Graz: „Una notte veneziana“

8.7. 2020 , Helmut List Halle

Casanova, Vivaldi und venezianischer Belcanto – Ein Programm als Gesamtkunstwerk!

Innerhalb des überaus vielfältigen styriarte-Programms hatte es seit 2012 durch viele Jahre eine eigene Programmschiene gegeben: die „SOAPS“. Der Mix aus Musik, Aktion und Texten sei ein neues Konzerterlebnis, wobei das Ganze mehr ist als die Summe der einzelnen Elemente – so formulierte es damals Intendant Mathis Huber. Den Titel SOAP gibt es inzwischen nicht mehr, allerdings hat die styriarte diese damalige Programmidee geschickt aufgegriffen und zu einem in seiner Komprimiertheit speziell in Post-Corona-Zeiten idealen, einem Gesamtkunstwerk nahekommendem Format weiterentwickelt.

Diesmal war der Mittelpunkt Casanova – virtuos verkörpert durch eine Frau: die international renommierte Schauspielerin Chris Pichler!

Bevor man noch den Saal betrat, hatte der Abend allerdings schon mit einem heiter-geistvollen Vorspiel im Foyer unter dem Titel Eine Nacht vor Venedig begonnen. Das Publikum war zu einem Glas Wein eingeladen und ein bestens disponiertes und spielfreudiges junges Sänger-Trio präsentierte – von einem Akkordeon begleitet -Ausschnitte aus Eine Nacht in Venedig von Johann Strauß: zunächst das eigentlich als Quartett gedachte Alles maskiert, alles maskiert – besonders reizvoll neben den großen Warntafeln Maskenpflicht bis zum Sitzplatz!

Dann gab es noch den Tenor-Schlager Komm in die Gondel und die Barkarole aus Hoffmanns Erzählungen, bei der das Publikum ausdrücklich eingeladen war mit zu summen – eine Einladung, die deutlich vernehmbar angenommen wurde. Beschwingt betrat man nach diesem Vorspiel den Saal, der zwar über 1000 Sitzplätzen Raum bietet, aber Corona-bedingt sehr geschickt so arrangiert war, dass er nicht leer wirkte, obwohl nur die derzeit zugelassenen 250 Plätze aufgebaut waren. Für gebührenden Abstand und Sitzkomfort war gesorgt.

Chris Pichler als Casanova begrüßte das Publikum.

Chris Pichler las nicht nur ungeheuer plastisch aus Casanovas Erinnerungen, sondern moderierte auch sehr charmant das gesamte musikalische Programm. Dadurch wurde dem Publikum sehr schön das Musik- und Gesellschaftsleben des 18.Jahrhunderts in Venedig präsent. Köstlich, wie es Chris Pichler gelingt, sich einerseits viril-breitbeinig auf die Chaiselongue zu lümmeln, über die luststeigernde Eigenschaften von hartgekochten Eiern, Austern und Champagner zu plaudern und andererseits die geheimnisvolle Nonne M.M. zu verkörpern, der Casanova zwei Kapitel in seinen 1800 Seiten umfassenden Erinnerungen gewidmet hatte. Welch‘ reizvolle Idee, diesmal Casanova durch eine Frau darstellen zu lassen! Dem Styriarte-Dramaturgen Josef Beheimb ist sehr für seine Moderationstexte zu danken und es lohnt sich unbedingt, das von ihm redigierte Programmheft zu lesen. Es ist im vollen Umfang hier verfügbar.

Den ersten musikalischen Programmteil mit dem Titel Concerto da Camera bestritt die Palais Attems.Hofkapelle, über die in der ursprünglichen Styriarte-Ankündigung zu lesen war:

Für eine intensive Bespielung der Heimstatt der styriarte, das prachtvolle barocke Palais Attems, hat Intendant Mathis Huber heuer mit der Palais Attems.Hofkapelle ein neues „Orchester“ gegründet. In diesem Ensemble werden sich die Alte-Musik-Spezialisten des Landes mit internationalen Größen vereinigen.

