orchesters „ recreation • GROSSES ORCHESTER GRAZ.“

Diese Einleitung ist nicht nur für jene Opernfreunde von Interesse, die die Grazer Situation nicht so gut kennen, sondern auch deshalb, weil der Dirigent Michael Hofstetter ja als ein gefragter Dirigent mit internationalem Ruf als Experte für authentische Aufführungspraxis und als Barockspezialist gilt. Im Sommer 2012 hatte er zum Ende seiner Tätigkeit als Chefdirigent der Ludwigsburger Schlossfestspiele weithin beachteten Wagner „im Originalklang“ präsentiert, nämlich den 2.Akt Tristan! – man ging also erwartungsvoll in den Styriarte-Abend.

Und es begann mit Schuberts Unvollendeter, mit der Graz durch die späte Auffindung bei Anselm Hüttenbrenner historisch verbunden ist – und dies gar nicht so „träumerisch“ wie angekündigt. Das recreation-Orchester spielte in großer Streicherbesetzung. Man weiß, dass die durchschnittliche Größe der Streicher-Apparate in Wiener Orchestern um 1820 bei etwa 30 Musikern lag – an diesem Abend waren es etwa doppelt so viele. Das mag ganz pragmatische Gründe haben – die Größe des Saals und der Wagner nach der Pause werden wohl die Begründung sein. Hofstetter sorgte für eine plastische und rhetorisch aktive Wiedergabe des 1.Satzes – die Betonung lag eher auf Allegro als auf moderato, man registrierte erfreut eine nie nachlassende Spannung, erfüllte (und Gott sei Dank nicht durchmetrisierte) Generalpausen und schöne Holzbläserphrasen. Nach diesem ersten Satz wurde das Licht auf dem Podium abgedunkelt und der hinter dem Orchester an einem Tisch sitzende Schauspieler Johannes Silberschneider las in sachlich-unpathetischem Ton jenen Text von Franz Schubert, den er 1822 geschrieben hatte und den schon Robert Schumann (mit dem von Schuberts Bruder beigefügten Titel „Mein Traum“) publiziert hatte. Es gibt viele Spekulationen über die Bedeutung dieses Textes und den Bezug zur gleichzeitig entstandenen Unvollendeten – das Programmheft dokumentiert die wichtigsten Aussagen dazu.

Ich meine, es war eine schöne und das Hörerlebnis erweiternde Idee, den Text lesen zu lassen (wenn auch die Aussteuerung des Mikrophons diskreter hätte sein können).

Jedenfalls hörte man in den unmittelbar nach der Lesung einsetzenden Einleitungstakten der Hörner und Fagotte über den ruhig absteigenden pizzicati der Bässe erstmals friedvoll-träumerische Stimmung. Schubert schreibt in seinem Text: „Wollt ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz. Und wollte ich wieder Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe“. Hofstetter betonte in seiner Interpretation das Aktiv-Schmerzhafte – das Lyrisch-Träumerische vermisste man ein wenig. Aber durch dieses aktive Zupacken entschuldigte man leichter kleinere (Horn)Pannen und rhythmische Ungenauigkeiten…

