Am Abend des 27. Augusts 2023 bot der Friedrich-von-Thiersch-Saal im Kurhaus Wiesbaden eine Bühne für ein musikalisches Erlebnis, das die Grenzen zwischen Virtuosität, Emotionalität und orchestraler Brillanz verschmelzen ließ. Unter der mitreißenden Leitung von Dirigent Daniel Harding führte das Mahler Chamber Orchestra das Publikum auf eine Reise durch die Welt der Klänge. Der Pianist Daniil Trifonov, dessen Klavierspiel mit überragender Technik, subtilem Anschlag, Empfindungstiefe und außergewöhnlicher Virtuosität verzauberte, trug maßgeblich zu diesem außergewöhnlichen Abend bei.
Der Abend startete mit George Benjamins „Concerto for Orchestra“, einer zeitgenössischen Komposition, die das Orchester als facettenreichen Klangkörper in den Fokus rückte. Das Stück war als Hommage an den britischen Komponisten Oliver Knussen gedacht, erwies sich jedoch als bemerkenswert einfallslos. Trotz möglicher Anziehungskraft für Liebhaber dissonanter Klänge blieb die Komposition akustisch öde und hinterließ keinerlei melodische Einfälle. Das Fehlen jeglicher Wiedererkennbarkeit führte zu einer ausgeprägten Leere, die das Publikum eher enttäuschte als fesselte. Deutliche Erleichterung durchzog den Saal, als das Stück endlich sein Ende fand. Das Mahler Chamber Orchestra verdient jedoch Anerkennung für seine präzise Darstellung der komplexen Klangstrukturen des Werks. Die vielschichtige Klangpalette wurde gut ausgeschöpft, während die individuellen Soli der Instrumentengruppen geschickt mit dem Gesamtklang des Orchesters verschmolzen. Trotz der unzureichenden Grundlage gelang es dem Orchester, zumindest aus diesem kompositorischen Mangel das Beste herauszuholen.
Robert Schumanns „Klavierkonzert a-Moll, Op. 54“ war danach der absehbare, emotionale Höhepunkt des Abends, in dem Daniil Trifonov sein außergewöhnliches Können in drei bewegenden Sätzen unter Beweis stellte. Es ist kaum in Worte zu fassen, welch erstaunliche Brillanz und vollkommene Beherrschung des Instruments dieser geniale Pianist an den Tag legte. Seine Technik erreichte eine Perfektion, die ihm eine vollkommene Freiheit im Spiel verlieh – ein wahres Meisterstück, das ohne Zweifel im Gedächtnis haften bleibt. Hervorzuheben ist besonders Trifonovs unnachahmlich sensibler Anschlag, der jedem Ton eine tiefgreifende Emotionalität verlieh. Mit einer überlegenen Phrasierung erzählte er musikalische Geschichten, die das Publikum in ihren Bann zogen und in eine Welt aus Klangfarben und Nuancen entführten. Seine Fähigkeit, eine schier endlose Palette von Farben und Ausdrucksmöglichkeiten aus dem Klavier zu zaubern, ist schlichtweg bemerkenswert und stellt ihn zweifellos an die Spitze der pianistischen Elite. Nicht weniger beeindruckend war seine Spielfreude, die in jeder Note mitschwang und den gesamten Saal mit seiner Energie ansteckte. Der erste Satz, das Allegro affettuoso, offenbarte ein beeindruckendes Wechselspiel zwischen dem virtuosen Solisten und dem Orchester. Trifonov brillierte mit kraftvollen Akkorden und leidenschaftlichen Läufen, die das Publikum ins Staunen versetzten. Sein Spiel zeichnete sich durch eine bemerkenswerte Klarheit und eine äußerst expressive Gestaltung aus. Besonders beeindruckend war seine dynamische Kontrolle, die in der kraftvollen und majestätischen Kadenz ihren Höhepunkt erreichte. Der langsame Satz, das Intermezzo: Andantino grazioso, eröffnete dem Publikum eine Welt subtilster Empfindungen. Trifonov entlockte dem Klavier zarte und lyrische Melodien, die von den Holzbläsern des Orchesters einfühlsam aufgenommen wurden. In diesem zauberhaften Satz schuf der Pianist intime Momente, in denen die Musik zu einem ergreifenden Dialog zwischen Solist und Ensemble wurde. Seine meisterliche Finesse zeigte sich in feinen Betonungen und einer perfekten Agogik, die das Publikum in eine Welt der Emotionen eintauchen ließen.
