Premiere: 17.02.2016, besuchte Aufführung: 21.02.2016
Cileas Schmachtfetzen im BOZAR in Brüssel
Das Opernhaus in Brüssel wird gerade einer Renovierung unterzogen, weshalb der Spielplan der aktuellen Spielzeit unter dem Motto „Extra Muros“ steht und die einzelnen Produktionen an verschiedenen Ausweichspielstätten, die in der ganzen Stadt verteilt liegen, gezeigt werden – als Kölner kommt einem das bekannt vor… Für die konzertante Produktion von Francesco Cileas trotz ihres Melodienreichtums nördlich der Alpen extrem selten gezeigter Oper „Adriana Lecouvreur“ hat man sich für den imposanten Konzertsaal des BOZAR entschieden. Das BOZAR ist der „Palast der schönen Künste“ und in einem imposanten Art-Decó-Bauwerk des belgischen Jugenstil-Architekten Victor Horta untergebracht. Hier werden Konzerte, Ausstellungen, Theater, Tanz, Literatur, Konferenzen und Filmvorführungen unter einem Dach gezeigt, der große Konzertsaal „Henry Le Boeuf Hall“ mit seiner eindrucksvollen Orgel bietet rund 2.100 Zuschauern Platz.
Die Handlung der Oper orientiert sich an einer historischen Vorlage: Die französische Schauspielerin Adrienne Lecouvreur war mit Voltaire befreundet und ein Star auf den französischen Bühnen des frühen 18. Jahrhunderts. Sie lebte von 1692 bis 1730 und hatte tatsächlich eine Affäre mit Moritz von Sachsen. Auch dessen Verhältnis mit der Herzogin von Bouillon ist belegt. Nach Lecouvreurs Tod mit nur 37 Jahren erzählte man sich, sie sei vergiftet worden. Diese Gerüchte verarbeite Eugène Scribe 1849 zu einem Theaterstück, das wiederum dem Librettisten Arturo Colautti als Vorlage diente, der die Titelheldin – opernhafter geht es kaum – an einem vergifteten Veilchenstrauß sterben läßt. Francesco Cilea ersann dazu einen unvergleichlichen Melodienreigen, der allerdings bei seiner Uraufführung 1902 mit Enrico Caruso in der Rolle des Moritz von Sachsen, der in der Oper Maurizio heißt, schon nicht mehr ganz den Zeitgeschmack traf. Nichtsdestotrotz hat diese Oper eigentlich alles, was ein toller Opernabend erfordert, enthält wunderbare Arien, von denen einige immer wieder gerne bei Operngalas zum Besten gegeben werden, Duette voller Leidenschaft und Inbrunst, Ballettmusik (die glücklicherweise in Brüssel einmal nicht gestrichen wurde), zeigt spannende Dramatik und ganz viel Gefühl. Allerdings kämpft das Werk offensichtlich mit seiner abstrusen Handlung, anders ist kaum zu erklären, warum man „Adriana Lecouvreur“ nicht häufiger auf deutschen Bühnen sieht (Ausnahme in dieser Spielzeit macht das Opernhaus in Halle).
„La Monnaie“ hat hochkarätige Sänger damit beauftragt, der Schauspielerin und ihrem Maurizio, der Herzogin samt Mann und schmierigen Abt sowie dem Chef der Comédie-Française, Michonnet, der Adriana heimlich liebt, Leben einzuhauchen: Die italienische Mezzosopranistin Daniela Barcellona (Bild oben) gibt die Fürstin von Bouillon, die zwischen Verzweiflung und Rachedurst schwankt, mit vollem Mezzo, der durchaus zu Lyrischem fähig ist. Zwar scheint sie ihre Auftrittsarie „Acerba volutta, dolce tortura“ noch mit angezogener Handbremse zu singen, entfaltet aber im anschließenden Duett mit Maurizio und vor allem in der Sängerinnenschlacht mit Adriana am Ende des zweiten Aktes ihr volles Potenzial, so dass zur Pause nicht auszumachen war, welche Sängerin da die Nase vorn hat. Der Mann zwischen den Frauen, Maurizio, wird von Leonardo Caimi (Bild unten) gesungen, der dem einen oder anderen Besucher der Deutschen Oper Berlin als Don Carlos oder Alfredo in Erinnerung sein könnte und ebenda in der kommenden Spielzeit den Don José und in Leipzig den Calaf singen wird.
