Detmold: „Otello“

Besuchte Premiere am 26. Oktober 2014

Häusliche Gewalt mit Todesfolge

Wieder mal zeigt sich, dass Soldaten Menschen vom geringen Verstand sind, und Frauen mit Ihren Gefühlen allein sich nicht dagegen durchsetzen können. Einem Kameraden von der Truppe schenkt man unbeschränkt Glauben, einer geliebten und liebenden Frau dagegen gar keinen: Das Jago-Syndrom? Hätte Otello einen gut funktionierenden Nachrichtendienst, statt naiv an Gerüchte zu glauben, wäre es vielleicht nicht zu dem Mord gekommen.

Wie dem auch sei, Otello ist eine Oper über häusliche Gewalt mit Todesfolge. Wenigstens diesen Eindruck habe ich, nachdem ich die Inszenierung von Kai Metzger in Detmold gesehen habe.

Die Detmolder Otello-Inszenierung (Regie Kay Metzger) weckt in mir ambivalente Gefühle / Reaktionen / Gedanken, ich versuche darin einen Leitfaden herauszuklären, etwas, woran ich mich festhalten könnte. Und nichts, ich finde nichts. Entweder gab es hier keine Leitidee (der Opernstoff an sich ist schon klar genug, und Verdi mit Boito lassen wenig Spielraum für freien Lauf von weitreichenden Regieeinfällen), oder die Leitidee wurde so verhüllt… Ja, eben, in was verhüllt, und was muss ich enthüllen, um sie zu finden? Zu verstehen? Ich greife ins Leere, und wenn, dann sehe ich das kleine Theater zur grandiosen Musik. – Betont zeitgenössisch gekleideter Chor lässt an Gaffer am Wrack von Costa Concordia denken, die Riesenwellen in der Bühnentiefe an eine Fototapete im Wohnzimmer, das Steingebilde – das einzige plastische Bühnenelement – an eine im Schrebergarten nachgebaute antike Grotte (Bühne & Ausstattung Petra Mollérus). Alles zum Schein? Pars pro toto für das Ambiente eines biederen kleinbürgerlichen Wohnzimmers, in dem… Ja, das ist es, die häusliche Gewalt in den vier Wänden eines gemütlichen Heimes.

Und doch passt hier etwas nicht zusammen: Einerseits der kleinbürgerliche, nach Kitsch riechende Mief, andererseits die Raffinesse der Musik. Dieser krasse Kontrast trübt hin und wieder die Korrespondenz zu der raffinierten Welt der Gefühle, der Emotionen, der genial expressiven Musik (Orchesterleitung Lutz Rademacher). Was wiederum gar nicht auf die Rolle der Desdemona zutrifft. Susanne Serfling ist der unumstrittene Star des Abends. Zerbrechlich, verängstigt, verloren zwischen den unverständlichen Aggressionsausbrüchen des Otello, sensibel bis an die Grenze der Selbstzerstörung – ausgezeichnete Stimme, gutes, nuanciertes Schauspiel. Ihre Gebet-Arie im 4. Akt war der emotionale Höhepunkt der Premieren-Vorstellung – wenn nicht diese verdammten Hustenanfälle im Publikum, ausgerechnet dann, wenn es am spannendsten, das heißt, am leisesten war. Husten der Rührung?

Heiko Börner (Otello) und Andreas Jören (Jago) passten gut sowohl mit ihren Stimmen als auch der Bühnenpräsenz zu ihren Rollen. In ihrem Schauspiel dagegen dominierte die Überschaubarkeit des Handelns – zu offensichtlich ihre Absichten, zu plakativ die primitive Gewalt und Intrige.

Aber vielleicht auch das mit Absicht: das geradlinige eingeschränkte Denken des Militärs als Gegenpol zu der nicht begreiflichen Gefühlswelt einer Frau?

Jan Ochalski, 31.10.2014

Fotos Landestheater/Lefebvre