Nun – Corona hat Konzerte im engen Stadtpalais unmöglich gemacht und man musste in die geräumige Helmut-List-Halle – aber das Programm blieb erhalten. Der musikalische Leiter Michael Hell hatte eine höchst profilierte Musikergruppe um sich versammelt – darunter die Geigerin Susanne Scholz und den Lautenisten Sören Leupold . Man erlebte Musik des Venezianers Antonio Vivaldi, den schon Casanovas Eltern geschätzt hatten und der in Wien gestorben ist. Michael Hell brillierte nicht nur als Blockflötist in einem Blockflötenkonzert und im berühmten Flötenkonzert La Notte, sondern war auch ein souveräner Continuo-Spieler am Cembalo. Für mich war allerdings die (elektronische) Klangaussteuerung nicht optimal. Michael Hell geriet mit seinem warm-weichen Flötenton gegen die robuste Bassgruppe akustisch ein wenig ins Hintertreffen. Aber dennoch – es war sehr plastisch gestaltete Vivaldi-Musik auf höchstem Niveau.

Nach den (gelesenen) Liebesnächten des Casanova folgte der abschließende Programmteil mit dem Titel Belcanto Veneziano. In dessen Mittelpunkt stand die italienische Sopranistin Adriana Ferrarese del Bene. Sie war in Venedig ausgebildet und später Mozarts Fiordiligi und die Geliebte von Lorenzo da Ponte, mit dem Casanova befreundet war. Die venezianischen Arien von Pasquale Anfossi und Ferdinando Bertoni – beide von Casanova hochgeschätzt – sang die 32-jährige „ukrainische Wahlgrazerin“ (so vom Styriarte-Intendanten benannt) Tetiana Miyus mit glaubhafter Primadonnen-Allüre. Sie hat sich seit ihrem Start im Grazer Opernstudio höchst erfreulich entwickelt und beeindruckt durch ein sehr schönes, in allen Lagen ausgeglichenes Timbre, durch absolute technische Sicherheit und sympathische Ausstrahlung. Wenn es ihr gelingt, noch vielfältigere Klangfarben zu entwickeln, dann kann man ihr eine große Karriere prophezeien. Sie wurde am Hammerflügel höchst stilgerecht von Eva Maria Pollerus begleitet.

Die beiden waren schon im Vorjahr bei der Styriarte in einem Mozart-Abend ein bezauberndes Lied-Duo. Und Mozart kam auch diesmal zu Ehren. Der Bezug ist nicht dessen Venedig-Reise im Jahre 1771, sondern eben die oben genannte italienische Operndiva. Die erste Susanna, Nancy Storace, war 1790 von der Sopranistin Ferrarese del Bene abgelöst worden. Diese forderte Ersatzstücke für die Rosenarie und Susannas Arie „Venite… inginocchiatevi“ im zweiten Akt. Mozart schrieb anstelle der letzteren Un moto di gioia, Im Programmheft liest man dazu:

Die Walzerarie „Un moto gioia“ komponierte Mozart 1790 für „Le nozze di Figaro“, als die Oper mit der neuen Primadonna wieder aufgenommen wurde. Da die Ferrarese zum Pathetischen neigte, zweifelte Mozart am Effekt der kleinen Arie, wie er seiner Frau Constanze gestand: „Das Ariettchen, so ich für die Ferrarese gemacht habe, glaub’ ich soll gefallen, wenn anders sie fähig ist, es naiv vorzutragen, woran ich aber sehr zweifle. Ihr hat es zwar sehr gefallen, ich habe dort gespeist.“ Offenbar hatte er die Arie zum Mittagessen bei Ferrarese mitgenommen und ihr Placet erhalten.

Tetiana Miyus und Eva Maria Pollerus trugen diese Ariette in aller Einfachheit und ohne pathetische Übertreibung als charmantes Schlussstückt vor, nachdem zuvor Eva Maria Pollerus in gebührendem Schwermut ein Fragment aus einer Mozart-Fantasie effektvoll gespielt hatte.

Am Ende konnte das Publikum befriedigt und mit herzlichem Beifall das eingangs zitierte Wort bestätigen:

Es war ein wunderbares Konzerterlebnis, wobei das Ganze mehr ist als die Summe der einzelnen Elemente – Gratulation allen Ausführenden und der styriarte zu einem rundum gelungenen Abend!

Hermann Becke, 9.7. 2020

Szenenfotos: Styriarte, © Nikola Milatovic

Hinweise:

Es lohnt sich, das Einführungsvideo mit Chris Pichler und Michael Hell anzuschauen – und es sei ausdrücklich auf das großzügige Streaming-Angebot der styriarte hingewiesen. Hier kann man die gesamte Veranstaltung nacherleben.

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