Der abschließende Satz, das Allegro vivace, war ein wahrhaftiges Feuerwerk der Virtuosität. Trifonov beeindruckte mit atemberaubenden Läufen und brillanten Passagen, die seine überragende Technik in vollem Glanz erstrahlen ließen. Die nahtlose Verschmelzung seiner Virtuosität mit der orchestralen Begleitung war schlichtweg fesselnd. Das Mahler Chamber Orchestra unter der Leitung von Daniel Harding zeigte sich als perfekter Partner, der die rhythmische Energie und die vielschichtige Klangwelt des Werks in ihrer vollen Pracht entfaltete. Harding und das Orchester begegneten Trifonov auf Augenhöhe, wodurch eine harmonische Einheit entstand, die das Publikum zutiefst beeindruckte. Die Klarheit des Orchestersatzes und die akzentuierte Interpretation waren ein wahres Hörvergnügen. Mit einer wohlverdienten und wunderschönen Zugabe wurde das Applaus-freundliche Publikum belohnt wurde.
Ein weiteres beeindruckendes Erlebnis bot sich den Zuhörern beim abschließenden Stück des Konzerts: Johannes Brahms‘ „Sinfonie Nr. 3 F-Dur, Op. 90“. Diese Aufführung verdeutlichte erneut die außergewöhnliche Virtuosität und Präzision dieses Ensembles. Bereits der erste Satz, gekennzeichnet durch kraftvolle Streicherpassagen und majestätische Bläserfanfaren, entfaltete sich unter Hardings Dirigat in einer eindrucksvollen dynamischen Bandbreite. Im anschließenden Andante gestalteten die Holzbläser eine schwebende Melodie von ergreifender Schönheit, wodurch die emotionale Tiefe und das zarte Ausdrucksvermögen des Orchesters in voller Pracht zur Geltung kamen. Das Poco allegretto wurde von Daniel Harding und dem Orchester mit berührender Kantabilität vorgetragen, wobei die elegische Stimmung des Satzes in jeder Note zum Ausdruck kam. Im finalen Satz kulminierte die Sinfonie in einem mitreißenden Höhepunkt. Das Mahler Chamber Orchestra demonstrierte hier seine ganze Stärke, indem es die aufsteigende Energie und die kontrastierenden Themen mit beeindruckendem Drive interpretierte, um schließlich in den leisen Schlussakkorden aufzulösen. Das Mahler Chamber Orchestra begeisterte mit einem üppigen Streicherklang von beeindruckendem Volumen und gleichzeitiger Kompaktheit. Die Holzbläser verliehen der Aufführung eine warme Farbe, während die Hörner und anderen Blechbläser mit herausragender Intonation und spielerischer Souveränität brillierten. Besondere Akzente setzte die selbstbewusst klingende Pauke. Daniel Harding erwies sich als tief verbunden mit der Musik des großen Hanseaten, und seine Interpretation verlieh der Aufführung eine mitreißende und höchst dramatische Note. Harding fühlte sich auf unnachahmliche Weise in die reichhaltige musikalische Welt von Brahms ein. Seine Interpretation des Werks offenbarte nicht nur ein tiefes Verständnis für die Komposition, sondern auch eine bemerkenswerte Sensibilität, die zu einer äußerst dramatischen und facettenreichen Darbietung führte. Die außergewöhnliche Leistung dieses Dirigenten wurde jedoch nicht allein erreicht, sondern in enger Symbiose mit einem fabelhaften Orchester, das jede Nuance der Partitur aufgriff und den hohen künstlerischen Ansprüchen in herausragender Weise gerecht wurde. Unter seiner Leitung wurde Brahms‘ Werk ungewöhnlich kurzweilig und abwechslungsreich dargeboten, was beim Publikum nachhaltigen Eindruck hinterließ und zu langem Applaus führte.
Dirk Schauß, 28. August 2023
Kurhaus Wiesbaden am 27. August 2023
George Benjamin – Concerto for Orchestra
Robert Schumann – Klavierkonzert a-Moll op. 54
Johannes Brahms – Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90
Daniil Trifonov, Klavier
Mahler Chamber Orchestra
Daniel Harding, Leitung