Dresden, Konzert: „Das Rheingold“, in historischer Aufführungspraxis

Im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele wurde am 14. Juni 2023 versucht, mit einer konzertanten Aufführung von Richard Wagners „Das Rheingold“ die historische Aufführungspraxis der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachzubilden.

Als der 30-Jährige Hofkapellmeister Richard Wagner und seiner Frau Minna in der Dresdner Ostra-Allee eine Wohnung einrichteten, gehörte zu den wenigen Stücken des Hausstandes das Titelblatt zu den Stichen des Peter von Cornelius (1783-1867) „Nibelungen“ in einem schönen Rahmen. In der Bibliothek der Wagners befand sich eine Fülle von Veröffentlichungen Deutscher Heldensagen. Als im Jahre 1844 die aus Meißen stammende Dichterin Luise Otto (1819-1895) dem von ihr verehrten Hofkapellmeister vorschlug, ihm einen Text für eine Nibelungen-Oper zu schreiben, lehnte Wagner brüsk ab: wenn er je eine Nibelungen-Oper komponieren werde, wolle er auch den Text selbst verfassen. Aber bereits im Folgejahr gab es erste Beschäftigung Wagners mit dem Nibelungenstoff. Galt das zunächst den Umständen von „Siegfrieds Tod“, so folgten bald „Der junge Siegfried“ und „Die Walküre“. Bereits in der Züricher Emigration entstand 1852 der Rheingold-Text zunächst in Prosa und dann in Form der Dichtung. Im Sommer des Jahres 1853 war der Text des „Ringes“ komplettiert und Wagner begann mit der Komposition des Rheingoldes. Zu seinem Ärger wurde das Vorspiel zum „Ring des Nibelungen“ auf Weisung des Bayerischen Königs  Ludwig II. im Jahre 1869 in München vorab uraufgeführt.

© Oliver Killig

Seit fast sechs Jahren versucht eine Gruppe um den Musikwissenschaftler Kai Hinrich Müller sich den Aufführungspraktiken der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu nähern. In einem Konzert im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele 2023 stellte Kent Nagano mit Musikern des „Dresdner Festspielorchesters“ und des „Concerto Köln“ die bisherigen Ergebnisse in Sachen „Das Rheingold“ von Richard Wagner (1813-1883) in einer konzertanten Aufführung vor.

Bedingt durch die Positionierung der Musiker auf dem Podest war der Orchesterklang gegenüber einer Anordnung im Graben direkter. Das Spiel der historischen Instrumente des 19. Jahrhunderts verfügte allerdings nicht über die Durchschlagskraft moderner Instrumente. Beim Hören der Streicher war der Unterschied der mit Darmsaiten bestückten Instrumente gegenüber den heutigen mit verdrehten Stahlbündeln- beziehungsweise mit komplexen synthetischen Kunststoffkernsaiten bespannten Klangwerkzeugen deutlich. Da fehlten einfach das Runde, Klare und die Fülle im Obertonbereich. Auch die Holzblasinstrumente verfügten nicht über die gewohnten hellen Klangcharaktere, wobei bei den Klarinetten der Unterschied größer erschien, als bei den Oboen. Die Blechblasinstrumente der Wagnerzeit schienen dagegen mit einem höheren Anteil von Obertönen aufwarten zu können. Dabei galt das Interesse besonders den Wagner-Tuben, die wir beim Spiel nicht nur hören, sondern auch sehen konnten. Eine der eingesetzten Wagnertuben stammte sogar aus dem Jahre 1884.

Letztlich war aber das Orchester des 19. Jahrhunderts durchaus mit seinem zurückhaltenden Klangbild sängerfreundlicher. Andererseits war den Orchestermusikern auf dem Podium vergönnt, die Sänger auch einmal zu hören.

Vieles, was wir glauben, anders gehört zu haben, mag subjektiv sein und wir müssen uns auch auf die Umsetzung der Forschungsergebnisse verlassen, ob wir der Orchesterpraxis der Wagner-Zeit näher gekommen sind. Auf jeden Fall waren die unterschiedlichen Höreindrücke bei dem auf 435 Hz eingestimmten Orchester interessant.

