Detmold: „Il trittico“

Besuchte Premiere 18.10.2013

Eine Perle des Musiktheaters – in fremder Fassung

Jedem Regisseur, der eine Oper – zumal eine wenig bekannte – in der deutschen Übersetzung und ohne Übertitel inszeniert, sei es geraten, vor der Premiere eine zufällig ausgewählte Gruppe von Menschen ins Theater einzuladen. Sie sollten sich die Produktion anhören und sagen, was und wie viel sie von den gesungenen Texten verstanden haben. Ohne eine solche Verständlichkeitsprüfung könnte es so laufen, wie just in Detmold, wo sich Ernö Weil für eine deutsche Textfassung von Puccinis Gianni Schicchi entschieden hat: ein etwas verstümmeltes Meisterwerk. Mehr darüber gleich.

IL TABARRO

Gesungen in der Originalsprache, gespielt in einer sehr realistischen Szenerie: Eine Barkasse am Seine-Kai in Paris (Bühnenbild Petra Mollérus), stummes Leiden eines Mannes, dessen Frau das Leben auf dem Wasser satt hat und von einem kleinen Häuschen mit Garten träumt, allerdings zusammen mit einem anderen Mann. Das Drama der nicht ausgelebten Lebensvorstellung, auch wenn es nur der Traum vom Kleinbürger-Glück ist. Der Skipper schweigt, sein Lebensbild ist zerstört. Nichts will so sein, wie seine Vorstellung von Frau, Kind, Arbeit. Kind ist gestorben, Frau liebt einen anderen. Er verlangt nur: Sei meine Liebste! Fragt aber: Was willst du von mir? Und urteilt: Dirne! Der Ausdruck der Ratlosigkeit eines Mannes, der die Liebe seiner Frau für sein selbstverständliches Eigentum hält, und doch unfähig ist, Gedanken und Gefühle auszusprechen. Ihm bleibt nur das Verbrechen, der Mord, als Folge von Missverständnissen. Missverständnisse als Folge der Schweigsamkeit, Schweigsamkeit als Folge der Gedankenlosigkeit. „Du hast recht, man sollte niemals denken“, sagt er.

Bedenken Sie: Der Inhalt der meisten Opern sind literarische und musikalische Berichte von Gewaltverbrechen. Und zwar mit 100% Aufklärungsquote.

In der Rolle des Skippers Michele James Tolksdorf, in der seiner Frau Giorgetta, Marianne Kienbaum-Nasrawi, ihres Geliebten Luigi, Daniel Magdal, ein stimmgewaltiger Tenor, der in einigen Szenen der Zärtlichkeit den Eindruck erweckt, er wolle seine Geliebte gegen die Pariser Kaimauer schmettern, und das in einem starken Kontrast zum Orchester, das besonders in Il tabarro, wo die manchmal an die Gleichgültigkeit des Alltags grenzende, manchmal sanfte Stimmung und die emotionale Spannung sich rasch abwechseln. Diese Opernminiatur ist dynamisch sehr differenziert, das Drama spielt nuancenreich, deutlich zu hören das Phänomen der Opernwerke Puccinis – das Orchester spielt nicht nur Musik, die Musik des Orchesters spielt das Theater. Das Akustische wird zu einem fast materiell greifbaren Spiel, was das Orchester unter Lutz Rademacher, dem gerade neu engagierten Generalmusikdirektor des Landestheaters Detmold, diesmal perfekt umsetzt. Guter Einstand, Herr Rademacher.

SUOR ANGELICA

Als Folge einer Liebesnacht, die den Himmel verspricht und mit Mutterschaft endet, muss Angelica das Kind gleich nach der Geburt abgeben und selbst ins Kloster gehen. Der „Schänder“ heiratet ihre viel jüngere Schwester, una piccola bambina – also ein Kind. Und das alles mit der Zustimmung der hochadeligen Familie und der Kirche. Die Familie nimmt mit Angelica nach sieben Jahren absoluter Isolation und Totalüberwachung („Maria hört alles!“ was bedeutet, Priorin hört alles) Kontakt auf, weil sie ihre Unterschrift in Erbangelegenheiten braucht. Mutterschaft und Moral stehen auf höchst unterschiedlichen Positionen. Die Tragödie einer Mutter, der Mutterschmerz, ist die Strafe für die Mutterschaft. Der Glaube an diesen Zusammenhang treibt Angelica in den Selbstmord.