Nach der Pause folgte der zweite Akt von Wagners „Tristan und Isolde“ – allerdings nur bis zum Ende des Liebesduetts. Im Programmheft ist zu lesen: „Nicht nur Schuberts ‚Unvollendete‘ , sondern auch Wagners ‚Tristan und ‚Isolde‘ bleibt in unserem Konzert Fragment.“ Hofstetters ursprüngliches Konzept schien mir hier gehörig ins Wanken geraten zu sein. Man kann nachlesen und nachhören, was Hofstetter zu seiner Tristan-Interpretation vor einem Jahr bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen gesagt hat (siehe dazu die links am Ende dieses Berichts). Hier in Graz ist sein Ansatz wohl nicht aufgegangen. Es hieß in Stuutgart über Hofstetter: „Entschlackt von den großen Gesten, interessieren ihn die lyrischen Facetten, das intime Kammerspiel von Wagners opulenter Partitur. Entsprechend hat der Chefdirigent auch seine Solisten ausgewählt.“ Und auch in Graz waren „Solisten mit lyrischen Stimmen“ angekündigt. Aber es kam anders – und das kann natürlich immer geschehen. Zwei Tage vor der Grazer Aufführung musste Styriarte ankündigen: „ Leider musste Christiane Iven krankheitsbedingt ihre Mitwirkung bei diesem Konzert absagen. Unser Dank gilt Ruth Staffa, die sich bereit erklärte, äußerst kurzfristig einzuspringen und die Partie der Isolde zu übernehmen.“ Ruth Staffa ist in Graz keine Unbekannte, war sie doch im Jahre 2000 im letzten Grazer „Ring“ die Sieglinde. Inzwischen hat sie sich das hochdramatische Fach erarbeitet – zuletzt sang sie in Mainz die Isolde. Man muss dankbar sein, dass in ganz kurzer Zeit eine studierte Isolde gefunden werden konnte. Aber zweifellos hat Ruth Staffa mit ihrer traditionsorientierten Interpretation das ursprüngliche Konzept maßgeblich beeinflusst – das ist keine lyrische, sondern eine hochdramatische Stimme alten Stils. Ihre Spitzentöne und ihre Kraft beeindrucken, die (vibratoreichen) Pianophrasen enttäuschen leider. Außerdem hat die seitliche Aufstellung der Solisten offensichtlich die Kommunikation mit dem Dirigenten merklich beeinträchtigt. Und man hatte auch den Eindruck, dass der Dirigent primär damit beschäftigt war, das (nicht Wagner-erfahrene) Orchester „zusammenzuhalten“. So entstand leider ein nicht sehr differenzierter und allzu massiver Orchesterklang und man erlebte so gar nicht das, was die Stuttgarter Nachrichten im Vorjahr lobten: Hofstetter, der sich besonders durch Interpretationen barocker Werke in historischer Aufführungspraxis weit über Ludwigsburg hinaus einen Namen gemacht hat, verleiht der Oper, dieser »einen einzigen Liebesszene« (Wagner), eine unbekannte Leichtigkeit und vermag es dabei, der Partitur feinste Nuancen und Gefühlsregungen zu entlocken.“ Das erlebte man in Graz nicht – schade.

Sehr Erfreuliches ist allerdings über Brangäne und Tristan zu berichten:

Bea Robein präsentierte sich mit sehr schön gefärbtem, in allen Lagen ausgeglichenem Mezzo und mit klarer Artikulation durchaus eindrucksvoll – sowohl zunächst vor dem Orchester als auch beim Wachruf dahinter postiert. Und der in Graz wohl bekannte und geschätzte Herbert Lippert vermittelte einen lyrischen Tristan, der sich auch in den dramatischen Ausbrüchen nicht verleiten ließ zu forcieren. Durch plastische Artikulation gelang es ihm, nie sein spezifisch-klares Timbre zu verlieren und immer präsent zu bleiben.

Zusammenfassung:

Ein interessant zusammengestelltes Programm mit zwei im Jahre 1865 uraufgeführten Werken – Schubert als Wendepunkt von der klassischen Sinfonik zur Romantik und Wagner als Ausgangspunkt aller modernen Musik. Und um zur eingangs zitierten Dramaturgie der diesjährigen Styriarte zurückzukommen: durch Gegenüberstellung gewinnt man neue Einsichten, vor allem wenn man in diesem Fall noch mitbedenkt, dass 1865 auch das Jahr vor der Uraufführung des Ritter Blaubart von Offenbach war, des zentralen Werks der Styriarte 2013. Welcher Reichtum: Schubert –Offenbach – Wagner!

Hermann Becke

Und hier die versprochenen Links:

– Michael Hofstetter im Vorjahr auf youtube zu Tristan und Isolde bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen (im Gespräch und mit Musikbeispielen):

– Michael Hofstetter im Zeitungsinterview: http://www.lkz.de/home_artikel,-Wagner-im-Originalklang-beim-Schlusskonzert-_arid,72777.html

– Herbert Lippert : http://www.herbertlippert.com/

– Bea Robein: http://www.bearobein.com/?lang=de