Bei der Zusammenstellung der umfangreichen Sängerriege  des Rheingoldes hatte man bewusst auf eine einseitige Konzentration auf den Einsatz von „gestandenen Wagner-Sängern“ verzichtet und Wert auf eine Mischung von Wagnererfahrung mit Sängern, die vor allem mit Mozartkompositionen oder mit Werken aus der Zeit Johann Sebastian Bachs bekannt sind, gelegt. Damit war der Abend mit einer Reihe von Rollen- sogar von „Wagnerdebüts“ gekennzeichnet.

Mit ihren gut aufeinander abgestimmten Stimmfarben intonierten die Rheintöchtern Ania Vegry, Ida Aldrian und Eva Vogel klangprächtig und textverständlich, dabei mit einer ersten Besonderheit des Gesangs der Wagnerzeit, als Frau Vogel eine Floskel ihres Textes sprach.

Der vokal standfeste Australier Derek Welton sang mit seiner tiefen, kernigen Stimme den Göttervater Wotan. Souverän, differenziert im Ausdruck: jovial herablassend gegenüber Fricka, arrogant gegenüber den Riesen und infam, wie er den Loge benutzt.

© Oliver Killig

Die Mezzosopranistin Katrin Wundsam agierte als Fricka mit ihren Einforderungen ehelicher Treue mit schöner Stimme, etwas milde. Dabei hatte sie durchaus Aggressivität zu bieten, als sie mit einem gesprochenen Satz Wotan regelrecht anging.

Eine ergreifende Charakterstudie ihrer Hilflosigkeit zeigte Nadja Mchantaf als eine hervorragend singende Freia.

Mit seiner Alberich-Interpretation sicherte der Bariton Daniel Schmutzhard ein Glanzstück ausdrucksvoller Rollengestaltung. Sowohl als verhaltensgestörter geiler Laffe beim Liebesverlust, als auch als Machthaber über das Arbeitsvolk der Nibelungen sowie mit seinem markerschütterndem Fluch, nachdem ihm der Ring entrissen worden war, bot er die Versagerfigur des Alberich stimmlich und darstellerisch auf höchstem Niveau.

Der vor Angst schlotternde Mime des aus Kärnten stammenden Tenors Thomas Ebenstein brachte mit seiner Figur Aspekte in den Ring ein, die spätere Entwicklungen wesentlich bestimmen werden.

Als einen erfrischenden Wagner-Debütanten erlebten wir den aus Luzern stammenden Mauro Peter. Unbekümmert, mit sichtlicher Spielfreude und augenzwinkerndem Humor beherrschte er das Podest, wenn er, auch mit leichtem Skrupel, Wotans Wünsche sowie dessen Anforderungen erfüllte

Das Riesenpaar, der aus Belgien stammende Tijl Faveyts als Fasold und der aus Magdeburg gekommene Tilmann Rönnebeck als Fafner, beide mit beeindruckenden Bassstimmen ausgestattet, sicherten mit Präsenz ihre Ansprüche. Fafner, grob-gieriger Machtmensch, während Fasold den in Freia vernarrten Ausgleicher zeigte.

Die Götterbrüder Dominik Köninger als Donner und Tansel Akzeybek als Froh agierten zunächst recht feige. Erst als die Situation sich entspannte, schmetterten sie ihre Beiträge stimmgewaltig und klangschön.

Gerhild Romberger konnte der Erda auch konzertant die notwendige Mystik verleihen und die notwendige Warnung artikulieren. Mit volltönendem Mezzosopran ließ die uns ausschließlich als Konzertsängerin bekannte, ihre nachdenklichen Momente in die Handlung einfließen, bevor Maestro Nagano den Einzug der Götter nach Walhall in seinem vollem Glanz entfaltete.

© Oliver Killig

Die aus guter Absicht aus anderen Genres in die Aufführung einbezogenen Sänger hatten sich um eine Integration ins Wagnerfach bemüht. Ansätze einer Wagner-Abstinenz waren eigentlich nur bei Mauro Peter zu entdecken. Nach dem Erlebnis der opulenten und letztlich modernen Aufführung ergab sich für uns die Frage, ob die Bezugnahme auf die an die Aufführungspraxis der Zeit Richard Wagners vor allem auf die instrumentale Ausstattung des Orchesters und auf die Veranstaltungen im Rahmenprogramm begrenzt geblieben ist?

Thomas Thielemann, 15. Juni 2023


Konzertsaal im Kulturpalast Dresden

14. Juni 2023

Richard Wagner: Das Rheingold – konzertant

Musikalische Leitung: Kent Nagano

Dresdner Festspielorchester

Concerto Köln