Coburg: „Norma“

TRAILER

Premiere am 19.9. 2015.

Bayreuther Gastspiel (Stadthalle) am 17.11. 2015

So weiß man, was gemeint ist

Normalerweise ist in Bayreuth das Haus knallevoll, wenn Richard Wagner auf dem Programm steht – es sei denn, dass das Haus nicht auf dem Hügel steht….

Theoretisch hätte dies auch am Dienstag, dem 17.11. 2015, der Fall sein können, als ein Werk „unseres“ Komponisten hier nicht nur auf-, sondern sogar erstaufgeführt wurde. Freilich erfuhr man dies erst aus der Lektüre des Programmhefts – wer Bellinis Oper „Norma“ besucht, erwartet nicht, damit auch eine Nummer Richard Wagners zu hören. Hier aber war’s der glückliche Fall: denn das Theater Coburg integrierte in seine Aufführung von Bellinis Meisteroper die dramaturgisch bedingte wie wirkungsvolle Einlegearie Norma il predisse, o Druidi, die Wagner 1839 in Paris komponiert hat. Nein, leer war die Stadthalle diesmal nicht. Für ein Werk, das zwar ein Schlüsselwerk der Oper ist, aber nur selten gespielt wird, war das Haus sogar ordentlich gefüllt. Vielleicht ahnten die Opernfreunde ja, dass Bellini der einzige Opernkomponist war, den Wagner von seinen Jugendjahren bis in die letzten Tage vorbehaltlos schätzte. Er wusste, dass Bellini mit „Norma“ kein austauschbares Werk, also eine unter tausend anderen „italienischen Opern“, geschrieben hatte. Berühmt wurden seine Zeilen, die er schon 1837 dem sizilianischen Genie gewidmet hatte: die Deutschen sollten sich ein Vorbild an seiner Gesangskultur nehmen. „Norma“ ist ein Werk im Übergang zum Musikdrama, das noch über alle Reize der romantischen Oper des Südens verfügt. Bellini und sein Librettist Felice Romani schufen mit der „Tragedia lirica“, trotz aller Schlankheit des Stimmsatzes, trotz aller Linearität der berühmten wie nicht allein von Verdi gerühmten „langen, langen, langen“ Melodien, ein Werk im Vorfeld des Wagnerschen Musikdramas, in dem schon Elsa (Ihr Gerichtsauftritt), Tristan und Isolde (die Exzesse des 2. Akts) sachte ahnbar werden. Ebenso wie die Vorläuferschaft zu Verdis frühen Meisterstücken. „Was Norma zu etwas Außergewöhnlichem macht“, schrieb John Rosselli in seiner Bellini-Biographie, „ist, dass das Werk durch seine musikalische Organisation tragische Größe erreicht.“

Wer „Norma“ sagt, denkt vielleicht zugleich auch „Callas“, denn Maria Callas war bekanntlich die Norma des 20. Jahrhunderts. In keiner Rolle stand sie häufiger auf der Bühne: in insgesamt 90 (von 500) Callas-Opernauftritten. In Coburg ist die Intendanz tatsächlich n der Lage, diese höchst anspruchsvolle Partie, die vom Lyrischen bis zum kontrolliert Dramatischen über alle Nuancen verfügen muss, ausgesprochen gut zu besetzen. Celeste Siciliano besitzt ein Timbre und eine Durchschlagskraft, die in einigen wenigen Momenten tatsächlich an die Callas denken lässt, den dramatischen Spitzen räumt sie genügend Platz ein, der berühmte Bellinische Schönklang kommt auf seine Kosten – und die berühmte „Nummer“ „Casta diva“ kommt mit seinem ganzen Weihetonfall traumhaft gut. Ihr zur Seite steht mit der Adalgisa Kora Pavelics eine Partnerin, deren Sopran sie in den wirklich glänzend gemachten Duetten geradezu schwesterlich ergänzt. Selbst das Charakterschwein Pollione, der militärische und sexuelle Okkupant der gallischen Unterdrückten, singt bei Milen Bozhkov einfach schön. Freilich artikuliert er bisweilen so „heldenhaft“ wie ein Verdi-Tenor, doch muss Richard Wagners berühmtem Wort – Bellinis Melodien seien schöner als Träume – nicht widersprochen werden. Bellinis Musik zielt auch in Coburg auf eine ästhetische Qualität, der sich die Zuhörer nicht entziehen können. Sie vollzieht auch orchestral das musikalische Drama: hat Bellini seinen Orchestersatz bewusst schlicht angelegt, so spielt das Philharmonische Orchester des Landestheaters Coburg unter der Leitung Alexander Merzyns einen kräftigen Bellini, der den rechten Ausgleich zwischen delikater Lyrik und jenem Temperament findet, das der Normalzuhörer von der italienischen Oper der Romantik erwartet. „Gemetzel, Vernichtung, Rache“, der bewusst primitiv komponierte „Guerra“-Chor, der später zu einer Hymne der Aufständischen gegen die Habsburger werden sollte, wird angemessen roh, das letzte, rauschhafte Finale wunderbar gebracht.