Der Tenor verfügt über eine dunkel, fast baritonal gefärbte Stimme und eine durchschlagende Höhe. Er singt technisch einwandfrei, ist mir allerdings vor allem im ersten Akt zu wenig lyrisch („La dolcissima effigie“ erwarte ich dann doch dolcissima gesungen). Zwar findet er berückende Töne im zweiten wie im Schlussakt, doch seiner Stimme scheint irgendwie der Glanz zu fehlen. Den hat der Sopran von Lianna Haroutounian, die die Titelrolle singt, allemal – und noch viel mehr. Die Armenierin singt an großen Häusern wie der MET oder Covent Garden, überzeugt auf ganzer Linie, zeigt Lyrik und Gefühl, Kraft und Furor und beherrscht die Rolle überdies so gut, dass sie sich kaum mit der Partitur befassen muss, sondern frei singt.
Das bietet ihr die Möglichkeit, intensiv Mimik einzusetzen, trotz der Konzertform zu agieren, so dass nahezu etwas Halbszenisches entsteht, was den Zuschauer in seinen Bann zieht. Angefangen von der Auftrittsarie „Io son l’umile ancella“ über die Duette mit Maurizio und der Fürstin, einen Fedra-Monolog am Ende des dritten Aktes, der Gänsehaut erzeugt, bis hin zum „Poveri fiori“ mit anschließender Sterbeszene, die einen zu Tränen rührt, ist sie am gestrigen Sonntag die ideale Adriana. Roberto Frontali ist ebenfalls ein Michonnet wie aus dem Bilderbuch, zeigt die richtige Mischung aus väterlichem Freund und unglücklich Verliebtem. Sein facettenreicher Bariton hat ein beeindruckendes, zu Herzen gehendes Timbre, doch gelingen ihm auch die Ausbrüche vorzüglich. Sein komödiantisches Talent kann er sogar in einer konzertanten Aufführung gekonnt entfalten und vermittelt überdies viel Gefühl. Der Abbé von Chazeuil, sollte meiner Ansicht nach einen stimmlichen Gegenpol zum Fürsten darstellen. Die Figur ist intrigant, biedert sich an, ist frech und komisch. Da ist Raúl Giménez leider nicht der richtige Interpret. Der argentinische Tenor singt zu gradlinig, seine Stimmfarbe ist recht dunkel. Zwar gelingt ihm eine respektable Arie im dritten Akt, doch geht durch seinen Singstil der Witz und Pep der Figur nahezu völlig verloren. Der Bass Carlo Cigni ist verona- und pariserprobt und singt den Fürsten von Bouillon tadellos und überzeugend. Maria Celeng, Maria Fiselier, Alessandro Spina und Carlos Cardoso komplettieren das Ensemble als Mitglieder der Comédie-Française mit gewitztem Gesang mehr als solide.
Der Chor, von Martino Faggiani einstudiert, hat in diesem Werk nahezu nur untermalende Funktion. Vor allem die Damen machen ihr Solo im dritten Akt sehr fein, aber auch die Herren zeigen eine respektable Leistung. Weit mehr als respektabel ist das Dirigat von Evelino Pidò.
Er kitzelt aus den Musikerinnen und Musikern des Orchestre symphonique de la Monnaie auch noch den letzten Farbklecks heraus, den Francesco Cilea in seiner Musik untergebracht hat. Mit großer Begeisterung bereitet er den Sängerinnen und Sängern so einen bunten Teppich, leitet sie souverän durch den Abend. Seine Tempi sind anspruchsvoll und variantenreich, die lyrischen Passagen gestaltet er schwelgerisch-betörend, doch schreckt er im richtigen Moment auch nicht vor purer Klanggewalt zurück und kostet so die Möglichkeiten der Partitur voll aus.
Am Ende der Vorstellung gibt es begeisterten und lang anhaltenden Applaus vom Publikum in der nicht ganz ausverkaufte „Le Boeuf Hall“, wenn auch hier der eine oder andere nach dem letzten Ton direkt aufspringt und zur Garderobe eilt (vorzugsweise aus der Mitte einer Parkettreihe). Sitzt in der Oper auch die Fürstin am längeren Hebel, heißt die Siegerin nach dem bewegenden Schlussakt für mich Lianna Haroutounian – und mit ihr die Musik Francesco Cileas! Nach dieser musikalisch außergewöhnlich überzeugenden Aufführung freue ich mich noch mehr darauf, Ihnen am kommenden Wochenende von der szenischen Aufführung in Halle berichten zu dürfen.
Jochen Rüth / 22.02.2016
Bilder (c) BOZAR Brüssel