Das Bühnenbild beschränkt sich auf schlichte, grau angerauchte Wände mit Zellentüren, nur das Licht deutet Änderungen in Zeit und Raum an – beeindruckende Arbeit von Eva-Nadin Krischok. Darin der weißgekleidete Chor der Nonnen – eine formlose Masse, die sich ausbreitet, zusammenzieht, pulsiert und wieder erstarrt – ein Hintergrund des Dramas, das sich nur auf die Titelheldin konzentriert. In dieser Masse gefangen ist sie allein mit ihrem Schmerz. Ergreifend Marianne Kienbaum-Nasrawi in der Rolle der Angelica. Sie spielt mit Andeutungen, Schemen, mit einer Stimmzurückhaltung, die die Dramatik noch steigern lässt. Schade nur um die Schlussszene: Marianne Kienbaum-Nasrawi verlässt die dramatisch wirksame Zurückhaltung und robbt in konvulsiver Agonie ihrem Kind entgegen, das leibhaftig aus der Kulisse vortritt. Leider kitschig dies.

GIANNI SCHICCHI

Der Tod ist für sich schon ein trauriges Ereignis. Als das Thema einer Geschichte garantiert er a priori Traurigkeit. Darüber eine Komödie zu schreiben, ohne der Pietät zu schädigen, ist eine raffiniert intelligente Kunst. Das Libretto hat Giovacchino Forzano frei nach Dante gedichtet, Gunter Selling hat es ins Deutsche übersetzt, und diese Deutschfassung hat das Detmolder Ensemble an das Publikum weitergegeben. Oder besser: weiter geben wollen. Denn – was anfangs erwähnt -, der Text kam im Publikum stellenweise unverständlich an. Puccini hat zum Original-Wortwitz die Musik geschrieben, für ihn waren das Wort und die Musik eine Einheit, ein Theater. Expression und Witz, sprudelnde Komik entstanden aus der Symbiose von Sprache und Musik: Unterhaltsam Szene für Szene, jede Rolle ein Charakter, publikumswirksam, intelligent, komisch, köstlich, eine Perle des Musiktheaters. Das gilt für die Detmolder Inszenierung mit einiger Einschränkung. Der deutsche Text – falls er überhaupt verstanden worden ist – klang hier wie, hm… wie eine Fremdsprache.

Natürlich hat das Publikum begeistert reagiert – nur einige kurze Gespräche im Foyer erklärten dies: Kaum jemand kannte diese Oper. Nie gesehen, nie gehört. Daher der begeisterte Empfang. Zu Recht. Diese Oper lebt mit der Komik und Verschlagenheit der Protagonisten, wird in einem rasanten Tempo erzählt, und zwar mit allen Mitteln, die ein Opernhaus und das ganze Team zu Verfügung haben. Das klappt auch in Detmold. Denn auch ohne die Sprachnuancen, ohne den Klangwitz der italienischen Dialoge ist diese Komödie leicht verständlich. Und das reicht schon in vielen Fällen für einen Erfolg, besonders wenn man keine Vergleichsskala kennt. Aber, wenn man so verwöhnt ist, wie ich – ich kenne nicht nur mehrere Inszenierungen, ich kann einige Original-Passagen auswendig auf Italienisch mitsingen – schreit man nach mehr. Nach mehr Witz, nach Wortwitz! Nein, ich habe nichts gegen Überraschungen, ich will nur, dass der Text, in welcher Sprache auch immer – verständlich bleibt. Mit allen Feinheiten der Dichtung, wenn es sie gibt. Das wird leider von keinem Theater garantiert, falsche Diktion, Akzent, Dominanz des Tons über dem Text, etc. etc. führen manchmal zu dem Schluss, die Singenden wissen nicht ganz, welche Rolle sie singen, sie wissen nur, welche Noten sie singen.

So zum Beispiel die Firenze-Arie, eine heimliche Hymne an die Stadt, oder der gesungene Stadtführer. Sie – einer der Höhepunkte der seltenen Soli – bleibt fast unbemerkt. Hyungseung You bemüht sich zu sehr, Attribute seiner voluminösen, tragenden Stimme zu zeigen, statt mit der Stimme Attribute seiner Rolle. Sehr krass dies am Premierenabend im Schlussduett Lauretta – Rinuccio. You vergisst die Rolle, ist nur ein Sänger. Dafür bleibt Vera-Lotte Böcker mit ihrer sanften, warmen Stimme und klaren Führung ihrer Rolle, immer noch die glückliche, schelmische Lauretta. Auch das übrige Ensemble (Gianni singt und spielt Andreas Jören) zeigt sich gut in der Spontanität der chaotischen Ratlosigkeit, der fast ununterbrochenen Komik der Gruppe.

Jan Ochalski, 26.10.13 Fotos: Landestheater/Lefebvre