Die Inszenierung Konstanze Lauterbachs entspricht der Genauigkeit, mit der Bellini die Worte vertont hat, auf sehr detaillierte Weise. Ohne das Drama mit allzu aktualisierenden Bildern zu knechten, holt die Regie die Geschichte von der unkeusch kollaborierenden Priesterin und dem Volksaufstand in eine eher symbolische Gegenwart. Es reicht, dass wir auf einen von Karen Simon erdachten Prospekt mit Öltürmen und einen stilisierten Turm, dann auf einen Prospekt mit einer kaputten Winterlandschaft schauen, um zu begreifen, dass das Thema von Macht und Wirtschaft nicht von gestern ist. Es beginnt mit der Auspeitschung eines Aufständischen und endet, naja, auf einem Scheiterhaufen, der von den berühmten schwarzen Müllsäcken umrankt wird, die wir aus dem sonnigen Süden kennen. Schwachsinn mit Musik, wie man zu sagen pflegt – und dann Norma und Pollione gemeinsam auf den Haufen steigen, macht das Finale nicht besser, sondern nur falscher. Musik und Text sagen nämlich, pardon, dass hier kein „Liebestod“ stattfindet, sondern eine entfremdete Frau zum Tode geht, die am Ende nur noch ein Interesse hat: ihre Kinder im Sinne einer matrilinearen Geschlechterordnung in Sicherheit zu wissen. Polliones letzter Satz aber ist reines Wunschdenken. Man mag auch darüber rätseln, welche Bedeutung das Logo der Freiheitskämpfer hat. Wird hier ein (gallischer) Schnurrbart auf einer Art Stecken abgebildet? Haben wir es mit einer stilisierten „Irminsäule“ zu tun? Hat das Zeichen überhaupt eine konkrete Bedeutung?

Das Wesentliche aber, da hat Frau Lauterbach recht, spielt sich in Bellinis sensitiver Musikdramatik auf einem ganz anderen als dem politischen oder historischen: dem emotionalen Gebiet ab. Die unvermeidlichen Regieeinfälle wirken nicht aufgesetzt, auch wenn manch Symbolismus eher schlicht wirkt. Manches wird vielleicht im Gedächtnis bleiben: das junge Mädchen, das Norma in ihrer Arie an den Mond (diesem Symbol des Matriarchats) als Double ansingt, die blutrot gewandete Frau, die während Polliones Arie mit einem 20 Meter langen Schleier über die Bühne läuft. Konstanze Lauterbach gönnt, in der fatalen Begegnung von Norma, Adalgisa und Pollione, sogar dem untreuen Bigamisten einige Momente des Schmerzes: der Einsicht – oder der Qual eines unseligen Verführers. Kommt Besuch in Normas Haus, so werden die Kinder in den Kasten gesteckt, und freut sich Norma, so tanzt ihre Vertraute Clotilde im Kreis. Sonst läuft Norma rückwärts, wenn es ganz und gar nicht mehr vorwärts zu gehen scheint. Der Einfall (eine „Laus der Regie“, wie der gute Regisseur Heiner Müller gesagt hat) könnte von Peter Paul Pachl stammen: als Auswuchs eines Dramaturgentheaters, das solche Einfälle doch kaum nötig hätte.

Indes: Man hat schon Schlimmeres gesehen. Die Hauptsache in dieser musikdramatisch inspirierten Oper aber bleibt doch die Musik, bleiben die feinen Züge der Emotionen, die von der Regie nicht denunziert werden. Singt Norma auch im gewichtigen Terzett (das das Wort vom alleinigen „Lyriker“ Bellini Lügen straft) ihre Rache gegen den Geliebten in die Luft, so weiß man, was gemeint ist.

Auf jeden Fall aber wird des strengen Vaters Oroveso Einlegearie bleiben, die von Michael Lion zusammen mit dem Chor beeindruckend gebracht wird. Wagner diente sich seinem musikalischen Gott an und blieb doch Wagner. Faszinierend zu hören, wie sich der Komponist der „Norma“, des „Rienzi“ und des „Liebesverbots“, vor allem im Nachspiel der Arie mit Chor, hier begegnet sind. Der Rest war purer Bellini – ein musikalisch hinreißendes und szenisch meist intelligentes Drama, das nicht nur deshalb gut ist, weil Wagner es so geliebt hat.

Frank Piontek

Fotos: Andrea Kremper